GEDENKBUCH

für die Opfer des Nationalsozialismus
an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Fassade und Siegel der Akademie der Wissenschaften. Bild: ÖNB-Bildarchiv, Sign. L 32.608-C bzw. Siegelsammlung des Archivs der ÖAW

Elizabeth Róna


geb. am 20. März 1890 in Budapest, gest. am 27. Juli 1981 in Oak Ridge (TN, USA)

Elizabeth Róna war von 1924 bis 1938 am Institut für Radiumforschung der Akademie der Wissenschaften in Wien tätig. Nach dem „Anschluss“ wurde sie aus rassistischen Gründen verfolgt und konnte ihre Tätigkeit an der Akademie nicht mehr fortsetzen. Sie ging im Jahr 1938 nach Ungarn und emigrierte 1941 in die USA.

Róna wurde als Tochter des Arztes Samuel Róna (1857–1910) und seiner Frau Ida, geb. Mahler, in Budapest geboren. Im Jahr 1909 nahm sie die Studien Chemie und Physik an der Universität Budapest auf, wo sie 1911 mit einer Arbeit über „Geschwindigkeit der gegenseitigen Wirkung des Broms und der einwertig gesättigten aliphatischen Alkohole in wässeriger Lösung“ promovierte. Nach einem kurzen Forschungsaufenthalt an der Chemischen Abteilung des Tierphysiologischen Instituts in Berlin war Róna von Oktober 1913 bis Anfang 1914 bei dem Physikochemiker Georg Bredig (1868–1944) an der Technischen Hochschule Karlsruhe tätig. Hier forschte sie, in Zusammenarbeit mit Kasimir Fajans (1887–1975), erstmals auf dem Gebiet der Radioaktivität. 1914 bis 1919 war sie an der Universität Budapest tätig. Am Chemischen Institut wurde sie Mitarbeiterin des späteren Nobelpreisträgers Georg von Hevesy (1885–1966). Von 1920 bis 1921 arbeitete Róna am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin-Dahlem, im Labor von Otto Hahn (1879–1968), dem Leiter der Abteilung Radiochemie. Danach war sie als wissenschaftliche Assistentin am damals neu gegründeten Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Faserstoffchemie in Berlin tätig. Elizabeth Róna wurde im Jahr 1924, während eines Sommerfrische-Aufenthalts in Bad Ischl, von Stefan Meyer, dem Vorstand des Instituts für Radiumforschung, zur Mitarbeit eingeladen.

Im Oktober 1924 begann sie ihre Forschungstätigkeit an der Akademie der Wissenschaften in Wien und war bis März 1938 am Institut für Radiumforschung tätig. Hier widmete sie sich insbesondere der Kernzertrümmerung, unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Physiker und Ozeanographen Hans Pettersson (1888–1966). Róna hatte Forschungsaufenthalte am Institut de Radium bei Marie Curie in Paris im Jahr 1926, am Cavendish Laboratory in Cambridge bei Ernest Rutherford sowie für fortlaufende Untersuchungen ab 1928 an der Ozeanographischen Station in Bornö in Schweden. Im März 1938 bezeichnete sie Stefan Meyer als „eine der besten Kennerinnen der ganzen Radiochemie“, insbesondere ausgewiesen durch ihre grundlegenden Arbeiten „über die Eigenschaften des Poloniums, seine Reingewinnung und Herstellung hochkonzentrierter Präparate.“

Unmittelbar nach dem „Anschluss“ ging Róna nach Budapest, im November 1938 nach Bornö und anschließend nach Oslo. Wie Marietta Blau war sie von der norwegischen Chemikerin Ellen Gleditsch (1879–1968) im Jänner 1939 an das Chemieinstitut der Universität von Oslo eingeladen worden. Nach weiteren Forschungen an der Ozeanographischen Station in Bornö kehrte die Radiochemikerin im Jahr 1940 nach Budapest zurück. 1941 emigrierte Róna mit einem Besuchervisum in die USA. Im selben Jahr erhielt sie eine Anstellung als Chemielehrerin für Mädchen am Trinity College in Washington, D.C. Zugleich arbeitete sie auch am Geophysical Institute der Carnegie Institution for Science in Washington. Im Rahmen des „Manhattan Project“ zur Entwicklung der Atombombe war Róna an der University of Rochester (NY) unter anderem mit der Herstellung von Polonium beschäftigt. 1947 bis 1950 forschte sie am Argonne National Laboratory in Chicago, ab 1950 unterrichtete Róna am Oak Ridge Institute of Nuclear Studies (T.N.). 1970 erhielt Elizabeth Róna eine Professur für Chemie an der University of Miami in Florida. 1976 trat sie in den Ruhestand und kehrte nach Oak Ridge zurück, wo sie ihre Autobiografie verfasste. Róna starb 1982 in Oak Ridge.

Im Jahr 1933 wurde Elizabeth Róna gemeinsam mit Berta Karlik (1904–1990) der Haitinger-Preis der Akademie der Wissenschaften in Wien verliehen.


Schriften (Auswahl)


  • Elisabeth Róna, Zur Herstellung von Polonium aus Radiumverbindungen und aktiven Bleisalzen (Mitteilungen des Institutes für Radiumforschung 217), in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien. Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse, Abt. 2a, Bd. 137, Wien 1928, 227–234.
  • Marietta Blau – dies., Anwendung der Chamié'schen photographischen Methode zur Prüfung des chemischen Verhaltens von Polonium (Mitteilungen des Institutes für Radiumforschung 257), in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien. Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse, Abt. 2a, Bd. 139, Wien 1930, 275–277.
  • Dies., Verdampfungsversuche an Polonium (Mitteilungen des Institutes für Radiumforschung 296), in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien. Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse, Abt. 2a, Bd. 141, Wien 1932, 533–537.
  • Dies. – Berta Karlik, Untersuchungen der Reichweite von α-Strahlen des Actinium X und seiner Folgeprodukte mit der Lumineszenzmethode (Mitteilungen des Institutes für Radiumforschung 306), in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien. Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse, Bd. 142, Wien 1933, 121–126.
  • Dies., How it came about: Radioactivity, Nuclear Physics, Atomic Energy, Oak Ridge 1978.


