GEDENKBUCH

für die Opfer des Nationalsozialismus
an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Fassade und Siegel der Akademie der Wissenschaften. Bild: ÖNB-Bildarchiv, Sign. L 32.608-C bzw. Siegelsammlung des Archivs der ÖAW

Hans Horst Meyer, kMI 1904, wM 1920


geb. am 17. März 1853 in Insterburg (Ostpreußen, heute Tschernjachowsk, Russische Föderation), gest. am 6. Oktober 1939 in Wien

Hans Horst Meyer wurde 1905 zum korrespondierenden Mitglied im Inland (kMI) und 1920 zum wirklichen Mitglied (wM) der Akademie der Wissenschaften in Wien gewählt. Nach dem „Anschluss“ wurde er aus rassistischen Gründen verfolgt. Im Dezember 1938 erklärte der Pharmakologe Meyer seinen Austritt aus der Akademie der Wissenschaften, um einem Ausschluss zuvorzukommen.

Meyer wurde als Sohn des Geheimen Justizrates Heinrich Meyer (1810–1897) und seiner Frau Aline, geb. Skopnik, in Insterburg in Ostpreußen (heute Tschernjachowsk, Russische Föderation) geboren. Nach Studien der Chemie und Botanik in Königsberg für die Dauer eines Semesters nahm er an der Universität Leipzig das Studium der Medizin auf und promovierte mit seiner Forschungsarbeit über „Harnsäurebildung beim Vogel“ im Jahr 1877 bei Max Jaffé (1841–1911) an der Albertus-Universität von Königsberg. Meyer habilitierte sich 1881 im Fach Pharmakologie an der Universität Straßburg. 1882 wurde er als Professor der Pharmakologie, Diätetik und Geschichte der Medizin an die Universität Dorpat (heute Estland) berufen. 1884 übernahm er an der Universität von Marburg an der Lahn den Lehrstuhl für Pharmakologie, wo er im Jahr 1900 auch als Rektor tätig war. 1904 wurde er auf den Lehrstuhl für Pharmakologie der medizinischen Fakultät der Universität Wien berufen. Hier war er im Studienjahr 1917/18 auch Rektor der Universität. Hans Meyer emeritierte im Jahr 1924. Von der Akademie der Wissenschaften wurde der Pharmakologe im Jahr 1905 zum korrespondierenden Mitglied, 1920 zum wirklichen Mitglied gewählt.

Meyer wurde nach dem „Anschluss“ aus rassistischen Gründen verfolgt. Am 13. Dezember 1938 erklärte er seinen Austritt aus der Akademie der Wissenschaften, um einem Ausschluss zuvorzukommen. Im selben Jahr wurde er von der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle an der Saale, wo er seit 1911 Mitglied war, ausgeschlossen. Seit 1920 korrespondierendes Mitglied, wurde er im Juni 1939 aus der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin ausgeschlossen. Meyer verstarb am 6. Oktober 1939 in Wien.

Hans Horst Meyer war einer der Begründer der experimentellen Pharmakologie. Er war Ehrenmitglied und Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften und Ehrendoktor der Universitäten Königsberg, Marburg, Riga, Dorpat, Athen und Wien. Im Jahr 1932 wurde er von der Stadt Wien zum Ehrenbürger ernannt. Anlässlich seines 70. Geburtstages im Jahr 1923 wurde die Hans-Horst-Meyer-Medaille von seinen Schülern für die Akademie der Wissenschaften in Wien gestiftet. Sie sollte alle fünf Jahre an jene Person verliehen werden, die „auf dem Gebiet der experimentellen Medicin, die beste Arbeit in deutscher Sprache veröffentlicht oder dieses Fach wissenschaftlich am meisten gefördert hat.“

Die Medaille wurde 1923 an Hans Horst Meyer, 1928 an Rudolf Magnus (Utrecht) und 1933 an Hermann Rein (1898–1953) (Göttingen) verliehen. 1938 sollte sie an Kurt H. Meyer (1883–1952), Professor für Chemie an der Universität Genf, bis 1932 Vorstandsmitglied der Firma I.G. Farbenindustrie AG und Sohn von Hans Horst Meyer verliehen werden. Diese Ehrung für einen jüdischen Wissenschaftler wurde durch den „Anschluss“ verhindert. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften hat den nach einem jüdischen Wissenschaftler benannten Preis bis heute nicht wieder verliehen. Von der Österreichischen Pharmakologischen Gesellschaft wird heute der Hans-Horst-Meyer-Preis vergeben, „um besondere Leistungen des wissenschaftlichen Nachwuchses in der experimentell-pharmakologischen und toxikologischen sowie der klinisch-pharmakologischen Grundlagenforschung anzuerkennen und ihre weitere Entwicklung zu fördern.“


Schriften (Auswahl)


  • Hans Horst Meyer – Rudolf Gottlieb, Die experimentelle Pharmakologie als Grundlage der Arzneibehandlung. Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte, Berlin 1910 (9 Auflagen).


Quellen und Literatur (Auswahl)


    • Archiv der ÖAW, Personalakt.
    • Mitchell G. Ash, Die Universität Wien in den politischen Umbrüchen des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Mitchell Ash – Josef Ehmer (Hg.), Universität – Politik – Gesellschaft (= 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert 2), Göttingen 2015, 29–172, hier: 58.
    • H.[ermann] Chiari, w.M. Hans Horst Meyer, in: Akademie der Wissenschaften in Wien. Almanach f. d. J. 1945, 95. Jg., Wien 1947, 313–319.
    • Herbert Matis, Ausschluss von Mitgliedern, in: Johannes Feichtinger – Herbert Matis – Stefan Sienell – Heidemarie Uhl (Hg.), Die Akademie der Wissenschaften in Wien 1938 bis 1945. Katalog zur Ausstellung, Wien 2013, 55–62.
    • Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015, 54.


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