17.05.2017

Vom merkwürdigen Verhalten des Beton

Mit Modellrechnungen lässt sich das Verhalten komplexer Materialien einschätzen, wie etwa Beton. Bei einer Viktor Kaplan Lecture an der ÖAW führte die Mathematikerin Laura de Lorenzis ihre Zuhörer in die vielschichtige Analyse des erfolgreichen Baustoffgemisches.

© Pixabay
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Häuser, Straßen, Staumauern – Beton ist eines der wichtigsten Baumaterialien unserer Zeit, entdeckt wurde es schon vor Jahrhunderten,  erklärte die Mathematikerin Laura de Lorenzis bei einer Viktor Kaplan Lecture  am 10. Mai 2017 im Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Auch heute noch hält Beton so manche Überraschung bereit: "Wir entdecken immer wieder neue Eigenschaften und stehen vor neuen Herausforderungen in der Erforschung von Beton."

Beton bis ins Detail zu kennen und seine mechanischen Verhaltensweisen unter bestimmten Bedingungen einzuschätzen, ist eines der zentralen Aufgaben der Wissenschaftlerin von der TU Braunschweig. Denn unvorhergesehene Schwächen im Material können schlimme Folgen haben – man denke etwa an einen erheblichen Riss in einer Staumauer, die Millionen Liter Wasser zurückhält. 

 

Jeder hat in der Schule wahrscheinlich schon Systeme von zwei, drei Gleichungen gelöst. Hier lösen wir ein System von 10 oder 100 Millionen Gleichungen.

 

Mathematische Modelle sollen helfen, solche Entwicklungen verstehen zu lernen und vorhersagen zu können. Mit klassischer Schulmathematik hat das allerdings wenig zu tun: "Jeder hat in der Schule wahrscheinlich schon Systeme von zwei, drei Gleichungen gelöst. Hier lösen wir ein System von 10 oder 100 Millionen Gleichungen", erläuterte de Lorenzis. Möglich ist das nur mit hochmodernen Computern – auch hier reicht ein einzelner Rechner längst nicht mehr aus.

Von Mega bis Nano

Um das mechanische Verhalten von Beton zu berechnen, analysieren die Forscher/innen jede Schicht des Materials, bis in den Nanobereich. "Beton besteht grundsätzlich aus drei Elementen: Wasser, Zementstein und Gesteinskörnung." Zoomt man in einen Betonklotz, so sieht man nicht nur den Zementstein und die Körnung, sondern auch deren Grenzflächen. Eine Ebene tiefer zeigt sich das Innere des Zementsteins. Dieses ist nicht homogen, sondern besteht vielmehr aus verschiedenen Teilen mit unterschiedlichen Eigenschaften.

 

 

"Diese mehrskalige Natur beeinflusst sowohl das Bruchverhalten des Materials, also wie es zu Schädigungen im Material kommt, als auch dessen Alterungsmechanismen", so die Mathematikerin. Versucht man beispielsweise das Rätsel um die Rissbildung und -verbreitung zu untersuchen, gibt die erste Schicht, genauer gesagt die Mesoskala, Aufschluss.

 

Beton ist ein sehr komplexes Material. Das macht seine Erforschung nicht leichter.

 

Ein weiteres Problem spielt sich aber auf einer Ebene darunter, im Zementstein ab.  "Beton wird häufig von Bewehrungsstahl gestützt. Normalerweise schützt der Beton diesen vor Korrosionen. Im Winter allerdings, wenn Salz gestreut wird, gelangen die darin enthaltenen Chloridionen in den Beton. Das führt zu einer Diffusion des Materials", so de Lorenzis. Diese Korrosionen führen wiederum  zu Rissen im Beton. "Das Material hier auf den unterschiedlichen Skalen zu beschreiben, ist nicht trivial und dass Beton ein sehr komplexes Material ist, macht die Sache nicht leichter."

Computertomographie mit Beton

Um hier einen Einblick zu bekommen,  bedienen sich de Lorenzis und ihre Kolleg/innen an der Medizintechnik und schicken den Beton durch den Computertomographen. Auch das klingt leichter, als es ist, meinte die Mathematikerin. Denn die Bestandteile heben sich kaum voneinander ab. Das Problem versuchen die Wissenschaftler/innen mit einem Kontrastmittel zu beheben. Hier das richtige Mittel in der richtigen Menge einzusetzen, sei aber herausfordernd. Gelingt es, steht man vor einem Durchbruch: "Sobald wir die Hürde mit dem Kontrast genommen haben und das neue numerische Modell vollständig ist, können wir das Modul verwenden und vorhersagen, was in physikalischen Experimenten mit Beton passieren sollte." Sprich unter welchen Spannungen, Druck oder unter welchen Einflüssen Beton ermüdet.

Dass de Lorenzis' Forschung auch für die Industrie interessant ist, ist wenig verwunderlich. So wird bei neuen Autos mithilfe der Mechanik beispielsweise berechnet, was bei einem Zusammenstoß mit einem anderen Objekt passiert, erzählt die Mathematikerin. "Es sind in all diesen Bereichen noch viele Fragen offen, die von den nächsten jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu klären sind. Die Materialien entwickeln sich schließlich immer weiter."

 

Laura de Lorenzis ist Professorin am Institut für Angewandte Mechanik der Technischen Universität Braunschweig. Zuvor forschte sie u.a. in den USA, Südafrika, Schweden, Italien und in Hong Kong. Sie erhielt mehrere Preise und Auszeichnungen und ist Deputy Editor-in-Chief der bei Springer erscheinenden Fachzeitschrift „Materials and Structures“.

„Numerische Mechanik komplexer Materialien: von nano bis mega“ – unter diesem Titel hielt Laura de Lorenzis am 10. Mai 2017 eine Viktor Kaplan Lecture an der ÖAW. Der nächste Vortrag der Reihe findet am 31. Mai 2017 statt. Ralph Müller von der ETH Zürich spricht über „Vibrationstherapie oder wie die Knochen hören lernten“.

 

Viktor Kaplan Lectures der ÖAW