25.05.2022 | Feierliche Sitzung

175 Jahre Wissen

Verlässliches Wissen ist zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen unerlässlich. Das machte die ÖAW bei der Feierlichen Sitzung zum 175-jährigen Jubiläum ihres Bestehens deutlich.

Die Feierliche Sitzung im Festsaal ist der Höhepunkt des Akademiejahres. © ÖAW/Daniel Hinterramskogler
Die Feierliche Sitzung im Festsaal ist der Höhepunkt des Akademiejahres. © ÖAW/Daniel Hinterramskogler

Von den revolutionären Tagen des Vormärz bis zur digitalen Informationsgesellschaft der Gegenwart: Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) schaut auf eine bewegte Geschichte zurück und blickt zuversichtlich in die Zukunft. Denn Wissen wird in den kommenden Jahrzehnten wichtiger sein als je zuvor. Und die ÖAW ist seit 175 Jahren ein Garant für die Entstehung und Förderung neuen Wissens aus Wissenschaft und Forschung.

Land der Forschung

„Wir sind in unserem Land von Forschung, Wissen und Innovationskraft abhängig“, bekräftigte daher auch Martin Polaschek, Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, in seiner Rede bei der Feierlichen Sitzung 2022. Mit bedeutsamen Errungenschaften, von der Novara-Expedition über die Gründung des ersten Instituts für Radiumforschung bis hin zur Schaffung von Grundlagen für Technologien etwa in der Quantenphysik, konnte die Akademie in ihrer Vergangenheit wichtige Meilensteine in der Forschungslandschaft setzen, wie Polaschek erinnerte. Der Akademie gelang es dabei nicht nur, Visionen für die Zukunft langfristig zu verfolgen und zu realisieren, sondern auch, unmittelbar Wissen für aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen zur Verfügung zu stellen. Eine Stärke, die gerade in der Gegenwart von größter Bedeutung ist.

„Die Entwicklung der Einstellungen während der Pandemie zeigte, wie schnell es geht, dass Irrlehren Glauben geschenkt wird und Wissenschaftsskepsis sich ausbreiten kann“, erinnerte Bundespräsident und ÖAW-Schirmherr Alexander Van der Bellen bei der Feierlichen Sitzung. Dass die Akademie Fake News und der Wissenschaftsskepsis einiges entgegenzusetzen hat, betonte ÖAW-Präsident Anton Zeilinger in seinem jährlichen Bericht vor Würdenträgern, ausländischen Akademiepräsident/innen Mitgliedern, Freunden, Förderern und Mitarbeitenden.

Vertrauen in die Wissenschaft

So nahm die Akademie mit ihren Instituten in der Pandemie bereits früh eine Vorreiterrolle in Österreich ein, um beispielsweise in der molekularmedizinischen und molekularbiologischen Forschung, aber auch in vielen weiteren Forschungsbereichen neues Wissen über das Virus und dessen Auswirkungen auf den Menschen und die Gesellschaft zu gewinnen. Auch der wissenschaftsbasierte Dialog mit der Politik wurde gesucht, etwa um Lehren für die Zukunft aus der Pandemie zu gewinnen.

Im Kampf gegen Wissenschaftsskepsis ging die Akademie ganz bewusst neue Wege, um die Bevölkerung zu erreichen. Wissenschaftscomics für Kinder oder die Wiederbelebung der Tradition der öffentlichen Preisfragen sind nur zwei Beispiele. Mit dem neuen Campus Akademie wurde zudem ein Ort des Austauschs zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit mitten im Zentrum Wiens geschaffen und rechtzeitig zum Jubiläumsjahr eröffnet. Mit Aktivitäten wie diesen will die ÖAW besonders bei jungen Menschen das Vertrauen in und das Interesse an den Wissenschaften stärken.

Akademie auf Erfolgskurs

„Die gesetzliche Aufgabe der Akademie ist, die Wissenschaft in jeder Hinsicht zu fördern“, zitierte Anton Zeilinger aus dem Bundesgesetz. Und diesem Auftrag kommt die Akademie höchst erfolgreich nach. Ein Indikator für diesen Erfolg sind die Grants des European Research Council (ERC). Die ÖAW zählt zu den Top 3 an Forschungseinrichtungen in Österreich, die diese hochdotierten Förderungen einwerben. Seit 2007 war die ÖAW an 91 ERC-Grants beteiligt und konnte so über 100 Millionen Euro europäische Forschungsgelder nach Österreich holen.

Auch wenn es um visionäre Weichenstellungen in der Forschung geht, konnte die Akademie nicht nur in der Vergangenheit reüssieren sondern hat auch in der Gegenwart zukunftsträchtige Initiativen gesetzt. So wurde bereits 2015 mit der Gründung des Austrian Centre for Digital Humanities den digitalen Geisteswissenschaften in Österreich stärkere Schubkraft verliehen. Mit dem neu eingerichteten Förderprogramm „Heritage Science Austria“, bei dem es um die Erforschung und Bewahrung des materiellen Teils unseres kulturellen Erbes geht, wurde ein wichtiger Impuls gesetzt, um dieses Kulturerbe für kommende Generationen zu bewahren. Mit der Bündelung der archäologischen und altertumswissenschaftlichen Forschung der Akademie unter dem Dach des Österreichischen Archäologischen Instituts wurde zudem an der ÖAW ein Wissens-Hub der Archäologie geschaffen, der auch international bemerkenswert ist.

Ein Krieg in Europa

Apropos Geisteswissenschaften: Ihre wesentliche Rolle bei der Einordnung von Ereignissen unserer Gegenwart hat die Akademie stets betont. Denn fundiertes und faktenorientiertesWissen kann dabei helfen, unser Verständnis für gesellschaftliche Entwicklungen zu verbessern – und Geschichtsverfälschungen entgegen zu wirken.

Das machte der Osteuropa-Historiker Andreas Kappeler, Mitglied der ÖAW und ausgewiesener Experte zu den ukrainisch-russischen Beziehungen als Festredner der Feierlichen Sitzung, deutlich. In seinem Vortrag griff Kappeler eine von Russland verbreitete Erzählung auf und hielt ihr historische Fakten entgegen. Der russischen These zufolge könne die Ukraine nicht als eigenständige Nation, Kultur und Tradition betrachtet werden, während der Westen die Verantwortung für die Ereignisse in der Ukraine trage.

Kappeler stellte dagegen dar, dass Russland schon unter der Herrschaft der Zaren einen möglichen Abfall des ukrainischen Volkes als Bedrohung des gesamten russischen Imperiums betrachtete und daher Versuche einer ukrainischen Eigenständigkeit seit dem 19. Jahrhundert massiv und gewaltsam bekämpft wurden. „Diese Einstellung“, hielt Kappeler fest, „änderte sich bis zur Gegenwart nicht. Und sie ist ein Schlüssel zum Verständnis auch des gegenwärtigen Krieges.“

Dem imperialen Angriffskrieg Russlands stellte die Akademie bei ihrer Feierlichen Sitzung neben wissenschaftlicher Aufklärung durch den Festvortrag von Andreas Kappeler auch die völkerverbindende Kraft der Kunst gegenüber. Ein ukrainisches Streichquartett spielte Werke der ukrainischen Komponisten Vasyl Barvinsky (1888–1963) und Miroslav Skoryk (1938–2020).

Festvortrag von Andreas Kappeler

 

 

Auf einen Blick

175 Jahre ÖAW