09.03.2017

„Verwischte Zeiten“ in der Quantenwelt

Uhren befinden sich im Wechselspiel zwischen zwei fundamentalen Theorien moderner Physik. Das zeigen Physiker/innen von ÖAW und der Universität Wien im Fachjournal PNAS.

Das idealisierte Bild von Raum und Zeit in Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie ordnet jedem Punkt im Raum eine ideale Uhr zu, welche gleichmäßig tickt, ohne von benachbarten Uhren beeinflusst zu werden. Wenn jedoch sowohl quantenmechanische als auch gravitationsbedingte Effekte berücksichtigt werden, ist dieses Bild nicht länger haltbar, da die Uhren einander gegenseitig stören. Die Zeiger der Uhren werden „unscharf“ © Flaminia Giacomini, Fakultät für Physik, Universität Wien.

Physiker/innen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Wien um Časlav Brukner haben herausgefunden, dass die Genauigkeit der Zeitmessung fundamental eingeschränkt ist: Je genauer eine bestimmte Uhr arbeitet, umso mehr "verwischt" sie den Zeitfluss, den benachbarte Uhren messen. Infolgedessen ist die Zeit, die die Uhren anzeigen, nicht länger klar definiert. Diesen Nachweis erbrachten sie, indem sie Aspekte der Quantenmechanik und Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie kombinierten. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher/innen nun in „PNAS“.

Aus dem Alltag sind wir damit vertraut, dass wir Eigenschaften eines bestimmten Objekts mit beliebiger Genauigkeit bestimmen können. In der Quantenmechanik, einer der bedeutendsten Theorien der modernen Physik, erklärt jedoch die Heisenberg’sche Unschärferelation, dass es eine grundsätzliche Grenze der Genauigkeit gibt, mit der bestimmte physikalische Eigenschaften, z.B. die Energie und die Zeitangabe einer Uhr, gepaart sind: Je genauer eine Uhr geht, desto größer ist die Unschärfe in ihrer Energie. Eine beliebig genaue Uhr würde daher eine unbeschränkte Unschärfe in ihrer Energie aufweisen.
 
Ein weiteres Phänomen, das Energie und Zeit verbindet, wird von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie, der anderen grundlegenden Theorie der Physik, vorhergesagt. In der Allgemeinen Relativitätstheorie wird der Zeitfluss durch vorhandene Massen oder Energiequellen verändert. Dieser Effekt – die gravitationsbedingte Zeitdilatation – hat zur Folge, dass die Zeit nahe eines Objekts mit großer Energie langsamer läuft als in der Nähe eines Objekts mit kleinerer Energie.
 
Die Puzzlesteine zusammenfügen
Durch die Kombination dieser Grundsätze aus der Quantenmechanik und der Allgemeinen Relativitätstheorie zeigten Forscher/innen unter der Leitung von Časlav Brukner von der Universität Wien und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der ÖAW einen neuen Effekt in diesem Wechselspiel. Gemäß der Quantenmechanik weist eine sehr genaue Uhr eine sehr große Unschärfe in ihrer Energie auf; je größer die Unschärfe in ihrer Energie ist, desto größer ist die Unschärfe im Zeitfluss nahe der Uhr – so die Allgemeine Relativitätstheorie. Die Wissenschaftler/innen fügten diese Puzzlesteine zusammen und zeigten dadurch, dass sich nebeneinander angeordnete Uhren zwangsläufig gegenseitig stören müssen, was zu einem „verwischten“ Zeitfluss führt.
 
Diese Einschränkung in der Genauigkeit der Zeitmessung ist unabhängig vom zugrundeliegenden Mechanismus oder vom Material der Uhren und ist in diesem Sinne allgemein gültig. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir unsere Vorstellungen über die Natur der Zeit neu überdenken müssen, sobald Quantenmechanik und Allgemeine Relativitätstheorie gemeinsam berücksichtigt werden“, fasst Esteban Castro, Erstautor der Publikation, zusammen.

Publikation:

“Entanglement of quantum clocks through gravity”. Esteban Castro-Ruiz, Flaminia Giacomini, Časlav Brukner. PNAS, 2017