05.10.2017

WENN FAKE NEWS DIE DEMOKRATIE GEFÄHRDEN

Wachsendes Misstrauen gegenüber klassischen Medien und die Verbreitung „alternativer Wahrheiten“ in sozialen Netzwerken brachten den Rechtspopulismus in die Mitte unserer Gesellschaft, sagt W. Lance Bennett. Der US-Politikwissenschaftler warnte kürzlich auf einer Konferenz der ÖAW vor den Folgen für unsere Demokratie.

©Shutterstock.com
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Spätestens mit dem Brexit-Referendum, Donald Trumps Wahlsieg und dem Aufstieg des Rechtspopulismus in Europa ist die Rolle von Twitter, Facebook & Co. in den Fokus der öffentlichen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt. Denn durch ihre virale Breitenwirkung sind digitale Medien inzwischen zu einem bedeutenden politischen Einflussfaktor geworden. Nicht immer zum Wohl der Gesellschaft oder zur Stärkung demokratischer Entscheidungsfindung.

Beim international besetzten Symposium „Digital Media, Political Polarization and Challenges to Democracy” des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) stand kürzlich das spannungsreiche Verhältnis von Medien und Demokratie zur Debatte. Unter den Gästen war auch der Politikwissenschaftler W. Lance Bennett von der University of Washington. Im Interview erklärt er das heikle Zusammenspiel von Neoliberalismus, rechter Politik und Medienlogik.

Sie machen sich Sorgen um den Zustand der Demokratie und finden, der Begriff „Populismus“ sei verharmlosend. Was meinen Sie damit?

W. Lance Bennett: Populismus bezeichnet ja einfach nur eine generelle Wut auf Eliten, und die gibt es auf der politisch linken wie rechten Seite. Das tiefer gehende Problem ist aber, dass derzeit rechtsgerichtete Parteien weitaus mehr Wahlen gewinnen als die linken, dass ihre Organisationen größer und stärker sind, und dass sie demokratische Rechte einschränken, wenn sie an die Macht kommen.

Die Gefahr für die Demokratie ist viel gravierender als der einfache Begriff „Populismus“ nahe legt.

Die Presse wird eingeschüchtert. Donald Trump attackiert fortwährend die New York Times und CNN. Sie sehen diese Prozesse auch in Ungarn oder Polen, die jetzt ja sehr stabile rechte Regierungen haben. Die Gefahr für die Demokratie ist viel gravierender als der einfache Begriff „Populismus“ nahe legt.

Wie bedenklich ist der Einfluss der Wirtschaft auf die Politik?

Bennett: Ich würde hier zwischen zwei Stufen der Einflussnahme unterscheiden: Die erste Stufe ist die der normalen und legalen Kanäle des Lobbying. Darin waren die Konzerne sehr erfolgreich mit der Folge, dass die Mitte-Links-Parteien nach rechts rückten. So haben die Sozialdemokraten nach und nach ihre Wählerschaft verloren. Die niederländische Partei der Arbeit erhielt bei den letzten Wahlen sechs Prozent der Stimmen, die SPD in Deutschland rutschte auf etwa 20 Prozent. Diese Parteien sterben, weil sie sich zu sehr der Marktliberalisierung gebeugt haben. Und sie treiben einige ihrer Wähler/innen auch in die Arme der ultrarechten Parteien.

Die gefährlichere Entwicklung aber – die zweite Stufe – ist, dass ein paar rechtsgerichtete und nicht besonders demokratische Wirtschaftseliten den Staat soweit verschlanken wollen, dass er allein nur noch für Sicherheitsaufgaben zuständig bleibt. Der Rest, wie etwa Gesundheitsversorgung, Bildung, soziale Absicherung, sollte ihrer Meinung nach dem Einzelnen überlassen bleiben.

Sie sprechen sogar von einer Allianz zwischen neoliberal ausgerichteten Wirtschaftseliten und rechten Parteien. Warum sollten die Neoliberalen so ein großes Interesse daran haben, ausgerechnet autoritäre Bewegungen zu unterstützen?

Bennett: Die antidemokratische Lobby hat trotz des gegenwärtigen marktliberalen Trends immer noch Angst, dass die Linke vielleicht eine bessere Geschichte erzählen könnte, um die Wähler zu binden. Sie hat Angst, dass die Regierungen anfangen könnten, die Wirtschaft stärker zu regulieren, wie es etwa nach dem 2. Weltkrieg der Fall war.

