19.07.2021

SCHUTZ VOR METEORITENEINSCHLAG

Asteroiden, Meteoriten oder eisige Kometen: In unserem Sonnensystem schwirren eine Menge potenziell gefährlicher Objekte durch die Gegend. Christian Köberl, Experte für Impaktkrater und ÖAW-Mitglied, erklärt, ab welcher Größe ein Einschlag gefährlich wäre und wie Datenauswertung dabei helfen kann, die Erde vor knallharten Feinden zu schützen.

Christian Köberl: "Ein Objekt wie jenes, das vor 50.000 Jahren einen Krater mit einem Kilometer Durchmesser im heutigen Arizona hinterlassen hat, würde eine Stadt wie Wien komplett zerstören." Meteor Crater, Arizona. © Dale Nations

Am 30. Juni war Asteroid Day, der mögliche Bedrohungen und Erkenntnisse über Himmelskörper stärker ins Bewusstsein rücken möchte. Das Datum wurde gewählt, weil am 30.6.1908 ein Steinmeteorit mit etwa 50 Metern Durchmesser 2000 Quadratkilometer Wald bei Tunguska in Sibirien vernichtet hat. Das Gebiet war damals zum Glück unbewohnt, auch weil es nur etwa eine Milliarde Menschen auf der Welt gab. „Heute ist die Gefahr, dass bewohnte Gebiete getroffen werden, schon deutlich größer“, sagt der Impaktforscher Christian Köberl. „Es gibt deshalb Bestrebungen, Gegenmaßnahmen zu entwickeln.“

Warum systematische Beobachtung wichtig ist und dass Raumschiffe und Bomben aus Hollywood-Filmen nichts bringen, erklärt er im Interview. 

Herr Köberl, was macht ein Impaktforscher?
Christian Köberl: Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit den Prozessen, die beim Einschlag außerirdischer Objekte auf die Erde ablaufen. Daneben gibt es auch Einschläge auf anderen Planeten und Monden. Dabei gibt es physikalische, geologische und chemische Aspekte. Meine Forschung beschäftigt sich vor allem mit terrestrischen Impaktstrukturen sowie mit Prozessen in den Bereichen Geochemie, Mineralogie und Petrographie. Grundsätzlich bin ich aber interessiert an allem, was mit Einschlägen zu tun hat. 

„Die hohen Energien auf extrem kurzen Zeitskalen sind bei keinem anderen Naturereignis zu finden.“

Was macht Impaktereignisse so interessant?

Köberl: Die hohen Energien auf extrem kurzen Zeitskalen sind bei keinem anderen Naturereignis zu finden. Die Krater sind üblicherweise etwa 20 Mal so groß wie die Objekte, die sie verursacht haben. Durch die Schockwellen und die hohen Temperaturen wird Gestein auf eine einzigartige Art und Weise verändert und mit Material des einschlagenden Körpers vermischt. So können wir mit geochemischen Analysen feststellen, woraus das einschlagende Objekt bestanden hat.

ERDE UNTER DAUERNDEM BESCHUSS

Wie viele Einschlagkrater gibt es auf der Erde?

Köberl: Etwa 200 bestätigte Krater. Davon sind aber viele nicht mehr als solche zu erkennen. Der Chicxulub-Krater in Mexiko, der zum Aussterben der Dinosaurier beigetragen hat, hat einen Durchmesser von etwa 200 Kilometer. Er ist aber mit jüngerem Sedimentgestein aufgefüllt und deshalb nicht mehr leicht erkennbar. Zum Zeitpunkt des Einschlags vor 66 Millionen Jahren gab es weder die Alpen noch den Himalaya. In solchen Maßstäben ist die Erdoberfläche sehr dynamisch und „schluckt“ viele Einschlagspuren. Auf unserem geologisch inaktiven Mond kann man sehen, wie es auf der Erde aussähe, wenn alle Einschlagkrater erhalten blieben.

Wie viele Einschläge gibt es pro Jahr?

Köberl: Pro Tag fallen etwa 100 Tonnen extraterrestrisches Material auf die Erde. Das meiste davon ist Staub. Es sind aber auch regelmäßig größere Objekte dabei. Ein Objekt wie der Tscheljabinsk-Meteor, der 2013 in etwa 25 Kilometer Höhe in der Nähe einer russischen Stadt mit der Energie mehrerer Atombomben explodiert ist, kommt im Schnitt alle paar Jahre vor. Ein Objekt, das einen Krater von etwa einem Kilometer Durchmesser macht, trifft uns etwa alle 1000 Jahre.

Von Schäden durch Einschläge hört man recht selten.

Köberl: Der Tscheljabinsk-Meteor hat noch in 65 Kilometer Entfernung Schäden an Gebäuden verursacht. 1500 Menschen sind verletzt worden. Ein Objekt wie jenes, das vor 50.000 Jahren einen Krater mit einem Kilometer Durchmesser im heutigen Arizona hinterlassen hat, würde eine Stadt wie Wien komplett zerstören.

ABWEHR BRAUCHT DETAILS

Können wir bei einem größeren Einschlag überhaupt etwas tun?

