GEDENKBUCH

für die Opfer des Nationalsozialismus
an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Fassade und Siegel der Akademie der Wissenschaften. Bild: ÖNB-Bildarchiv, Sign. L 32.608-C bzw. Siegelsammlung des Archivs der ÖAW

Alexander Stock


geb. am 21. Februar 1912 in Wien, gest. am 31. August 1975 in Australien

Alexander Stock war von 1933 bis 1938 an der Biologischen Versuchsanstalt (BVA) der Akademie der Wissenschaften in Wien tätig. Nach dem „Anschluss“ wurde er aus rassistischen Gründen verfolgt und konnte seine Tätigkeit an der Akademie nicht mehr fortsetzen. Er emigrierte 1938 nach Großbritannien und wanderte 1949 nach Australien aus.

Stock wurde als Sohn des aus Galizien stammenden Kaufmanns Julius Stock (1881–1944, deportiert in das Ghetto Theresienstadt, ermordet im KZ Auschwitz-Birkenau) und seiner Frau Maria, geb. Lebelang, in Wien geboren. Von 1930 bis 1934 studierte er die Fächer Zoologie und Chemie an der Universität Wien. Ab dem Sommersemester 1933 bis zum April 1938 forschte er an der Zoologischen Abteilung der BVA bei Hans Przibram, zunächst im Rahmen seines Dissertationsprojekts, ab November 1937 an einer weiteren zoologischen Studie „Über ein endocrinologisches Problem“. Diese Arbeit konnte er nicht mehr abschließen.

In der nach dem „Anschluss“ erstellten „Liste der Arbeitenden“ der BVA ist Stock als „Nicht-Arier“ gekennzeichnet. Am 13. April 1938 wurde die BVA vorübergehend geschlossen. Ab der Wiedereröffnung am 26. April war der Zutritt nur noch für die „inzwischen auf Ansuchen mit Zulassungsscheinen beteilten Arbeitenden“ möglich, so die Mitteilung in einem Schreiben des designierten Akademiepräsidenten Heinrich Srbik (1883–1981) und des kommissarischen Rektors der Universität Wien Fritz Knoll (1883–1981), der mit der „Wahrnehmung der Interessen der Landesleitung der NSDAP für die Akademie der Wissenschaften“ betraut worden war. Damit wurde jüdischen Forschenden spätestens mit 13. April 1938 der Zutritt zur BVA praktisch verweigert. Seine Dissertation konnte er dennoch im Sommer dieses Jahres abschließen. Zu den Abschlussprüfungen hatte er sich im Oktober 1937 angemeldet und die Dissertation im Juli 1938 eingereicht. Stock promovierte mit seiner Dissertation über „Homöosis und Regenerationsgeschwindigkeit bei Dixippus morosus Br. et Redt. sowie anderen Insekten“ wie Gerta Schmid am 21. Juli 1938 im Rahmen einer so genannten „Nichtarierpromotion“. Solche Promotionen fanden an der Universität Wien unter entwürdigenden Bedingungen – begleitet von zahlreichen formalen Schikanen und Diskriminierungen – bis Ende Dezember 1938 statt. Mit dieser Promotion wurde zugleich ein Berufsverbot für das gesamte Deutsche Reich erteilt.

Alexander Stock emigrierte vermutlich Mitte August 1938 gemeinsam mit seiner späteren Ehefrau Selma nach Schottland. An der Universität Edinburgh verfasste er bei dem Naturwissenschaftler James Ritchie ab September 1938 eine weitere Dissertation über „Changes in weight, volume and oxygen consumption during reorganization and regeneration in Sabella pavonina Sav.“. Das 1940 abgeschlossene Dissertationsprojekt wurde durch ein Carnegie Research Stipendium gefördert. Zusätzlich hatte Stock von 1939 bis Anfang 1941 einen Lehrauftrag über praktische Übungen für Studierende der Naturwissenschaften und der Medizin an der Universität inne. Von 1941 bis 1943 arbeitete er als Lecturer am Bedford College der University of London, ab 1943 am Medical College of St. Bartholomew’s Hospital, London.

Alexander Stock engagierte sich in der Exilorganisation Free Austrian Movement (FAM). In Edinburgh war Stock lokaler Representative of the Council of Austrians in Great Britain. Im März 1942 wurde er zum Vorsitzenden der Association of Austrians in Cambridge, die vom emigrierten physikalischen Chemiker Engelbert Broda (1910–1983) im Rahmen des FAM gegründet worden war und rund 60 Mitglieder hatte.

