GEDENKBUCH

für die Opfer des Nationalsozialismus
an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Fassade und Siegel der Akademie der Wissenschaften. Bild: ÖNB-Bildarchiv, Sign. L 32.608-C bzw. Siegelsammlung des Archivs der ÖAW

Leo Hajek / Hayek


geb. am 8. Jänner 1887 in Prag, gest. am 1. Juli 1975 in Haifa (Israel)

Leo W. Hajek war ab 1913 am Phonogrammarchiv der Akademie der Wissenschaften in Wien tätig von 1928 bis 1938 dessen verdienstvoller Leiter. Nach dem „Anschluss“ wurde er aus rassistischen Gründen verfolgt und aus dem Beamtendienstverhältnis ausgeschieden. Hajek konnte 1939 in die USA emigrieren.

Hajek wurde als Sohn von Emanuel Hajek (1857–1927) und seiner Frau Lucie, geb. Simeles (1864–1929), in Prag geboren. Die Familie zog 1889 nach Wien, wo der Vater als k.u.k. Oberpost-Kontrollor arbeitete. Leo Hajek studierte an der Universität Wien Physik und Mathematik und promovierte 1909 mit einer Dissertation über „Ausdehnungs-Koeffizienten von Gesteinen“. 1910 legte er die Lehrbefähigungsprüfung für Mathematik und Physik als Hauptfach für Gymnasien und Realschulen ab und arbeitete mit Unterbrechungen mehrere Jahre in diesem Beruf. Ab 1935 war er Lektor für experimentelle Phonetik an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien. In seiner fünfundzwanzigjährigen Tätigkeit am Phonogrammarchiv war Hajek maßgeblich an der Weiterentwicklung der Technologie der Tonaufnahme beteiligt.

Leo Hajek wurde wegen seiner jüdischen Herkunft rückwirkend mit 30. Juni 1939 aus dem Beamtendienstverhältnis ausgeschieden. Anfang Mai 1938 wurde der Nationalsozialist Walter Ruth (1905–1956) mit der Leitung des Phonogrammarchivs betraut. Leo Hajek bemühte sich unmittelbar nach dem „Anschluss“ um die Ausreise nach Großbritannien. Schließlich konnte er mit seiner Frau, der Medizinerin Auguste Hajek, geb. Neumann (1893–1982), und der gemeinsamen Tochter Susanne am 3. Juni 1939 mit einem Extra Quota-Visum für akademische Lehrkräfte nach New York emigrieren. Hajek trat noch im selben Monat die Tätigkeit als Research Assistant am Voice-, Speech-, and Soundscience Research Laboratory der Ohio State University in Columbus (OH) an. Dessen Leiter George Oscar Russell hatte ihm die befristete Stelle vermittelt. Ein Pensionsansuchen, das Hajek vor seiner Abreise an die Akademie gerichtet hatte, wurde 1940 vom Reichskommissariat für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich abgelehnt. Nach Auslaufen des Anstellungsvertrages an der Ohio State University übersiedelten Leo und Auguste Hajek im Februar 1941 nach Massachusetts, wo er seine schon in Ohio eröffnete Werkstatt für die Konstruktion und Reparatur wissenschaftlicher Geräte weiter betrieb. Ab 1943 war er als Instructor in Physics an der Northeastern University in Boston tätig und gehörte der Faculty des College of Liberal Arts und des College of Engineering an. Daneben unterrichtete er das Fach Akustik am New England Conservatory of Music in Boston. 1945 erhielten Leo und Auguste Hajek die U.S.-amerikanische Staatsbürgerschaft. 1958/59 übersiedelten sie nach Haifa. Leo Hajek verstarb am 1. Juli 1975 in Haifa.

