28.02.2019

WENN DUNKLE MATERIE AUF RESONANZ STÖßT

Dunkle-Materie-Teilchen können wie Billardkugeln voneinander abprallen, um sich in Galaxien umzuverteilen – zumindest, wenn sie mit einer bestimmten Geschwindigkeit unterwegs sind. Das berichtet ein internationales Forschungsteam mit Physiker/innen der ÖAW im Fachmagazin „Physical Review Letters“.

ZUM PRESSEBILD. © ÖAW/Harald Ritsch

Dunkle Materie macht mehr als 80 Prozent der Materie im Universum aus. Sie gilt aufgrund ihrer Gravitationskraft als zentraler Baustein für die Herausbildung von Sternen und Galaxien und damit als eine Grundlage unserer Existenz. Trotz ihrer in vielen Theorien wiederholt nachgewiesenen Bedeutung, entzieht sie sich bis heute einer näheren Untersuchung. Viele ihrer Eigenschaften erscheinen nach wie vor mysteriös.

Eines dieser Mysterien der Dunklen Materie ist die Ursache ihrer ungleichen Verteilung: Wenn die einzige Kraft, durch die Dunkle Materie wirken kann, die anziehende Schwerkraft ist, dann müsste die Dichte der Dunklen Materie im Zentrum von Galaxien eigentlich sehr hoch werden. Das trifft auch für größere Systeme wie Galaxiehaufen zu. Allerdings scheint die Dunkle Materie gerade in den Zentren kleiner, lichtschwacher Galaxien – den so genannten Zwergsphäroiden –  nicht so dicht zu werden wie erwartet.

Dieses Verhalten kann erklärt werden, wenn die Dunkle Materie in der Lage ist, mit sich selbst zu interagieren. Man kann sich das so vorstellen, wie Billardkugeln, die miteinander kollidieren und sich nach einer Kollision gleichmäßiger am Billardtisch verteilen. Das Problem: Während diese Erklärung sich bei kleineren Systemen astronomisch beobachten lässt, führen die Kollisionen bei größeren Galaxiehaufen aber zu abweichenden Resultaten.

Kinderschaukeln und Teilchenphysik

Bei der Suche nach einer Lösung stießen Forscher/innen des Instituts für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gemeinsam mit Kolleg/innen des Kavli Institute for Physics and Mathematics of the Universe in Japan und des Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) nun auf einen neuen Erklärungsansatz: die Resonanz.

"Damit es überhaupt zu einer Kollision zwischen Dunkle-Materie-Teilchen kommen kann, muss eine bestimmte Resonanz getroffen werden – in Form einer niedrigen, aber sehr bestimmten Geschwindigkeit, mit der sich die Teilchen bewegen", sagt Xiaoyong Chu, Erstautor der im Fachmagazin "Physical Review Letters" erschienenen internationalen Studie. "In Zwergsphäroiden bewegen sich die Teilchen der Dunklen Materie generell langsamer. Daher ist die Wahrscheinlichkeit die Resonanz zu treffen wesentlich größer als zum Beispiel in Galaxiehaufen, wo die meisten Teilchen zumeist mit größerer Energie unterwegs sind", so der PostDoc-Forscher an der ÖAW weiter.
 
Wie ein Kind auf einer Schaukel, das mit einer ganz bestimmten Frequenz angeschoben werden muss, um höher zu schwingen, bedarf es auch bei der Dunklen Materie einer ganz bestimmten Energie, wie Co-Autor Hitoshi Murayama, Professor an der University of California Berkeley und Principal Investigator am Kavli Institute for the Physics and Mathematics of the Universe, bestätigt: "Die Teilchen der Dunklen Materie kollidieren sehr viel häufiger, wenn sie sich mit einer bestimmten Energie bewegen. Soweit wir wissen, ist dies die einfachste Erklärung für das Rätsel. Sie könnte uns beim Verständnis, was Dunkle Materie ist, ein großes Stück voranbringen", sagt Murayama.

Schlüssel für Formen von Galaxien

Von der Genauigkeit dieses Lösungsansatzes war das internationale Forschungsteam selbst überrascht. "Zuerst waren wir etwas skeptisch, ob diese Idee die Daten aus Beobachtungen erklären würde. Als wir es aber ausprobiert haben, hat sich dieser Ansatz vollständig bewährt", bestätigt Co-Autor Camilo Garcia Cely, Postdoc bei DESY.

Die neue, vom New Frontiers Research Groups Programme der ÖAW geförderte Arbeit will das internationale Forscher/innenteam nun in einem nächsten Schritt mit weiteren Messdaten überprüfen – unter anderem mithilfe des Prime Focus Spektrograph, der derzeit auf Hawaii installiert wird. "Wenn auch diese Daten unsere Ergebnisse bestätigen, wird die zukünftige und detailliertere Beobachtung verschiedener Galaxien zeigen, dass die Streuung der Dunklen Materie tatsächlich von ihrer Geschwindigkeit abhängt", sagt Murayama. Die Antwort auf dieses jahrelang ungelöste Problem könnte letztlich zur Erklärung beitragen, warum Galaxien – von den kleinsten bis zu den größten – unter der Gravitationskraft der Dunklen Materie ihre jeweilige Form eingenommen haben.

 

Pressebild

© ÖAW/Harald Ritsch


Publikation

"Velocity Dependence from Resonant Self-Interacting Dark Matter", Xiaoyong Chu, Camilo Garcia-Cely, and Hitoshi Murayama, Physical Review Letters, 2019
DOI: 10.1103/PhysRevLett.122.071103

Rückfragehinweise

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