1948 wurde Alexander Stock in Großbritannien eingebürgert. Im Jahr 1949 wanderten Alexander und Selma Stock nach Australien aus. In Armidale begann er im selben Jahr seine Tätigkeit als Senior Lecturer an der University of New England, 1956 wurde er Associate Professor. Von 1958 bis 1960 war Stock Dekan der Faculty of Science und wurde 1965 zum Full Professor ernannt. Selma Stock engagierte sich in der „Armidale Association for the Assimilation of Aborigines“. Alexander Stock verstarb im Jahr 1975.


Schriften (Auswahl)


  • Alexander Stock, Homöosis und Regenerationsgeschwindigkeit bei Dixippus morosus Br. et Redt. sowie anderen Insekten, Dissertation, Universität Wien 1938.
  • Ders., Changes in Weight, Volume and Oxygen Consumption during Reorganization and Regeneration in Sabella pavonina Sav., University of Edinburgh 1940.
  • Ders., Das Wiener Vivarium, in: Oesterreichische Wissenschaft. Essays, Biographien, Betrachtungen. Mit einer Vorrede von Prof. Dr. Erwin Schroedinger. Dublin Institute for Advanced Studies. Nobelpreisträger, hg. von H. Ullrich, London 1945, 25–28.


Quellen und Literatur (Auswahl)


    • Archiv der ÖAW, Bestand BVA.
    • Archiv der ÖAW, NL Fritz Knoll, K. 1, Mappe 2, Konv. „Akten (1935)1938“ („Liste der Arbeitenden“).
    • Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Bestand Jerusalem, A/W 2589, 6, 2046 und 2590, 239, Stock Emil.
    • Archiv der Society for the Protection of Science and Learning, Bodleian Library, University of Oxford (File 205/8).
    • Archiv der Universität Wien, Phil. Fak. Nationale WS 1933/34 (7. Semester), Rigorosenprotokoll 13805, Phil. Rig. Akt 13805.
    • Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, hg. vom Institut für Zeitgeschichte, München, und von der Research Foundation for Jewish Immigration, New York unter der Gesamtleitung von Werner Röder und Herbert A. Strauss, Bd. 2: The Arts, Sciences, and Literature, München [u.a.] 1983, 1131.
    • Engelbert Broda, Österreichische Naturwissenschaftler im Exil, in: Helene Maimann – Heinz Lunzer (Red.), Österreicher im Exil 1934 bis 1946, Protokoll des Internationalen Symposiums zur Erforschung des Österreichischen Exils von 1934 bis 1945, abgehalten vom 3. bis 6. Juni 1975 in Wien, Wien 1977, 575–581, hier: 578.
    • H. E. Goldschmidt, Die kulturelle Schriftenreihe des „Free Austrian Movement“ London 1942/1946, in: Helene Maimann – Heinz Lunzer (Red.), Österreicher im Exil 1934 bis 1946, Protokoll des Internationalen Symposiums zur Erforschung des Österreichischen Exils von 1934 bis 1945, abgehalten vom 3. bis 6. Juni 1975 in Wien, Wien 1977, 459–467, hier: 464.
    • Jack C. Horner, Seeking Racial Justice. An Insider’s Memoir of the Movement for Aboriginal advancement, 1938–1978, Canberra 2004, 40.
    • Wolfgang Muchitsch (Bearb.), Österreicher im Exil. Großbritannien 1938–1945. Eine Dokumentation, Wien 1992, 376, 466, 490, 492.
    • Reinhard Müller (Hg.), „Fluchtpunkt England“. Spuren der österreichischen Emigration in Großbritannien 1938 bis 1945, Katalog zur Ausstellung an der Universitätsbibliothek Graz im Kleinen Ausstellungsraum, Lesesaalfoyer, Mai bis Oktober 1996, Graz 1996, 59.
    • Wolfgang L. Reiter, Wissenschaft im Exil: Die Association of Austrian Engineers, Chemists and Scientific Workers in Great Britain, in: Anthony Grenville, Andrea Reiter (Hg.), Political Exile and Exile Politics in Britain after 1933 (= The Yearbook of the Research Centre for German and Austrian Exile Studies), Amsterdam 2011, 21–46.
    • Klaus Taschwer, Vertrieben, verbrannt, verkauft und vergessen, in: derStandard.at, 19.2.2013.
    • Klaus Taschwer, Vertrieben, verbrannt, verkauft, vergessen und verdrängt. Über die nachhaltige Vernichtung der Biologischen Versuchsanstalt und ihres wissenschaftlichen Personals, in: Johannes Feichtinger – Herbert Matis – Stefan Sienell – Heidemarie Uhl (Hg.), Die Akademie der Wissenschaften in Wien 1938 bis 1945. Katalog zur Ausstellung, Wien 2013, 105–115, hier: 111.


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