19.04.2017

Was den Buchdruck mit sozialen Medien verbindet

Der Buchdruck hat im Spätmittelalter die Handschrift nicht ersetzt. Vielmehr haben sich beide gegenseitig beeinflusst, sagt der Schweizer Literaturwissenschaftler Jürg Glauser, der an der ÖAW zu Gast war. Der Blick in die Vergangenheit lasse auch Rückschlüsse auf den heutigen Medienwandel zu.

© ÖAW / Klaus Pichler

Die Handschrift stirbt, das Buch verschwindet, Print ist tot! Sobald neue Medien entstehen, ist die Befürchtung groß, dass alte aussterben. Das hat sich jedoch historisch bislang nicht bewahrheitet, wie die Konferenz „Manuscript After Print: The Influence of Print on Post-Gutenberg Manuscript Culture” zeigte, die kürzlich auf Einladung des Instituts für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien stattfand.

Der Nordische Philologe Jürg Glauser von der Universität Basel war bei der Konferenz zu Gast und erzählt im Interview, warum mit der Erfindung der Druckerpresse handschriftliche Medien nicht unmittelbar verschwunden sind, warum Irland und Island im Mittelalter medienhistorisch besonders spannend waren und welche Parallelen es zwischen dem Buchdruck und Twitter und Facebook gibt.

Wie lässt sich historisch argumentieren, dass alte Medien durch neue nicht abgelöst werden, sondern weiter existieren?

Glauser: Das mittelalterliche Schreibsystem basierte auf der Handschrift und im 15./16. Jahrhundert kam dann mit der Druckerpresse die Möglichkeit, Texte zu drucken. Das hat aber keineswegs die handschriftliche Kommunikation direkt abgelöst, Handschrift und Druck existieren beide. Aktuell befürchten ja einige, dass mit dem Medienwandel das Buch abgelöst wird, aber das stimmt nicht. Jedoch wird sich daran, wie man Bücher herstellt, wie sie geschrieben und genutzt werden, langfristig etwas ändern. Ähnlich wie die Kritik an den heutigen neuen Medien finden sich Belege, dass man bei der Einführung der Schrift anfangs nicht überzeugt war, welche Vorteile das bringt. Neue Medien werden stets hinterfragt werden.

Inwiefern hat sich der Medienwandel vor der Druckerpresse bemerkbar gemacht?

Glauser: Im späten Mittelalter gibt es eine große Produktion von Handschriften in fast schon industriellem Stil. Besonders in den Universitätsstädten wie etwa Paris gab es im 14./15. Jahrhundert außerhalb der Klöster Schreibstuben, die Bücher für die Universitäten handschriftlich hergestellt haben. Es gab eine Buchherstellung vor der Erfindung des Buchdrucks und sehr viele Tendenzen, die Handschrift zu industrialisieren.
 

Die ersten Druckwerke orientierten sich an den spätmittelalterlichen Handschriften.
 

Wie hat sich der Buchdruck weiterentwickelt?

Glauser: Die ersten Druckwerke orientierten sich an den spätmittelalterlichen Handschriften, was beispielsweise das Layout angeht, also etwa das Verhältnis Illustration zu Text. Es gibt kaum Unterschiede zwischen einer Handschrift aus dem 15. Jahrhundert und einem Buchdruck. Durch den Humanismus haben Autoren, vor allem Wissenschaftler und Theologen, den Buchdruck gezielt angewendet, besonders während der Reformationsstreitereien. Da kann man Parallelen zu heute ziehen, weil soziale Medien ja stark für das Verbreiten von politischen Diskussionen und Wahlkämpfen verwendet werden. Genauso wurde die Reformation durch den Buchdruck von den Reformatoren vorangetrieben.

Trotz des Buchdrucks wird aber auch weiterhin handschriftlich gearbeitet?

Glauser: Ja, ein gutes Beispiel sind die Arbeiten von Erasmus von Rotterdam. Er ging zu Beginn des 16. Jahrhunderts nach Basel, denn dort gab es eine gute Druckereikultur. Er wohnte sehr lang beim Drucker Johannes Froben, schrieb seine Text dort zuerst handschriftlich und druckte sie dann. Das alte Medium des Manuskripts ist zu der Zeit nicht überflüssig geworden. Natürlich wird es allmählich für das Herstellen von Büchern nicht mehr verwendet, aber wir hören trotzdem nicht auf, handschriftlich zu schreiben, auch wenn wir uns anderer, zusätzlicher Medien bedienen. Alte Medien verändern ihre Funktion, aber sie sterben nicht aus.
 

Alte Medien verändern ihre Funktion, aber sie sterben nicht aus.
 

Welche Beispiele gibt es, die das Zusammenspiel von Druck und Handschrift belegen?

Glauser: Während die frühen Drucke aussehen wie Handschriften, gibt es historisch betrachtet allmählich eine Beeinflussung des Buchdrucks auf die Handschrift. Im 17. bis 19. Jahrhundert wurden die gedruckten Bücher abgeschrieben, die man hätte kaufen können. Besonders in Irland und Island gibt es aber eine starke Tradition der handschriftlichen Vermittlung gedruckter Texte. Das ist teilweise auch politisch bedingt, denn in Irland wurde die irische Sprache durch die englische Kolonialpolitik unterdrückt. Viele Texte mit mittelalterlichem Ursprung wurden handschriftlich kopiert, weil es entweder keine Druckereien gab, diese zu teuer waren oder das Kopieren schlicht nicht erlaubt war.

Wie hat sich das in Island entwickelt?

Glauser: Island hatte im Mittelalter eine starke mündliche und schriftliche Kultur. Es gab lange Zeit nur eine Druckerei im Besitz des Bischofs. Außerhalb von theologischen Schriften und Gesetztestexten gab es kaum Möglichkeiten, etwas zu drucken und auch die wissenschaftliche und kulturelle Konversation erfolgte handschriftlich. Von der frühen isländischen Neuzeit bis um 1900 wurden die mittelalterlichen Sagas weiterhin primär abgeschrieben.
 


Es gab beispielsweise den einfachen Bauern Magnús Jónsson í Tjaldanesi (1836–1922), der solche alten Texte Zeit seines Lebens in großer Zahl und immer wieder abgeschrieben hat. Seine Kopien waren in Buchform, die Handschriften hatten alle exakt 800 Seiten, die Zeilen und Seitenzahlen wurden wie bei einem Buch gesetzt, insgesamt schrieb er wohl sieben bis acht Millionen Wörter und zwar vermutlich im Bestreben, eine Art von kulturellem Archiv zu erstellen. Mit dem Aufkommen des Rundfunks um 1920 wurden die mittelalterlichen Texte, die auf den Bauernhöfen vorgelesen wurden, nun übers Radio verbreitet. Das zeigt sehr schön die Funktionsveränderungen, aber man hörte mit der technologischen Entwicklung nicht auf, die isländischen Sagas zu lesen.

Wie sehen Sie den Medienwandel bei Print- und Onlinemedien heute?

Glauser: Ich würde nicht von einer Ablösung von Print sprechen, sondern von einer Ergänzung. Viele Tageszeitungen verbinden Print und Online geschickt miteinander. Historisch war es so, dass bis ins 17./18. Jahrhundert einmal pro Woche eine Zeitung gedruckt wurde, im 19. Jahrhundert gab es dann mehrere Ausgaben einer Zeitung, nämlich das Morgenblatt, Mittagsblatt und Abendblatt. Das zeigt schon etwas die aktualitätsbezogene Entwicklung, die nun über Onlinemedien vermittelt wird.

 

Jürg Glauser ist Professor für Nordische Philologie an den Universitäten Basel und Zürich. Er war von 1998–2008 Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Skandinavische Studien und ist seit 2005 Mitglied des Leitungsgremiums des schweizerischen Nationalen Forschungsschwerpunkts NFS „Medienwandel - Medienwechsel - Medienwissen. Historische Perspektiven“. Glauser war u.a. Gastforscher an der Universitäten Bergen und Oslo. 2011 erschien von ihm das Buch „Island - Eine Literaturgeschichte“.

Die Konferenz „Manuscript After Print: The Influence of Print on Post-Gutenberg Manuscript Culture“ wurde vom 6. bis 7. April 2017 vom Institut für Mittelalterforschung der ÖAW in Wien veranstaltet und widmete sich dem wechselseitigen Einfluss von gedruckten und handgeschriebenen Medien am Beginn der Neuzeit.

Website der Konferenz

 Institut für Mittelalterforschung der ÖAW