22.12.2017

WIE SICH KOMPLEXE GESELLSCHAFTEN ENTWICKELN

Ein internationales Team unter Beteiligung der ÖAW hat im Fachjournal „PNAS“ eine Studie publiziert, die zeigt, dass sich die Strukturen komplexer Gesellschaften weltweit erstaunlich ähnlich herausgebildet haben.

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Von traditionellen Stammeskulturen zu modernen Staaten – wie haben sich komplexe Gesellschaften entwickelt? Gibt es Gemeinsamkeiten in der Weise, wie sie entstanden sind oder wie sie sich organisieren? Und lässt sich daraus für die Zukunft lernen?

Diesen Fragen ging ein internationales Team von Forscher/innen aus Evolutionswissenschaft, Geschichte, Archäologie und Anthropologie in einem Langzeitprojekt nach. Die Wissenschaftler/innen, zu denen auch der Byzanzforscher Johannes Preiser-Kapeller vom Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gehörte, sammelten systematisch historische Daten von rund 400 Gesellschaften aus über 30 verschiedenen Regionen der Welt in einem Zeitraum, der bis zu 10.000 Jahre zurückreicht.

Triebfedern der Entwicklung

„Wie größere Gesellschaften, in denen nicht mehr jeder jeden kennt, entstehen konnten und wie erfolgreiche Kooperation und Koordination möglich wurde, ist eine seit langem brennende Frage“, erklärt Studienkoautor Preiser-Kapeller. „Die Ergebnisse unseres Projekts legen nahe, dass es dafür eine typische Kombination von Lösungen gibt, die von menschlichen Gemeinschaften auch ganz unabhängig voneinander in verschiedenen Weltregionen entwickelt wurden.“

Die Forscher/innen werteten historische Daten von rund 400 Gesellschaften aus über 30 Regionen der Welt aus.

Für ihre Untersuchung wendeten die Wissenschaftler/innen neueste Methoden der statistischen Analyse an, mit denen sie einen Index der „sozialen Komplexität“ bestimmen konnten, in den sich die Entwicklungsverläufe aller untersuchten Gesellschaften einordnen lassen. Dieser Index wiederum besteht aus neun „Bausteinen“, die sich gegenseitig beeinflussen und „Triebfedern“ in der Ausbildung komplexer Strukturen sind, wie etwa die Größe der Bevölkerung, die Infrastruktur, die Entwicklung einer Schriftkultur und somit eines tragfähigen Informationssystems und nicht zuletzt die Ausbildung einer Geldwirtschaft.

Trend zu mehr Komplexität

Obwohl die untersuchten Gesellschaften aus den verschiedensten Regionen und Epochen sehr unterschiedliche Voraussetzungen hatten, zeigten sich Parallelen in deren Entwicklung: Als insgesamt wichtigsten gemeinsamen Nenner für soziale Komplexität betrachteten die Wissenschaftler/innen die Entwicklung von Funktionen, Institutionen und Technologien, die es Menschen ermöglichen, politisch geeint zu agieren.

Die Zunahme gesellschaftlicher Komplexität geschieht schubweise.

Auch zeigte sich, dass sich viele Gesellschaften oft lange Zeit wenig verändern und die Zunahme von gesellschaftlicher Komplexität dann schubweise geschieht. Trotz vieler gegenläufiger Entwicklungen lasse sich insgesamt ein übergeordneter Trend in Richtung einer Zunahme der Komplexität beobachten, so die Forscher/innen. Zudem scheinen die Daten die These vom Krieg als „Vater aller Dinge“ zu bestätigen. Denn die Komplexität erhöhe sich besonders in jenen Gesellschaften, die kriegerisch mit anderen konkurrieren.

Für die Wissenschaftler/innen ist ihre Arbeit ein anschauliches Beispiel dafür, wie sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung durch die Anwendung naturwissenschaftlicher Methoden ausgeweitet werden kann. Dieser Ansatz sei auch vielversprechend, wenn es etwa darum geht, zu erforschen, unter welchen Umständen sich beispielsweise Diktaturen entwickeln und stabilisieren.

 

Die Studie wurde von Wissenschaftler/innen um Peter Turchin vom Wiener Complexity Science Hub durchgeführt und ist unter dem Titel "Quantitative historical analysis uncovers a single dimension of complexity that structures global variation in human social organization” in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen.

Institut für Mittelalterforschung der ÖAW