04.07.2022

Happy Birthday! Das Higgs-Boson am zehnten Geburtstag

Die bahnbrechende Entdeckung des Higgs-Bosons vor genau 10 Jahren am Large Hadron Collider (LHC) hat enorme Fortschritte im Verständnis bei fundamentalen Fragen unseres Universums gebracht. Im Rahmen des CMS Experiments erforschen auch HEPHY Physiker verschiedene Aspekte des Higgs-Bosons.

Das “Sombrero”-Potential soll den Higgs-Mechanismus veranschaulichen. Unser Universum befindet sich kurz nach dem Urknall an der Spitze des Sombreros wo das Higgs-Feld den Wert Null hat. Allerdings ist das ein Zustand höherer Energie. Kurz nach dem Urknall wandert das Universum, wie es grafisch angedeutet ist, in den Grundzustand, und erhält daher einen von Null verschiedenen Wert. Die Wechselwirkung dieses “gebrochenen” Higgs-Feldes mit den Elementarteilchen ist experimentell als Teilchenmasse beobachtbar. Abbildung: copyright ÖAW/Harald Ritsch.

Genau vor zehn Jahren, am 4. Juli 2012, gaben die ATLAS- und CMS-Kollaborationen am Large Hadron Collider (LHC) die Entdeckung eines neuen Teilchens bekannt.  Die Entdeckung war ein Meilenstein in der Geschichte der Wissenschaft und erregte weltweit  Aufmerksamkeit. Das Higgs-Feld durchdringt das Universum und verleiht durch seine Wechselwirkung den Elementarteilchen ihre Masse. Das neue Teilchen, kurze Zeit später als Higgs-Boson zweifelsfrei identifiziert, ist eine Schwingung in diesem Feld, welche im Detektor in bekannte Teilchen zerfällt und so nachgewiesen werden kann.

Am Institut für Hochenergiephysik (HEPHY) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften arbeiten wir seit vielen Jahren an verschiedenen Messungen der Eigenschaften des Higgs Bosons. Als besonderes Highlight gelang im Jahr 2017 der Nachweis des Zerfalls in zwei Tau-Leptonen [Link zur Originalpublikation] in Daten des CMS Experiments. Dieser Zerfall wird vom Standardmodell der Teilchenphysik vorhergesagt, unserer bislang präzisesten Naturbeschreibung auf kleinsten Längenskalen. Wegen der Herausforderungen in der Rekonstruktion der Tau-Leptonen ist er allerdings schwer zu entdecken. Derzeit untersuchen wir Ereignisse, in denen das Higgs-Boson gleichzeitig mit anderen Teilchen, zum Beispiel dem W- oder dem Z-Boson, erzeugt wird. Diese Entstehungsprozesse erlauben besonders sensitive Tests des Standardmodells. Kleinste Abweichungen zu dessen Vorhersagen können so überprüft werden (Mehr Information zur Datenanalyse findet sich [hier].

Forscher, Ingenieure und Techniker des HEPHY waren zum Beispiel am Bau einer der wichtigsten Detektorkomponenten des CMS Experiments, dem Silizium-Streifen Spurdetektor, führend beteiligt. Außerdem liefert das Institut wichtige Beiträge zur Entwicklung und zum Betrieb des “Triggers”, also jener Elektronik die in Mikrosekunden entscheiden muss ob eine Teilchenkollision aufgezeichnet wird oder nicht. Ohne die Datenreduktion des Triggers wäre keine Analyse möglich. Die exzellenten österreichischen Beiträge zur Hochenergiephysik, zum Detektorbau, und zur CMS Kollaboration wurden immer wieder durch Mandate in Leitungspositionen gewürdigt, so wurde zum Beispiel Wolfgang Adam (HEPHY) kürzlich als stellvertretender Sprecher der CMS Kollaboration nominiert und Claudia Wulz (HEPHY) leitet das Gremium, in dem die wichtigsten Entscheidungen durch alle beteiligten Institute getroffen werden. Neben der Grundlagenforschung haben die Entwicklungen an den Beschleuniger-, Detektor- und Computertechnologien großen gesellschaftlichen Einfluss. In Österreich ist hier besonders das [Medaustron] hervorzuheben, welches die Hadronentherapie in der Krebsbehandlung ermöglicht.

Zehn Jahre nach seiner Entdeckung gibt es immer noch viel über das Higgs-Boson zu lernen. 

So wissen wir noch nicht ob die leichteren Teilchen ihre Masse ebenfalls vom Higgs-Feld erhalten. Wir können andererseits auch noch nicht experimentell ausschließen ob es sich beim Higgs-Boson vielleicht doch um ein zusammengesetztes Teilchen handelt. Es könnte auch mit der dunklen Materie wechselwirken oder Teil einer komplizierteren Gruppe an elementaren Higgs-Teilchen sein. Da das Higgs-Feld Masse verleiht und das Higgs-Boson ein massives Teilchen ist, müsste das Higgs-Boson außerdem mit sich selbst wechselwirken. Dieser Vorgang, beobachtbar durch die Erzeugung von Higgs-Boson Paaren, blieb bislang verborgen. Der bevorstehende dritte Run des LHC wird uns erlauben, einige dieser Fragen zu klären, während wir zum Beispiel bei der Frage nach der Wechselwirkung des Higgs-Teilchens mit sich selbst auf die Daten aus dem ``High-Luminosity LHC’’ (ab 2029) oder einer zukünftigen „Higgs-Fabrik“ werden warten müssen. Wissenschaftler und Fachleute auf vielen Gebieten arbeiten bereits am Design und Bau von Prototypen solcher Teilchenphysik-Beschleuniger und -Experimente einer neuen Generatione. Einzigartige Modelle internationaler Zusammenarbeit bieten dabei den Rahmen für immer neue Höchstleistungen und einem noch tieferen Verständnis der fundamentalen Fragen.