02.06.2016

Smarte neue Welt?

Bringt die Zukunft eine Diktatur der Algorithmen? Wie sehr beeinflussen smarte Technologien uns bereits heute? Der ÖAW-Technikfolgenabschätzer Walter Peissl über die neuen Herausforderungen einer digitalisierten Welt.

Bild: Shutterstock.com/g-stockstudio

Smart Phones, Smart Cars, Smart Living – Softwareprogramme helfen dem Menschen in immer mehr Lebensbereichen, Dinge zu organisieren und Entscheidungen zu treffen – oder treffen diese Entscheidungen sogar für uns. Theoretisch müsste man das Auto nämlich nicht mehr selbst einparken, auch die Milch könnte eigentlich der Kühlschrank nachbestellen.

„Alles wird intelligent, und vor allem werden alle Lebensbereiche miteinander verbunden“, sagt auch Walter Peissl vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Peissl erforscht diesen Trend schon lange. Am 30. Mai diskutierte der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler gemeinsam mit Forscher/innen aus Europa bei der Konferenz „Smart New World. Was ist smart an ‚smarten Technologien‘?“ über die Gegenwart und Zukunft der digitalisierten Gesellschaft.

Sie sind ein „begeisterter Technikfolgenabschätzer“, wie Sie auf Ihrer Homepage schreiben – was genau begeistert Sie daran?

Die Möglichkeit, sich zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen wie Technik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zu bewegen. Es ist spannend, sich zu überlegen, welche Wechselwirkungen sich künftig ergeben könnten und welche Lösungsansätze es gibt, damit mögliche negative Folgen nicht eintreten.

Alles wird immer smarter – angefangen beim Handy bis hin zu Städten oder ganzen Gesellschaften – wo führt das hin?


Wir beobachten im Moment zwei Trends: Zum einen steigt die Leistungsfähigkeit der Computer sowie der Algorithmen von Suchmaschinen, Applikationen etc. rasant. Zum anderen werden immer mehr Lebensbereiche digital verknüpft. Stichwort „Internet of things“ – alles wird miteinander verbunden sein. Wie der oft zitierte Kühlschrank, der erkennt, wenn das Milchpäckchen nur noch zu einem Drittel voll ist und automatisch nachbestellt.

Manche Wissenschaftler/innen meinen, uns steht ein gesellschaftlicher Wandel bevor, der mit dem Umbruch von der Agrar- hin zur Industriegesellschaft vergleichbar ist. Stimmen Sie dem zu?

Ich bin hier eher skeptisch. Man kann mehrere Termini zur Gesellschaftsdiagnose heranziehen wie Wissens- oder Informationsgesellschaft. Nur glaube ich nicht, dass man heute allein von einer Art Gesellschaft sprechen kann. Was aber neu ist, ist, dass tatsächlich alle Lebensbereiche von Digitalisierung betroffen sind oder sein werden – allerdings nicht gleichzeitig.

Es gibt im Rahmen der Digitalisierung immer wieder disruptive Technologien, die einen Lebensbereich von Grund auf verändern wie Smartphones im Rahmen der mobilen Kommunikation. Andere Technologien brauchen wiederum viel länger.

Haben Sie ein Beispiel?

Automatisierte Mobilität – sprich das selbstfahrende Auto, der Gütertransport ohne Lkw-Fahrer oder Taxis ohne Taxifahrer. Das wird sich nicht so schnell durchsetzen, weil wir hier einen anderen Komplexitätsgrad und dazu noch unmittelbar erfahrbare, negative Folgen haben. Wenn zwei selbstfahrende Autos nämlich mit vollem Tempo zusammenkrachen oder ein auf die Straße laufendes Kind überfahren wird, weil die Software diesen Faktor nicht miteinberechnen konnte, dann sind diese Menschen wirklich tot.

Sollte sich hingegen in einigen Jahren herausstellen, dass Edward Snowden nicht übertrieben hat, was mit unseren Daten gemacht wird, die wir über Handy-Apps, Suchanfragen usw. generieren – so ist diese Gefahr heute viel schwerer greifbar.

