28.08.2018

Zerfallendes Higgs-Boson gibt neue Geheimnisse preis

Teilchenphysiker/innen der ÖAW beobachteten am CERN erstmals den Zerfall von Higgs-Bosonen in sogenannte Bottom-Quarks. Damit kann das Standardmodell der Teilchenphysik erneut auf den Prüfstand gestellt werden.

Das CMS-Experiment am CERN. © CERN/Michael Hoch

Mit der Entdeckung des Higgs-Boson im Jahr 2012 wurde einer der letzten fehlenden Bausteine für das Standardmodell der Teilchenphysik entdeckt. Es sieht vor, dass alle Elementarteilchen des Universums erst durch die Wechselwirkung mit Higgs-Feldern ihre Masse beziehen. Die Untersuchung des vor sechs Jahren entdeckten Teilchens und seiner Eigenschaften hält Forscher/innen freilich weiter in Atem. Denn alle Geheimnisse, die das Higgs-Boson noch birgt, haben das Zeug dazu, entweder das Standardmodell endgültig zu festigen – oder aber den Weg in eine gänzlich neue Physik zu weisen.

In einer großen internationalen Kooperation unter Beteiligung von Forscher/innen des Instituts für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist am europäischen Kernforschungszentrum CERN bei Genf nun ein weiterer experimenteller Meilenstein in der Untersuchung der Higgs-Bosonen gelungen: Erstmals konnte ihr Zerfall in sogenannte Bottom-Quarks beobachtet und mit den Vorhersagen des Standardmodells abgeglichen werden.

In 60 Prozent der Fälle zerfallen Higgs-Bosonen in Bottom-Quarks, so lautet die Prognose aus dem Standardmodell. Eine Vorhersage, deren experimenteller Nachweis allerdings selbst nach der Entdeckung des Teilchens als sehr schwer zu erbringen galt. Denn während seit 2012 nicht nur der Zerfall des Higgs-Bosons in einzelne Bosonen sondern auch in unterschiedliche Fermionen, die fundamentalen Bausteine der Materie, gelang, erwies sich der eindeutige experimentelle Nachweis des Zerfalls in Bottom-Quarks als besonders komplex, da diese Bausteine auch auf andere Weise entstehen können.

Abweichungen als Tor zu einer neuen Physik

Zwei Forschungsteams am CERN unter Beteiligung des ÖAW-Instituts konnten nun in einer Publikation, die für die Veröffentlichung im Fachjournal „Physical Review Letters“ eingereicht wurde, bestätigen, dass ihnen eine Beobachtung eben dieses Zerfalls gelang. „Die genaue Vermessung der Eigenschaften des Higgs-Bosons ist ein zentraler Teil des wissenschaftlichen Programms“, erläutert Jochen Schieck die Bedeutung dieser nach jahrelanger Vorbereitung geglückten Messung. Denn: „Kleinste Abweichungen könnten eindeutige Hinweise für bisher unentdeckte Physikphänomene liefern“, so der Direktor des Instituts für Hochenergiephysik der ÖAW weiter.

Bei dem nun erstmals beobachteten Zerfall in Bottom-Quarks wurden zwar große Übereinstimmungen mit den Vorhersagen des Standardmodells gefunden. Dessen vollständige Gültigkeit ist damit allerdings noch nicht abgesichert. Die derzeitige Genauigkeit der erfolgten Messungen lasse nämlich noch Raum für Hinweise auf eine neue Physik, also auf Prozesse, die das Standardmodell nicht erklären kann, weiß Schieck. Verbesserte Messungen mit größeren Datenmengen sollen hier in einem der nächsten Schritte noch mehr Klarheit bringen. Und damit auch stärker eingrenzen, ob es Zeit für eine neue Physik ist – oder ob das Standardmodell bis auf Weiteres seine Gültigkeit behalten darf.

 

Publikation:
"Observation of Higgs boson decay to bottom quarks”, CMS Collaboration, Physical Review Letters 2018
Link zur Publikation:
https://arxiv.org/abs/1808.08242

INSTITUT FÜR HOCHENERGIEPHYSIK DER ÖAW

CERN