GEDENKBUCH

für die Opfer des Nationalsozialismus
an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Fassade und Siegel der Akademie der Wissenschaften. Bild: ÖNB-Bildarchiv, Sign. L 32.608-C bzw. Siegelsammlung des Archivs der ÖAW

Franz Urbach


geb. am 28. Juni 1902 in Wien, gest. am 1. April 1969 in Rochester (NY, USA)

Franz Urbach forschte von 1923 bis 1938 mit Unterbrechungen am Institut für Radiumforschung der Akademie der Wissenschaften in Wien. Nach dem „Anschluss“ wurde er aus rassistischen Gründen verfolgt und konnte seine Tätigkeit an der Akademie nicht mehr fortsetzen. Urbach emigrierte im Jahr 1939 gemeinsam mit seiner Ehefrau Anna Urbach über Schweden in die USA.

Urbach wurde als Sohn des Mittelschullehrers Julius Urbach (1866–1942, Ghetto Theresienstadt) und seiner Frau Rosa, geb. Fischer (1875–1942, Ghetto Theresienstadt), in Wien geboren. 1921 nahm er das Studium der Physik an der Universität Wien bei Karl Przibram auf. Von diesem und von Stefan Meyer betreut, promovierte er im Jahr 1926 mit seiner Dissertation „Über Lumineszenz und Absorption insbesondere des mit Bequerel-Strahlen behandelten Sylvins“. Urbach forschte ab 1923 im Rahmen seines Dissertationsprojekts am Institut für Radiumforschung. Nach seiner Promotion setzte er seine Arbeit in der Forschungsgruppe von Karl Przibram weitgehend unbezahlt bis 1931 fort. 1927 bis 1930 unterrichtete Urbach zusätzlich an einer Wiener Volkshochschule. Bemühungen um eine Assistentenstelle an der Universität Wien und an der Technischen Hochschule blieben erfolglos.

1929/30 erhielt er ein Stipendium der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft. 1930/31 fungierte er auf Vorschlag Stefan Meyers als Berater der Gemeinde Wien bei der Errichtung eine Radium-Station im Lainzer Krankenhaus, dem auf seine Initiative hin ein physikalisches Labor angeschlossen wurde. 1932 übernahm er die Leitung dieses Labors, 1933 mit definitiver Anstellung.

Nach den Februarkämpfen von 1934 wurde Franz Urbach, der Mitglied der Sozialdemokratischen Partei war, von dieser Stelle fristlos entlassen. Von 1934 bis 1938 betrieb Urbach unter sehr eingeschränkten Verhältnissen Forschungen zu infrarotsensitiven Phosphorteleskopen am Institut für Radiumforschung der Akademie der Wissenschaften. Im Juli 1936 meldete er sein Patent für ein „Verfahren zur Sichtbarmachung von im Dunkeln befindlichen oder durch Nebel verdeckten Objekten im infraroten Licht“ an. Wegen seiner jüdischen Herkunft konnte Franz Urbach nach dem „Anschluss“ seine Forschungstätigkeit an der Akademie der Wissenschaften nicht mehr fortsetzen. Im Almanach der Akademie für das Jahr 1938 scheint sein Name in der Liste der Personen auf, die „im Institute oder mit den Mitteln des Institutes“ arbeiteten. In Almanach für 1939 wird Franz Urbach nicht mehr angeführt.

Über die befreundete U.S.-Amerikanerin Muriel Morris Gardiner (1901–1985), der späteren Frau von Josef Buttinger (1906–1992), der 1935 die Führung der illegalen Revolutionären Sozialisten übernommen hatte, erhielten Franz und Anna Urbach Affidavits für die USA. Die Ausreise wurde ihm zunächst verweigert, vermutlich wegen seines Patentes, das von militärischem Interesse war. Erst im Sommer 1939 konnten Urbach, seine Frau und der gemeinsame Sohn Hans (geb. 1934) nach Schweden ausreisen. Die Weiterreise nach Birmingham in Großbritannien, wo Urbach ein befristetes Research Fellowship an der Universität angeboten wurde, war wegen des Kriegsbeginns nicht mehr möglich. Nach einer kurzfristigen Tätigkeit am Photographischen Labor des Technologischen Instituts in Stockholm im Herbst 1939 emigrierten Urbach und seine Familie in die USA und erreichten im Dezember 1939 New York. Er fand eine Stelle am Physics Department der University of Rochester (NY).

Im Juli 1941 wechselte er an das Institute of Optics dieser Universität, wo er seine in Wien begonnenen Experimente an infrarotsensitiven Phosphoren fortsetzte. Finanziert wurden seine Forschungen durch das National Defense Research Committee bzw. das Office of Scientific Research and Development sowie von der U.S. Air Force. Für die Entwicklung eines Nachtsichtgerätes erhielt er 1947 ein Certificate of Merit des U.S. War and Navy Department. 1945 erwarb Urbach die U.S.-amerikanische Staatsbürgerschaft. Er war ab November desselben Jahres in leitender Position an den Phosphor Research Laboratories der Eastman Kodak Company in Rochester tätig und reichte zahlreiche weitere Patente ein. 1957 wechselte er an das neu errichtete Solid State Department der Physics Division der Kodak Research Laboratories, Rochester, NY, zu dessen Vorstand er ernannt wurde. Franz Urbach verstarb im Jahr 1969 in Rochester.