Nun kann diese Lobby ihre Ideen nicht einfach verkaufen. Sie gewinnen ja keine Wähler/innen, wenn sie ihnen Sozialleistungen wegnehmen. Also nutzt sie die Wut der radikalen Rechten. Das passiert zum Beispiel in Polen. Vieles an den radikal Rechten interessiert die Wirtschaftseliten nicht, aber sie sind für sie eine nützliche Allianz. Im Grunde ist Neoliberalismus nicht demokratiefreundlich.

Welche Rolle spielen die Medien in diesem ganzen Prozess?

Bennett: Ich sehe da drei Tendenzen: Erstens erzählen die Mainstream-Medien nicht die wahre Geschichte über die Krise der Demokratie. Weil die Politiker/innen nur über Populismus sprechen, reden auch sie über Populismus und übersehen das eigentliche Problem. Deshalb verlieren – zweitens – die Menschen das Vertrauen in diese Medien und hören auf sie zu verfolgen. Junge Menschen lesen keine Zeitungen mehr, der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist in allen Ländern unter Druck. Diese Schwäche nutzen die Ultrarechten aus, um sie als angebliche „Lügenpresse“ und „Fake News“ zu denunzieren.

Und das ist die dritte Tendenz: In dem Maße, wie die Rechten die Mainstream-Presse attackieren, schaffen sie ihre eigenen Informationssysteme, die rassistische Gefühle und Wut gegenüber Minderheiten nähren.

In dem Maße, wie die Rechten die Mainstream-Presse attackieren, schaffen sie ihre eigenen Informationssysteme, die rassistische Gefühle und Wut gegenüber Minderheiten nähren.

Sie sprechen auch von rechten „Desinformations-Netzwerken“. Warum sind die so erfolgreich?

Bennett: Weil es eine Nachfrage danach gibt. Wenn die Menschen das Vertrauen in die klassischen Medien verlieren, suchen sie nach anderen Wegen um zu verstehen, was vor sich geht. Zudem finanziert das rechte Lager sein eigenes Propagandasystem. In Österreich verfügt die FPÖ zum Beispiel über sehr ausgeklügelte Websites und Social Media Plattformen, die über die Partei berichten, aber natürlich auch deren Werte transportieren. In den USA funktioniert das System anders. Hier finanzieren Milliardäre einflussreiche rechte Medien-Websites. Breitbart ist das bekannteste darunter oder Daily Caller. Trump twittert, der braucht Breitbart nicht einmal.

Demokratie funktioniert nur, wenn es einen öffentlichen Raum gibt, in dem die gesellschaftlich wichtigen Themen, eben die „res publica“, verhandelt werden können. Gibt es heute überhaupt die Möglichkeit, einen solchen verbindlichen Raum herzustellen?

Bennett: Derzeit ist die Öffentlichkeit zersplittert, und es gibt auch keinen allgemein anerkannten gesellschaftlichen Konsens, wie er etwa nach dem 2. Weltkrieg bis in die 1990er Jahre existierte. Die einzige Lösung, die ich sehe, ist, dass die Mitte-Links Parteien wieder Wege finden, auf sinnvolle Weise mit der Bevölkerung, mit jungen Bürgerinnen und Bürgern, mit prekarisierten Arbeiterinnen und Arbeitern, zu kommunizieren. Wenn sie wirklich bürgernah und inhaltsstark interagieren, könnten Sie wieder eine Wählerschaft gewinnen und ihre Botschaften über die Mainstream-Medien als gemeinsame Öffentlichkeit vermitteln, so dass die „alternative Wahrheit“ der Rechten an den Rand gedrängt werden könnte. Aber im Moment herrscht sie in der Mitte der Gesellschaft und bedroht die Demokratie.

 

W. Lance Bennett lehrt als Professor für Politik- und Kommunikationswissenschaft an der University of Washington in Seattle und ist Direktor des „Center for Communication and Civic Engagement“. Bennett gilt als international renommierter Experte für politische Kommunikation und beschäftigt sich mit dem Einfluss, den digitale Medien auf die Zivilgesellschaft haben. Zuletzt erschien von ihm „The Logic of Connective Action: Digital Media And The Personalization Of Contentious Politics” bei Cambridge University Press.

„Digital Media, Political Polarizationand Challenges to Democracy” lautete der Titel eines Symposiums des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der ÖAW, das vom 21. bis 22. September an der ÖAW stattfand. Es wurde begleitet von einem öffentlichen ORF-DialogForum im RadioKulturhaus.

 

Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung