07.08.2020 | Justinianische Pest

Was Münzen über die Pest verraten

Wie hoch ist die Zahl der Infizierten? Welche Auswirkungen hat die Pandemie? Fragen, die sich nicht allein in Bezug auf Covid-19 stellen. Sie werden auch für historische Seuchen diskutiert. Wie sich anhand von Münzen Erkenntnisse über die justinianische Pest gewinnen lassen, erklärt ÖAW-Numismatiker Nikolaus Schindel im Interview.

Seit 541 tobte die sogenannte Justinianische Pest. Auch Kaiser Justinian I. (um 482-565) soll an ihr erkrankt gewesen sein. © Wikimedia/Petar Milošević - CC BY-SA 4.0, https://bit.ly/3k0pEmB

Im Jahr 541 taucht die Pest (hervorgerufen durch das Bakterium Yersinia pestis) in Ägypten auf und erreicht 542 Konstantinopel, die Hauptstadt des byzantinischen Reichs. Über ihr damaliges Ausmaß gehen die Meinungen auseinander. Kostete die Seuche tatsächlich ein Drittel der Bevölkerung das Leben? Oder waren die Auswirkungen der sogenannten justinianischen Pest weniger schwerwiegend?

Nikolaus Schindel vom Institut für Kulturgeschichte der Antike der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hatte eine Idee: Er wollte wissen, was historische Münzen dazu sagen. Der Numismatiker untersuchte byzantinische Geldstücke aus der Regierungszeit des Kaisers Justinian I. (527–565) sowie aus dem Sasanidenreich unter König Khusro I. (531–578). „Wenn die Epidemie tatsächlich dramatische Auswirkungen hatte, könnte man eine derart starke Erschütterung des Staatswesens, der Verwaltung und der Wirtschaft auch in der Münzprägung beobachten“, erklärt Schindel. „Dann wären weniger Münzen geprägt worden.“

Wie sind Sie bei Ihren Forschungen vorgegangen?

Nikolaus Schindel: Im byzantinischen Reich waren Gold- und Kupfermünzen die Hauptwährungseinheiten, im Sasanidenreich Silbermünzen. Alle sasanidischen Prägungen dieser Zeit und die größeren byzantinischen Kupferausgaben seit 538/39 tragen das Regierungsjahr des jeweiligen Herrschers, in dem sie geprägt wurden. Man kann also sehr genau sagen, wann ein Geldstück hergestellt wurde. Ich habe die in der Kartei des Instituts für Numismatik der Universität Wien erfassten Daten zusammengestellt und die Stückzahlen der unterschiedlichen Prägejahre miteinander verglichen. Diese Kartei ist natürlich keine vollständige Sammlung aller heute vorhandenen Münzen, sie ergibt aber ein großes und repräsentatives Sample.

Die Münzen tragen das Regierungsjahr des jeweiligen Herrschers, in dem sie geprägt wurden. Man kann also sehr genau sagen, wann ein Geldstück hergestellt wurde.

Die Überlieferungsrate antiker Münzen liegt außerdem bestenfalls bei 1 : 10 000, wahrscheinlich aber eher bei 1 : 20 000. Das heißt, dass ein paar hundert überlieferte Münzen Prägevolumina von etlichen Millionen Geldstücken vertreten, die im 6. Jhdt. existierten. Auch wenn es Verzerrungen in der Überlieferung geben mag und das untersuchte Sample keine exakten Zahlen liefern kann, so lassen sich ungefähre Größenordnungen und Trends daraus durchaus ableiten.

Was ist an diesen Daten zu erkennen?

Schindel: Die Münzen aus dem byzantinischen Reich zeigen in den ersten Regierungsjahren Justinians I., die darauf angegeben werden (538/39–541/42), verhältnismäßig hohe Belegzahlen. Ab dem Jahr 542/43 sehen wir einen massiven Rückgang um weit mehr als die Hälfte. Das lässt sich relativ klar aus dem in der Kartei zur Verfügung stehenden Material ablesen. Weniger eindeutig zu beantworten ist die Frage, wie dieser Befund zu interpretieren ist.

Wie können diese Ergebnisse denn interpretiert werden?

Schindel: Eine Erklärung ist der Ausbruch der justinianischen Pest: Die Seuche kam im Frühjahr 542 nach Konstantinopel und erreichte im Sommer dieses Jahres ihren Höhepunkt. Wenn tatsächlich ein erheblicher Teil der Bevölkerung der Epidemie zum Opfer gefallen ist - es wird von 5000 bis 10000 Toten täglich berichtet -, so bedeutet das entsprechend weniger wirtschaftliche Aktivitäten, weniger Steuerzahler und weniger Konsumenten. Das hätte auch zu einer Verringerung der Münzproduktion führen können.

Wenn tatsächlich ein erheblicher Teil der Bevölkerung der Pest-Epidemie zum Opfer gefallen ist, so bedeutet das entsprechend weniger wirtschaftliche Aktivitäten, weniger Steuerzahler und weniger Konsumenten. Das hätte auch zu einer Verringerung der Münzproduktion führen können.

Es gibt aber auch eine andere mögliche Erklärung: Kaiser Justinian reformierte im Jahr 538 das Aussehen der Kupfermünzen grundlegend. Die neuen Münzen sind größer und dünner als jene aus der Zeit vor der Reform, zeigen zudem den Kaiser frontal und tragen stets ein Regierungsjahr. Zunächst wurden vermutlich verstärkt alte Geldstücke eingeschmolzen, um daraus Münzen dieses neuen Typs herzustellen. Eine alternative Erklärung für den Rückgang der Prägungen ab 542/43 wäre also, dass damals die Umgestaltung zu einem großen Teil abgeschlossen war, sodass nicht mehr so viele Münzen wie in den ersten Jahren der Reform hergestellt werden mussten. Für den Rest der Regierung des Justinian bleibt die Münzproduktion jedenfalls auf einem niedrigeren Niveau und erreicht nie wieder die Belegzahlen vor 542/43.

Sie haben auch unterschiedliche Münzstätten im Detail untersucht. Was hat das erbracht?

Schindel: Im Rahmen des spätantiken Verwaltungssystems wurden Münzen in mehreren Städten geprägt. Betrachtet man die Belegzahlen der einzelnen Münzstätten, so zeigt sich an manchen Orten im Jahr 542/43 ein Rückgang, während die Zahlen in anderen Prägestätten sogar steigen. In Konstantinopel, wo die Pest am schlimmsten gewütet haben soll, geht die Stückzahl der geprägten Münzen in diesem Jahr deutlich zurück, nämlich im Vergleich zum Vorjahr um etwa 80 Prozent. Komplett eingestellt wurde die Münzproduktion aber nirgendwo: Zu einem längeren Zusammenbruch des Verwaltungssystems ist es also nach dem Ausweis der kontinuierlichen Münzproduktion nicht gekommen, selbst wenn das Reich unter der Seuche schwer gelitten haben mag.

Was hat Ihre Analyse der Münzprägung im Sasanidenreich ergeben?

Schindel: Die Quellenlage zur Pest im Sasanidenreich ist deutlich schlechter als für Byzanz. Wir wissen lediglich, dass die Pest auch dort auftrat. Eine Zusammenschau der Stückzahlen der unter Khusro I. geprägten Münzen nach Regierungsjahren zeigt keinen Rückgang in den Pestjahren 542/43 oder 543/44; im Vergleich mit den Vorjahren steigen die Belegzahlen sogar an. In der Münzprägung lassen sich somit im sasanidischen Iran – anders als im byzantinischen Reich – keine Veränderungen feststellen, die man mit der Seuche in Zusammenhang bringen könnte. Vielleicht waren die Auswirkungen der Pest im Sasanidenreich weniger schlimm als in Byzanz, wobei - wie gesagt - auch dort die Epidemie nicht unbedingt den Rückgang des Prägevolumens verursacht haben muss. Es sind immer sehr unterschiedliche politische, wirtschaftliche und administrative Parameter, die bei der Münzprägung eine Rolle spielen. Abschließend kann man sagen, dass es im Falle des byzantinischen Reichs möglich ist, dass sich die Folgen der Pest in der Münzprägung niedergeschlagen haben. Für den sasanidischen Iran hingegen liefert die Numismatik keine Anzeichen dafür.

Komplett eingestellt wurde die Münzproduktion nirgendwo: Zu einem längeren Zusammenbruch des Verwaltungssystems ist es also nicht gekommen, selbst wenn das Reich unter der Seuche schwer gelitten haben mag.

Um die Pest geht es auch in einem weiteren Projekt, an dem sie arbeiten.

Schindel: Gemeinsam mit Kollegen von der Israel Antiquities Authority in Jerusalem arbeite ich seit einigen Jahren an einem Projekt zur umayyadischen Münzprägung, das ist die Zeit zwischen dem späten 7. Jahrhundert und dem Jahr 750, auf der Grundlage archäologischer Funde aus Israel. Die lokal hergestellten umayyadischen Kupfermünzen aus dem heutigen Syrien, Libanon, Israel und Jordanien konnten von der numismatischen Forschung der letzten Jahrzehnte recht gut datiert werden. Es scheint nun, dass in der späteren Umayyadenzeit (ab etwa 720 n. Chr.) die Häufigkeit der Münztypen und auch ihre Belegzahlen für ein bis zwei Jahrzehnte abnehmen. Wir wissen, dass es bis zum 8. Jahrhundert auch in dieser Region immer wieder Ausbrüche der Pest gab. Für die Zukunft wäre es daher interessant, zu untersuchen, ob für die Veränderungen der Prägemengen auch hier Pestepidemien eine Rolle gespielt haben könnten, wobei man sich natürlich vor einer monokausalen Erklärung hüten muss.

 

Auf einen Blick

Nikolaus Schindelist Lehrbeauftragter am Institut für Numismatik und Geldgeschichte der Universität Wien und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturgeschichte der Antike der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).