Urbach war Mitglied der American Physical Society, des American Institute of Physics und der American Optical Society. Seine fundamentalen Beiträge zur Thermolumineszenz zeigen sich in der Namensgebung „Urbach-Regeln“.


Schriften (Auswahl)


  • Franz Urbach, Über Lumineszenz und Absorption insbesondere des mit Bequerel-Strahlen behandelten Sylvins, Dissertation, Universität Wien 1926.
  • Ders., Note on Spectacular Densities and Forward Scattering, in: Journal of the Optical Society of America 34, 10 (1944), 591–594.
  • Ders., The Long-Wavelength Edge of Photographic Sensitivity and of the Electronic Absorption of Solids, in: Phys. Rev. 92, 1 (1953), 1324 (Research Laboratories, Eastman Kodak Company, Rochester, New York).


Quellen und Literatur (Auswahl)


    • Archiv der Universität Wien, Phil. Rig. Akt 9322.
    • Archiv der Society for the Protection of Science and Learning, Bodleian Library, University of Oxford (File 342/5).
    • Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, hg. vom Institut für Zeitgeschichte, München, und von der Research Foundation for Jewish Immigration, New York unter der Gesamtleitung von Werner Röder und Herbert A. Strauss, Bd. 2: The Arts, Sciences, and Literature, München [u.a.] 1983, 1185.
    • Johannes Feichtinger, Die Wiener Schule der Hochpolymerforschung in England und Amerika. Emigration, Wissenschaftswandel und Innovation, Wien 2000, 38–39.
    • Johannes Feichtinger, Wissenschaft zwischen den Kulturen. Österreichische Hochschullehrer in der Emigration 1933–1945 (= Campus-Forschung 816), Frankfurt am Main–New York 2001, 140, 148–151, 167, 169–172.
    • Muriel [Morris] Gardiner [Buttinger], Code Name „Mary“. Memoirs of an American Woman in the Austrian Underground, New Haven–London 1983, 73, 94–95, 122–123.
    • Friedrich Katscher, Jüdische Naturwissenschaftler und Techniker Österreichs. Was sie der Welt schenkten, in: Österreichisch – Jüdisches – Geistes- und Kulturleben 1, Wien 1988, 66–107, hier: 81–82.
    • Ernst Walter Kellermann, A Physicist’s Labour in War and Peace. Memoirs 1933–1999, [o.O.] 2004, 31–33.
    • Bernhard Kuschey, Die Ausnahme des Überlebens. Ernst und Hilde Federn. Eine biographische Studie und eine Analyse der Binnenstrukturen des Konzentrationslagers, Gießen 2003, 223–224, 288–295, 348, 923, 959, 985.
    • Wolfgang L. Reiter, Österreichische Wissenschaftsemigration am Beispiel des Instituts für Radiumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, in: Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft, Münster 22004, 709–729, hier: 723.
    • Wolfgang L. Reiter, Von Erdberg in die Boltzmanngasse – 100 Jahre Physik an der Universität Wien, in: Karl Anton Fröschl – Gerd B. Müller – Thomas Olechowski – Brigitta Schmidt-Lauber (Hg.), Reflexive Innensichten aus der Universität. Disziplinengeschichten zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik (= 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert 4), Göttingen 2015, 191–209, hier: 198, 201.
    • Maria Rentetzi, Gender, Politics, and Radioactivity, Research in Interwar Vienna. The Case of the Institute for Radium Research, in: Isis 95 (2004), 359–393, hier: 369–370, 386, 388.
    • Maria Rentetzi, Trafficking Materials and Gendered Experimental Practices. Radium Research in Early 20th Century Vienna, New York 2008, 111, 127.
    • Maria Rentetzi, Gender and Radioactivity Research in Interwar Vienna: The Case of the Institute for Radium Research, in: Soňa Štrbáňová – Ida H. Stamhuis – Kateřina Mojsejová (Hg.), Women Scholars and Institutions. Proceedings of the International Conference (Prague, June 8–11, 2003) (= Práce z dějin vědy / Studies in the history of sciences and humanities 13 B), Prague 2004, 611–638, hier: 629–630, 637–638.
    • Christiane Rothländer, „Und mit der Hausmusik ging er in den Tod …“. Über das Leben des Wiener Psychoanalytikers Karl von Motesicky, in: Werkblatt. Zeitschrift für Psychoanalyse und Gesellschaftskritik 41, 2 (1998), 2–34, hier: 20–22.
    • Carlos R. Stroud (Hg.), A Jewel in the Crown. 75th Anniversary Essays. The Institute of Optics, University of Rochester, Rochester 2004, bes. 43, 52, 53 (Foto), 60, 67, 69, 117.
    • Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015, 120, 121.


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