Köberl: Nicht viel. Am Ende bleibt nur eine Evakuierung. Pläne für eine mögliche Ablenkung eines Asteroiden oder Meteoriten existieren zwar, sind derzeit aber technisch nicht umsetzbar. Mit der anstehenden Hera-Mission, bei der ein Mond eines Asteroiden mit einer speziellen Raumsonde „angeschossen“ werden soll, um seine Umlaufbahn zu ändern, sollen aber bald erste konkrete Daten zur Machbarkeit solcher Szenarien vorliegen.

“Ein Bruce Willis reicht definitiv nicht”

Die Raumschiffe und Bomben aus Hollywood-Filmen sind nicht realistisch?

Köberl: Nein, ein Bruce Willis reicht definitiv nicht. Wir müssen nicht nur wissen, dass ein Objekt kommt, sondern auch um welche Art es sich handelt. Die Zusammensetzung spielt beispielsweise für die Kraftübertragung eine große Rolle. Der Film “Deep Impact” hat zumindest die Folgen eines Einschlags ganz gut dargestellt. “Armageddon” war hingegen selbst in diesem Bereich einfach nur schlecht.

Wenn wir keine Abwehr haben, können wir zumindest alle Objekte erfassen?

Köberl: Es gibt schon lange Projekte, die mit Teleskopen Objekte aufspüren, die uns gefährlich werden könnten. Wir kennen die Bahnen von etwa einer Million Objekten. Etwa 20.000 davon kreuzen die Erdbahn oder kommen uns nahe. Die großen Objekte, mit Durchmessern von 500 Metern und mehr, kennen wir. Darunter wird es sehr schwierig, weil sie zu klein und dunkel sind, um einfach entdeckt zu werden. Die kleineren Körper werden zudem leicht abgelenkt und ändern ihre Bahnen daher häufig.

Wie gut funktioniert unser Frühwarnsystem?

Köberl: Auf hundert Meter genau können wir einen Einschlag höchstens wenige Tage vorher festlegen. Ungefähr können wir aber schon Wochen vorher sagen, wo ein Einschlag wahrscheinlich ist. Ob es überhaupt zu einem Einschlag kommt, wissen wir unter Umständen schon Jahre vorher, vor allem bei großen Objekten, deren Bahn stabiler ist. Der Asteroid Apophis - mit etwa 370 Meter Durchmesser -  wird uns 2036 wohl knapp verfehlen.

Gilt das auch für Kometen, deren Populationen weniger erforscht sind?

Köberl: Kometen, die ebenfalls einen Durchmesser von bis zu zehn Kilometer haben können, kommen nur mit wenigen Monaten Vorlaufzeit. Obwohl sie hauptsächlich aus Eis bestehen, sind sie nicht weniger gefährlich als Meteoriten aus Stein oder Eisen. Kometeneinschläge sind aber viel seltener als Asteroideneinschläge.

“Ein 50 Meter Objekt, das Wien trifft, würde zigtausende Todesopfer fordern”
 

Ab welcher Größe wird es ernst?

Köberl: Ab 100 Meter Durchmesser kann es sehr unangenehm werden. Ein solcher Einschlag könnte bereits halb Österreich betreffen. Ein 50 Meter Objekt, das Wien trifft, würde zigtausende Todesopfer fordern.

Gibt es nachgewiesene Einschläge in Österreich?

Köberl: In Österreich sind keine Krater bekannt. Auch in Deutschland sind nur Steinheimer Becken und Nördlinger Ries bekannt. Es gibt aber sieben bestätigte Meteoritenfunde aus Österreich, die meisten davon etwa faustgroß, also zu klein, um Krater zu verursachen. Wem die Objekte gehören, ist in Österreich nicht klar geregelt. Die bekannten Stücke liegen hauptsächlich im Naturhistorischen Museum und sehen sehr unauffällig aus.

GLOBALES KAMERANETZWERK

Im Projekt FRIPON wird mit Kameras auch in Österreich der Nachthimmel nach Sternschnuppen abgesucht, die durch kleinere Meteoriten entstehen. Warum ist das interessant?

Köberl: Das Projekt „FRIPON - Fireball Recovery and InterPlanetary Observation Network" [Link: www.fripon.org] überwacht den Nachthimmel mit Fischaugenkameras und detektiert anhand der leuchtenden Plasmakanäle, die beim Durchflug der Atmosphäre entstehen, kleinere Objekte. Durch die Leuchtspuren lassen sich auch der mögliche Einschlagort und die Herkunft eruieren. So lassen sich Rückschlüsse über die Populationen solcher Körper im Sonnensystem ziehen. Die meisten Objekte, die Sternschnuppen verursachen, sind etwa Bohnengroß, die etwas Helleren vielleicht faustgroß.

 

AUF EINEN BLICK

Christian Köberl ist Professor für Impaktforschung und Planetare Geologie an der Universität Wien. Bis 2020 war er Generaldirektor und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Naturhistorischen Museums Wien. Er ist wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Obmann der ÖAW-Kommission für Geowissenschaften. Am 30. Juni 2021 fand an der ÖAW das Symposium „Meteore und Meteoriten – Das internationale FRIPON-Netzwerk“ statt, um die verschiedenen Aspekte dieser Forschung zu diskutieren. .