Apropos Snowden: Big Data ist in der Technikfolgenabschätzung ein wichtiger Bereich – was sagen unsere Daten tatsächlich über uns aus?

Eine Information allein sagt relativ wenig aus. Verbindet man aber mehrere miteinander, sagt das sehr viel mehr aus als erwartet. Eine Analyse des Verhaltens im Web zeigte beispielsweise, dass man anhand von durchschnittlich 170 Likes von Facebook-Nutzer/innen mit 60-prozentiger Wahrscheinlichkeit sagen kann, ob ihre Eltern getrennt lebten, als sie 21 Jahre alt waren.

Welche Folgen ergeben sich daraus?

Unsere Daten werden ständig miteinander verknüpft – so funktionieren auch Suchmaschinen, die uns die passenden Suchergebnisse und Werbungen präsentieren. Algorithmen berechnen aus unseren Daten aber auch so etwas wie unseren „Credit Score“ – sprich die Kreditwürdigkeit.

Jeder von uns hat seinen Wert, nur wissen das die wenigsten. Je nachdem, wo man arbeitet, wie lange man angestellt ist usw. Wohnt man in den USA auf der falschen Straßenseite, bekommt man keinen Kredit. Außerdem sieht man dort bereits, wie die errechnete Kreditwürdigkeit auch andere Bereiche des Privatlebens beeinflusst – viele Amerikaner suchen nämlich vor einem Date den „Credit Score“ des anderen auf speziellen Websites.

Den bekommt man so einfach – auch bei uns?

In Österreich nicht. Wir werden zwar „bewertet“, kommen aber – anders als in anderen Ländern – nicht leicht zu unserem „Score“.

Inwiefern spielen meine Facebook-Daten dabei eine Rolle?

Niemand weiß letztlich, welche Daten in den Algorithmus gespeist werden, der unsere Kreditwürdigkeit berechnet. Dass Facebook und Co. dabei aber nicht uninteressant sind, sieht man am Beispiel der sogenannten „Last Term“-Kredite in den USA – eine Art Schnellkredit.

Hier machen Banken aus ihrem Interesse an Social Media-Daten keinen Hehl. Will man das Geld nämlich schnell auf dem Konto haben, anstatt 24 oder sogar 48 Stunden zu warten, muss man der Bank „nur“ den Zutritt zu seinem Facebook-Account erlauben.

Ich glaube, wir sind uns noch nicht ganz bewusst, wie viel virtuelle Daten über uns aussagen – die wir mitunter unbewusst generieren – und wie viel diese Rückwirkung auf unser reales Leben haben.

Gibt es Bestrebungen seitens der Politik, dem entgegenzuwirken?

Wenn wir übergeordnet den Problembereich Datenschutz betrachten, so tritt mit 2018 die Datenschutz-Grundverordnung europaweit in Kraft. Damit werden IT-Hersteller dazu angehalten, ihre Systeme so zu bauen, dass die personenbezogenen Daten der Nutzer/innen nur mit ausdrücklicher Zustimmung freigegeben werden. Das heißt, die GPS-Ortung und andere Privatsphäre-Einstellungen müssen in Zukunft so voreingestellt sein, dass wenig Daten über Nutzer/innen erzeugt werden. Das nennt man „Privacy by Design“ oder „Privacy by Default“. Momentan ist genau das Gegenteil der Fall.

 

Walter Peissl ist Sozial- und

Wirtschaftswissenschaftler und seit 1990 stellvertretender Direktor des

ITA der ÖAW. Die Schwerpunkte seiner Arbeiten liegen im Bereich neue

Informationsgesellschaft, dem Schutz der Privatsphäre sowie bei

methodischen Fragen der Technikfolgenabschätzung. Zuletzt erschien von

ihm der Sammelband „Technikfolgenabschätzung in der österreichischen

Praxis“.

Die

Konferenz „Smart New World. Was ist smart an ‚smarten Technologien‘?“ fand am 30. Mai 2016 an der ÖAW statt.

ÖAW-Institut für Technikfolgen-Abschätzung