GEDENKBUCH

für die Opfer des Nationalsozialismus
an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Fassade und Siegel der Akademie der Wissenschaften. Bild: ÖNB-Bildarchiv, Sign. L 32.608-C bzw. Siegelsammlung des Archivs der ÖAW

Harald Rossi


geb. am 3. September 1917 in Wien, gest. am 1. Jänner 2000 in Upper Nyack (NY, USA)

Harald Hermann Rossi war von 1938 bis 1939 am Institut für Radiumforschung der Akademie der Wissenschaften in Wien tätig. Nach dem „Anschluss“ wurde Rossi aus rassistischen Gründen verfolgt und konnte seine Tätigkeit an der Akademie nicht mehr fortsetzen. Er emigrierte 1939 nach Großbritannien und weiter in die USA.

Rossi wurde als Sohn des Handelsschulprofessors Dr. Oswald Rossi (1887–1978) und seiner Frau Hedwig, geb. Braun (1891–1985), einer Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin, in Wien geboren. 1933 war Dr. Hedwig Rossi Gründungsmitglied der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller und bis zur Auflösung im März 1934 stellvertretende Schriftführerin. Harald Rossi studierte ab 1935 Physik und Kunstgeschichte an der Universität Wien. Im Jahr 1938 begann er am Institut für Radiumforschung der Akademie der Wissenschaften im Rahmen seines Dissertationsprojekts zu arbeiten. Nach dem „Anschluss“ konnte er noch wenige Monate am Institut für Radiumforschung weiterarbeiten, sein Dissertationsprojekt jedoch nicht mehr abschließen. Im Almanach der Akademie für das Jahr 1938 scheint sein Name in der Liste der Personen, die „im Institute oder mit den Mitteln des Institutes“ arbeiteten, nicht auf. In Almanach für 1939 wird Rossi angeführt.

Rossi emigrierte gemeinsam mit seiner Mutter im März 1939 nach Großbritannien. Er setzte seine Studien an der Universität von Bristol fort, bevor er und seine Mutter im selben Jahr zu seinem Vater in die USA weiterreisten. Oswald Rossi war bereits zuvor emigriert und hatte am Hobart College in New York eine Stelle gefunden. 1942 promovierte Harald Rossi mit seiner Arbeit über „The Angular Distribution of α-Particles from Lithium Bombarded by Protons“ an der Johns Hopkins University in Baltimore (MD).

Während des Zweiten Weltkrieges diente er in der U.S. Army, hier machte er Bekanntschaft mit Gioacchino Failla (1891–1961), der ihn für das Manhattan Project gewann und ihm nach dem Krieg eine Forschungsstelle am Radiological Research Laboratory an der Columbia University in New York anbot, die er 1946 antrat. 1949 wurde er Assistant Professor, 1953 Associate Professor, und 1960 als Nachfolger von Failla Full Professor of Radiology und gleichzeitig Direktor des Radiological Research Laboratory, das er bis 1984 leitete. Im Jahr 1987 wurde Rossi als Professor für Strahlenonkologie am College of Physicians and Surgeons an der Columbia University emeritiert.

Rossi, der 1945 eingebürgert worden war, wirkte als wissenschaftlicher Berater unter anderem für das Radiation Control Office in New York im Jahr 1963 und von 1965 bis 1970 für die Defense Atomic Support Agency, die radiologische Sonderabteilung der amerikanischen Streitkräfte. Seit 1959 war er Mitglied der International Commission on Radiation Units and Measurements (ICRU), 1985 wurde er von dieser Organisation mit der L. H. Gray Medal ausgezeichnet. Seit 1964 war er Mitglied des National Council on Radiation Protection and Measurements (NCRP), zu dessen Ehrenmitglied er 1983 ernannt wurde. Er engagierte sich in der International Atomic Energy Agency (IAEA) und im United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR). Er war 1974 bis 1975 Präsident der Radiation Research Society und erhielt 1987 von der Health Physics Society den Distinguished Scientific Achievement Award.