Die Direktorenstelle des Phonogrammarchivs der Akademie der Wissenschaften in Wien war nach Kriegsende 1945 neu zu besetzen. Walter Ruth war 1942 in die Wehrmacht eingezogen worden und im April 1945 in jugoslawische Kriegsgefangenschaft geraten. Im Oktober 1945 wurde er wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft (seit 1934) seiner Leiterfunktion an der Akademie enthoben. Nach seiner Rückkehr nach Wien wurde Walter Ruth im Februar 1947 vom Präsidium der Akademie mit der Wiederinstandsetzung der technischen Einrichtung des Phonogrammarchivs betraut und nach der Begnadigung durch den Bundespräsidenten mit 1. Oktober 1948 bzw. der Befreiung von den Sühnefolgen wieder als Leiter des Phonogrammarchivs im Bundesdienstverhältnis eingesetzt. Am 27. September 1946 erhielt der Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften Richard Meister (1881–1964) Mitteilung über das Verbleiben des früheren Leiters des Phonogrammarchivs Dr. Leo Hajek, Consulting Physicist in Brooklyn, Mass., USA. Wie aus seinem Gedächtnisprotokoll vom 27. September 1946 hervorgeht, wiegelte Meister den Vermittler mit folgender Mitteilung ab: „Ich teilte Herrn Dr. Menzel mit, daß die Stelle, die Herr Dr. Hayek inne hatte, unbesetzt ist und ihm reserviert bleibt, falls er von dem Rechte der Rückkehr auf seine Stelle aus dem Titel der Wiedergutmachung Gebrauch machen will. Nur wird er in diesem Falle gebeten, dies baldigst mitzuteilen.“ Ein nachhaltiges Bemühen vonseiten der Akademie, Hajek zurückzuholen, lässt sich daraus nicht entnehmen.


Schriften (Auswahl)


    • Leo Hajek, Ausdehnungs-Koeffizienten von Gesteinen, Dissertation, Universität Wien 1909.
    • Ders., Bericht über die Ergebnisse der auf Anregung des k. u. k. Kriegsministeriums durchgeführten Sammlung von Soldatenliedern aus dem Kriege 1914–1916, in: Anzeiger der Akademie der Wissenschaften in Wien. Philosophisch-Historische Klasse, Bd. 53, Wien 1916, 82–90.
    • Ders., Ferdinand Scheminzky, Niederfrequenzverstärker in der phonographischen Technik, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien. Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse, Abt. 2a, Bd. 135, Wien 1926, 287–291.
    • Leo Hajek, Das Phonogrammarchiv der Akademie der Wissenschaften in Wien von seiner Gründung bis zur Neueinrichtung im Jahre 1927. Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien. Philosophisch-Historische Klasse, Bd. 207, Wien 1928, 1–22.
    • Ders., Die neuen Aufnahmeapparate des Wiener Phonogrammarchivs, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien. Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse, Abt. 2a, Bd. 137, Wien 1928, 529–538.
    • Ders., Einige Anwendungsmöglichkeiten des Niederfrequenzverstärkers in der experimentalphonetischen Technik, in: Vox 17, 1 (1931), 7–12.
    • Ders., Beiträge zu einer methodischen Verwertung von Sprechmaschine und Schallplatte, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien. Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse, Abt. 2a, Bd. 140, Wien 1931, 205–235.
    • Ders., Das Phonogrammarchiv der Akademie der Wissenschaften in Wien, in: Archiv für vergleichende Phonetik 1, 4 (1937), 222–230.

     


    Quellen und Literatur (Auswahl)


      • Archiv der ÖAW, Bestand Phonogrammarchiv.
      • Phonogrammarchiv, ÖAW, Quellenbestand Hajek.
      • Archiv der Society for the Protection of Science and Learning, Bodleian Library, University of Oxford (File 329/2).
      • Hugo Gold, Geschichte der Juden in Wien. Ein Gedenkbuch (= Geschichte des österreichischen Judentums 1), Tel Aviv 1966, 144.
      • Hugo Gold, Österreichische Juden in der Welt. Ein bio-bibliographisches Lexikon (= Schriftenreihe des Zwi Perez Chajes Instituts), Tel-Aviv 1971.
      • Florian Hirzinger, Dr. Leo Hajek. Die Biographie eines von den Nationalsozialisten vertriebenen Wissenschaftlers und Hörfunkjournalisten, Seminar-Arbeit am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien 2013.
      • Marlene Wahlmüller, Die Akademie der Wissenschaften in Wien. Kontinuitäten und Diskontinuitäten 1938–1945, Diplomarbeit, Universität Wien 2010.
      • Marlene Wahlmüller, Konsequenzen für das wissenschaftliche Personal am Beispiel von Leo Hajek, in: Johannes Feichtinger – Herbert Matis – Stefan Sienell – Heidemarie Uhl (Hg.), Die Akademie der Wissenschaften in Wien 1938 bis 1945. Katalog zur Ausstellung, Wien 2013, 71–79.


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