GEDENKBUCH

für die Opfer des Nationalsozialismus
an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Fassade und Siegel der Akademie der Wissenschaften. Bild: ÖNB-Bildarchiv, Sign. L 32.608-C bzw. Siegelsammlung des Archivs der ÖAW

Leopold Portheim


geb. am 7. Februar 1869 in Prag, gest. am 21. Mai 1947 in London

Leopold (Porges von) Portheim war Mitbegründer und Abteilungsleiter der Biologischen Versuchsanstalt (BVA) an der Akademie der Wissenschaften in Wien. Nach dem „Anschluss“ wurde er aus rassistischen Gründen verfolgt und konnte seine Tätigkeit an der Akademie nicht mehr fortsetzen. Er flüchtete 1938 nach Prag und emigrierte im selben Jahr nach Großbritannien.

Portheim wurde als Sohn des Unternehmers Eduard Porges von Portheim (1826–1907) und seiner Frau Rosa, geb. Jerusalem, in Prag geboren. Sein Vater war Vizepräsident der Prager Handels- und Gewerbekammer, 1880 bis 1885 Reichsratsabgeordneter für die liberale Verfassungspartei und ist 1879 in den Ritterstand erhoben worden. Portheim studierte Botanik an den Universitäten Prag und Wien, unter anderem bei Julius von Wiesner (1838–1916), Begründer des Pflanzenphysiologischen Instituts der Universität Wien.

Im Jahr 1902 erwarb er gemeinsam mit dem Zoologen Hans Przibram und dem Botaniker Wilhelm Figdor (1866–1938) das Vivariumgebäude im Wiener Prater, das 1873 anlässlich der Weltausstellung erbaut worden war. Dort errichteten sie die Biologische Versuchsanstalt (BVA), die am 1. Jänner 1903 eröffnet wurde und eine der weltweit ersten Forschungseinrichtungen für experimentelle Biologie darstellte. 1914 übergaben die drei Eigentümer die mittlerweile international renommierte BVA als Schenkung an die Akademie der Wissenschaften in Wien samt großzügiger Kapitalausstattung für den laufenden Betrieb. Leopold Portheim leitete die Botanische Abteilung sowie gemeinsam mit Hans Przibram die gesamte BVA.

In der nach dem „Anschluss“ erstellten „Liste der Arbeitenden“ der BVA, die auch die Abteilungsvorstände erfasst, ist Leopold Portheim als „Nicht-Arier“ gekennzeichnet. Am 13. April 1938 wurde die BVA vorübergehend geschlossen. Ab der Wiedereröffnung am 26. April war der Zutritt nur noch für die „inzwischen auf Ansuchen mit Zulassungsscheinen beteilten Arbeitenden“ möglich, so die Mitteilung in einem Schreiben des designierten Akademiepräsidenten Heinrich Srbik (1883–1981) und des kommissarischen Rektors der Universität Wien Fritz Knoll (1883–1981), der mit der „Wahrnehmung der Interessen der Landesleitung der NSDAP für die Akademie der Wissenschaften“ betraut worden war. Damit wurde jüdischen Arbeitenden spätestens mit 13. April 1938 der Zutritt zur BVA praktisch verweigert. Leopold Portheim durfte damit die von ihm mitbegründete, der Akademie übertragene und 35 Jahre lang geleitete BVA nicht mehr betreten.

Er emigrierte mit seiner Frau Elisabeth (geb. Ungar, 1886–1969) nach Prag und erreichte, nach einem Aufenthalt in der Schweiz, Großbritannien vermutlich im Dezember 1938. Im März 1939, zur Zeit des Einmarsches deutscher Truppen in Prag, befanden sich Leopold Portheim und seine Frau bei ihrer 1939 ebenfalls emigrierten Tochter Susanne Lily Rosa (geb. 1917, verh. Wallace) in London. Ihr Sohn, der Jurist Eduard Portheim (1910–1942), versuchte von Prag aus über Österreich in die Schweiz zu emigrieren. Er wurde an der Schweizer Grenze verhaftet. Eduard Portheim wurde 1940 in das Konzentrationslager Dachau deportiert und 1942 in der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz ermordet.

In Großbritannien setzte Leopold Portheim seine Forschungen am Jodrell Laboratory der Royal Botanic Gardens in Kew/London unter dem damaligen Direktor Sir Arthur William Hill fort. Er wurde unterstützt mit einem Empfehlungsschreiben des renommierten Botanikers Carl Schröter (1855–1939). Sein Sehvermögen war zu dieser Zeit so stark beeinträchtigt, dass er kein Mikroskop mehr benutzen konnte. Leopold Portheim verstarb nach langer Krankheit im Jahr 1947 in London. 1949 erhielt Elisabeth Portheim die britische Staatsbürgerschaft.


Schriften (Auswahl)


  • Leopold Ritter von Portheim, Der moderne Naturgeschichtsunterricht, hg. von K. C. Rothe, Wien 1908.
  • Ders., Regeneration bei Pflanzen, in: Albrecht Bethe (Hg.), Handbuch der normalen und pathologischen Physiologie. Fortpflanzung, Entwicklung und Wachstum, Bd. 14, [o. O.] 1927.
  • Ders., Influence of Heteroauxin on the Cotyledons of Phaseolus vulgaris L, in: Nature 159 (1947), 510.


Quellen und Literatur (Auswahl)


    • Archiv der ÖAW, Bestand BVA.
    • Archiv der ÖAW, NL Fritz Knoll, K. 1, Mappe 2, Konv. „Akten (1935)1938“ („Liste der Arbeitenden“).
    • Cheryl A. Logan – Sabine Brauckmann, Controlling and Culturing Diversity: Experimental Zoology before World War II and Vienna’s Biologische Versuchsanstalt, in: Journal of Experimental Biology 323, 4 (2015), 211–226.
    • C. R. Metcalfe, Dr. Leopold von Portheim, in: Nature 159 (21.6.1947), 835–835.
    • Gerd B. Müller – Hans Nemeschkal, Zoologie im Hauch der Moderne. Vom Typus zum offenen System, in: Karl Anton Fröschl – Gerd B. Müller – Thomas Olechowski – Brigitta Schmidt-Lauber (Hg.), Reflexive Innensichten aus der Universität. Disziplinengeschichten zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik (= 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert 4), Göttingen 2015, 355–369, hier: 359.
    • Wolfgang L. Reiter, Das Jahr 1938 und seine Folgen für die Naturwissenschaften an Österreichs Universitäten, in: Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft, Münster 22004, 664–680, hier: 670.
    • Wolfgang L. Reiter, Zerstört und vergessen: Die Biologische Versuchsanstalt und ihre Wissenschaftler/innen, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 10, 4 (1999), 585–614, hier: 593, 612–613.
    • Klaus Taschwer, Vertrieben, verbrannt, verkauft und vergessen, in: derStandard.at, 19.2.2013.
    • Klaus Taschwer, Vertrieben, verbrannt, verkauft, vergessen und verdrängt. Über die nachhaltige Vernichtung der Biologischen Versuchsanstalt und ihres wissenschaftlichen Personals, in: Johannes Feichtinger – Herbert Matis – Stefan Sienell – Heidemarie Uhl (Hg.), Die Akademie der Wissenschaften in Wien 1938 bis 1945. Katalog zur Ausstellung, Wien 2013, 105–115, hier: 111.
    • Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015, 27, 121.
    • Luitfried Salvini-Plawen, Maria Mizzaro, 150 Jahre Zoologie an der Universität Wien, in: Verhandlungen der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Österreich 136 (1999), 1–76, hier: 29.


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