Harald Rossi entwickelte zahlreiche Strahlenmessgeräte, unter anderem die so genannte „Rossi-Kammer“. Er gilt als „Vater“ der Mikrodosimetrie, einer Grundlage für Strahlenschutz und Strahlentherapie. Rossi verstarb im Jahr 2000 in seinem Haus in Upper Nyack (NY).


Schriften (Auswahl)


  • Harald Rossi, The Angular Distribution of α-Particles from Lithium Bombarded by Protons, Dissertation, Johns Hopkins University, Baltimore.
  • Ders. – G. Failla – R. K. Clark – N. Baily (U.S. Atomic Energy Commission), The measurement of tissue dose of ionizing radiation. Beta Ray emitting Isotopes uniformly distributed in a homogeneous Tissue 1, Tennessee 1948.
  • Ders. – Eric J. Hall, Californium 252 in Teaching and Research, IAEA, Wien 1974.
  • Ders., Limitation and Assessment in Radiation Protection, New York 1984.
  • Ders. – Marco Zaider, Microdosimetry and its Applications, Berlin 1996.
  • Marco Zaider – Ders., Radiation Science for Physicians and Public Health Workers, New York 2001.


Quellen und Literatur (Auswahl)


    • Akademie der Wissenschaften in Wien, Almanach f. d. J. 1938, 1939.
    • Daniela Angetter – Michael Martischnig, Biografien österreichischer PhysikerInnen. Eine Auswahl, Wien 2005, 124–125.
    • André Allisy – Albrecht M. Kellerer – Warren K. Sinclair, In Memoriam Harald H. Rossi 1917–2000.
    • Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, hg. vom Institut für Zeitgeschichte, München, und von der Research Foundation for Jewish Immigration, New York unter der Gesamtleitung von Werner Röder und Herbert A. Strauss, Bd. 2: The Arts, Sciences, and Literature, München [u.a.] 1983, 994.
    • Susanne Blumesberger – Michael Doppelhofer – Gabriele Mauthe (Hg.), Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert 2: J-R, München 2002, 1151–1152.
    • Karl Fallend, Wissenschaft/Science, in: Part 2: Biographical Exodus from Austria, in: Friedrich Stadler – Peter Weibel (Hg.), Vertreibung der Vernunft / The Cultural Exodus from Austria, Wien 1995, 1–74, hier: 55.
    • Albrecht M. Kellerer, Harald H. Rossi (1917–2000), in: Radiation Research 153, 5, 1 (2000), 605–606.
    • Bo Lindell, Obituary: H.H. Rossi (1917–2000), in: Journal of Radiological Protection, 20, 1 (2000), 69.
    • Warren K. Sinclair, Harald H. Rossi 1917–2000, in: Health Physics 79, 1 (2000), 91–93.
    • Reinhard Müller (Hg.), „Fluchtpunkt England“. Spuren der österreichischen Emigration in Großbritannien 1938 bis 1945, Katalog zur Ausstellung an der Universitätsbibliothek Graz im Kleinen Ausstellungsraum, Lesesaalfoyer, Mai bis Oktober 1996, Graz 1996, 55.
    • Wolfgang L. Reiter, The Year 1938 and its Consequences for the Sciences in Austria, in: Friedrich Stadler – Peter Weibel (Hg.), The Cultural Exodus from Austria, New York 1995, 188–205, hier: 204.
    • Wolfgang Saxon, Harald Hermann Rossi, 82, Innovator in Use of Radiation, in: The New York Times, 8.1.2000.
    • Who’s Who in Atoms, London 41965, 1085.
    • Marco Zaider, Obituary: Harald H. Rossi, in: Radiation Protection Dosimetry 87, 4 (2000), 235.


    Datenbanken (Auswahl)


    Person suchen