Quellen und Literatur (Auswahl)


    • Archiv der ÖAW, Bestand Institut für Radiumforschung.
    • Archiv der Society for the Protection of Science and Learning, Bodleian Library, University of Oxford (File 338/1).
    • Akademie der Wissenschaften in Wien, Almanach f. d. J. 1925–1938.
    • Daniela Angetter – Michael Martischnig, Biografien österreichischer PhysikerInnen. Eine Auswahl, Wien 2005, 120–123.
    • Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, hg. vom Institut für Zeitgeschichte, München, und von der Research Foundation for Jewish Immigration, New York unter der Gesamtleitung von Werner Röder und Herbert A. Strauss, Bd. 2: The Arts, Sciences, and Literature, München [u.a.] 1983, 978.
    • Brigitte Bischof, Rona, Elisabeth, in: Brigitta Keintzel – Ilse Korotin (Hg.), Wissenschafterinnen in und aus Österreich. Leben – Werk – Wirken, Wien–Köln–Weimar 2002, 621–624.
      Brigitte Bischof, „… junge Wienerinnen zertrümmern Atome …“. Physikerinnen am Wiener Institut für Radiumforschung (= NUT – Frauen in Naturwissenschaft und Technik e.V. Schriftenreihe 10), Mössingen-Talheim 2004, bes. 158–179 (mit Foto).
    • Brigitte Bischof, The „Marie Curie Syndrome“, the Role of Mentors and Romanticism or Why Were There so Many Women in Radioactivity Research in Vienna?, in: Soňa Štrbáňová – Ida H. Stamhuis – Kateřina Mojsejová (Hg.), Women Scholars and Institutions. Proceedings of the International Conference (Prague, June 8–11, 2003) (= Práce z dějin vědy / Studies in the history of sciences and humanities 13 B), Prague 2004, 639–658, hier: 644.
    • Marshall Brucer, In Memoriam Elizabeth Rona (1891?–1981), in: The Journal of Nuclear Medicine 23, 1 (1981), 78–79.
    • Sabine Ernst, Lise Meitner an Otto Hahn. Briefe aus den Jahren 1912 bis 1924, Edition und Kommentierung (= Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie 65), Stuttgart 1992, 101–103, 108, 165, 240, 259.
    • Silke Fengler – Carola Sachse, Kernforschung in Österreich. Wandlungen eines interdisziplinären Forschungsfeldes 1900–1978 (= Wissenschaft, Macht und Kultur in der modernen Geschichte 1), Wien–Köln–Weimar 2012, 80–81, 88–90, 100, 105, 107, 116, 223–224.
    • Silke Fengler, Kerne, Kooperationen und Konkurrenz. Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950) (= Wissenschaft, Macht und Kultur in der modernen Geschichte 3), Wien–Köln–Weimar 2014, 25, 120, 145, 171, 172, 174, 191–193, 197, 213, 258.
      Julie des Jardins, The Madame Curie Complex: The Hidden History of Women in Science, New York 2010, 130–131, 147–148, 151, 165.
    • Marelene F. Rayner-Canham – Geoffrey W. Rayner-Canham, Elizabeth Róna, The Polonium Woman, in: Marelene F. Rayner-Canham – Geoffrey W. Rayner-Canham (Hg.), A Devotion to Their Science. Pioneer Women of Radioactivity, Montreal & Kingston–London–Buffalo 1997, 209–216, 294–296.
    • Wolfgang L. Reiter, Österreichische Wissenschaftsemigration am Beispiel des Instituts für Radiumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, in: Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft (= Emigration – Exil – Kontinuität. Schriften zur zeitgeschichtlichen Kultur- und Wissenschaftsforschung 2), Münster 2 2004, 709–729, hier: 718–720.
    • Wolfgang L. Reiter, Von Erdberg in die Boltzmanngasse – 100 Jahre Physik an der Universität Wien, in: Karl Anton Fröschl – Gerd B. Müller – Thomas Olechowski – Brigitta Schmidt-Lauber (Hg.), Reflexive Innensichten aus der Universität. Disziplinengeschichten zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik (= 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert 4), Göttingen 2015, 191–209, hier: 201.
    • Maria Rentetzi, Trafficking Materials and Gendered Experimental Practices. Radium Research in Early 20th Century Vienna, New York 2008, 117, 119–121, 123–125.
    • Maria Rentetzi, Gender and Radioactivity Research in Interwar Vienna: The Case of the Institute for Radium Research, in: Soňa Štrbáňová – Ida H. Stamhuis – Kateřina Mojsejová (Hg.), Women Scholars and Institutions. Proceedings of the International Conference (Prague, June 8–11, 2003) (= Práce z dějin vědy / Studies in the history of sciences and humanities 13 B), Prague 2004, 611–638, hier: 624–627, 637–638.
    • Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015, 120.
    • Eva Vamos, Erzsébet (Elizabeth) Róna (1890–1981), in: Jan Apotheker – Livia Simon Sarkadi (Hg.), European Women in Chemistry, Weinheim 2011, 85–88.


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