20.05.2019

Rhetorik als Mittel der Aufklärung

Werner Welzig war nicht nur langjähriger Präsident der ÖAW sondern auch Literaturwissenschaftler. Eine Tagung widmete sich seinem Werk als Forscher. Der Schweizer Germanist Wolfram Groddeck sprach dort über Rhetorik und erklärt im Interview, was begnadete Redner/innen ausmacht.

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Werner Welzig, der im Februar vergangenen Jahres mit 82 verstorbene Altpräsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), hat sich als Wissenschaftsmanager ins Gedächtnis der Scientific Community des Landes eingeprägt. Während seiner Zeit als Präsident von 1991 bis 2003 wurden wegweisende Reformen eingeleitet und mit den Gründungen gleich mehrerer neuer Institute wurde die Akademie als leistungsstarker Forschungsträger ausgebaut.

Doch Welzig wird auch aufgrund seiner herausragenden wissenschaftlichen Leistungen in Erinnerung bleiben. Der Literaturwissenschaftler galt zum Beispiel als bedeutender Experte zum Werk von Karl Kraus. Der Forscher Werner Welzig stand daher am 22. Mai 2019 im Mittelpunkt einer Tagung an der ÖAW mit dem Titel „Auf dem Weg durch die Zeit“, an die sich eine Lesung mit Burgschauspieler Markus Meyer und Schriften von Karl Kraus und Arthur Schnitzler anschloß.

Einer der Tagungsgäste war der Schweizer Literaturwissenschaftler Wolfram Groddeck, der über das Thema „Die menschliche Stimme in der Kunst der Rhetorik“ sprach. Im Interview erklärt er, warum die Tweets von Donald Trump langweilig sind, Zuhörer – metaphorisch gesprochen – bei der Rhetorik immer ein Wörtchen mitzureden haben, und warum Werner Welzig ein hervorragender Redner war.

Herr Groddeck, die Rhetorik hat in vielerlei Hinsicht einen schlechten Ruf. Sie lege es auf Täuschung an, produziere Worthülsen ohne Inhalt, ist der Vorwurf. Kann man, gerade in Zeiten von „Fake News“, noch eine Lanze für die Rhetorik brechen?

Wolfram Groddeck: Der schlechte Ruf der Rhetorik ist so alt wie die Rhetorik selbst, nämlich rund zweieinhalb Jahrtausende. Die Kritik kam zuerst von der Philosophie, insbesondere von Platon, der freilich selber ein begnadeter Rhetoriker war. Das Ziel einer philosophischen Rede sei das Überzeugen und nicht das Überreden, wie es die Sophisten propagierten. Aber jeder Philosophie, solange sie sich mit und in Sprache äußert, wohnt das Rhetorische wesentlich inne. Denn Sprache selbst ist immer schon rhetorisch, es gibt keine sprachliche Ausdrucksform, die ohne rhetorische Figuren und Strukturen auskäme.

Der schlechte Ruf der Rhetorik ist so alt wie die Rhetorik selbst, nämlich rund zweieinhalb Jahrtausende.

„Fake news“ hingegen hat mit Rhetorik nichts zu tun. Das Wort bezeichnet Meldungen, die nicht aufgrund ihrer sprachlichen Form, sondern aufgrund ihres manipuliert falschen Inhalts und der Verbreitung über soziale Netzwerke gefährlich sind. Der Begriff „Fake news“ ist inzwischen aber in einem kritischen Sinne unbrauchbar geworden, weil er von bestimmten politischen Positionen als Kampfbegriff gerade gegen seriöse Medien missbraucht wird. Dem entspricht im deutschsprachigen Raum das tendenziöse Gerede von der „Lügenpresse“.

Die Wendung etwas sei „bloße Rhetorik“ legt nahe, Form und Inhalt der Sprache könnten getrennt werden, als gebe es einen „wahren“ Kern hinter den Worten. Sie sehen das vermutlich anders. Wie hängen Inhalt und Form der Sprache zusammen, und gibt es ein Kriterium, gute von schlechter, vor allem moralisch zweifelhafte von „integrer“ Rhetorik zu unterscheiden?

Groddeck: Es stimmt, dass sich hinter dem Vorwurf, etwas sei „bloße Rhetorik“ ein unreflektiertes Verständnis der Begriffe „Inhalt“ und „Form“ verbirgt. Denn das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Was als „bloße Rhetorik“ erfahren wird, ist im Grunde „schlechte Rhetorik“ und kann als solche von der Theorie der Rhetorik sehr gut beschrieben und entlarvt werden. Eine Theorie der Rhetorik ist deshalb wichtig, weil sie die Formen, in denen wir reden und kommunizieren, erkennbar und beschreibbar macht und somit Unbewusstes bewusst machen kann. Die Frage, wie man „moralisch zweifelhafte“ von „integrer“ Rhetorik unterscheiden könne, ist jedoch keine Aufgabe der Rhetorik selbst, sondern eine der Philosophie, der Moral oder der politischen Vernunft.

Rhetorik als die Lehre von der Kunst der Rede kann und soll durchaus aufklärerisch wirken.

Würden Sie soweit gehen zu sagen, dass Rhetorik eine aufklärerische Funktion hat? Und sind Donald Trumps Tweets Rhetorik?

Groddeck: Rhetorik als die Lehre von der Kunst der Rede kann und soll durchaus aufklärerisch wirken. Zur Rhetorik gehört ja auch die Lehre von der Argumentation; insofern taugt das Wissen der Rhetorik vorzüglich zur Analyse von politischen Reden. Aber auch die simple Analyse der Sprachformen reicht manchmal schon aus, um zu einem fundierten Urteil zu gelangen. So fällt in den von Ihnen angeführten präsidialen Tweets die sprachliche Armut auf, die sich im exorbitanten Gebrauch von Hyperbeln und immergleichen Wiederholungen manifestiert.

Welche Rolle spielt der Zuhörer/ die Zuhörerin, der Leser/ die Leserin für die Rhetorik?

Groddeck: Es gibt keine Rede ohne Zuhörer/innen und keinen Text ohne Leserinnen oder Leser. Insofern ist der Akt der Rezeption von entscheidender Bedeutung für jede Form von sprachlicher Äußerung. Ich habe vor längerer Zeit ein Buch mit dem Titel „Reden über Rhetorik“ geschrieben, das den Untertitel hat: „Zu einer Stilistik des Lesens“. Denn das Lesen oder schon das Zuhören bewegt sich meiner Beobachtung nach in den gleichen Sprachformen wie der formulierte Text selbst, aber gleichsam reziprok: Beim verstehenden Hören oder Lesen werden die Figuren und Tropen der Rede (Ironie, Metapher, Hyperbel usw.) quasi zurückübersetzt, um die „eigentliche“ Aussage zu erkennen. Dieser Prozess der Rückübersetzung gelingt aber nie vollständig, und die Rezeption selbst muss produktiv werden – gerade darin liegt der Reiz und der intellektuelle Mehrwert beim Zusammenspiel von Reden und Hören. Wenn jedoch Rezipienten und Rezipientinnen zu diesem kreativen Akt nicht in der Lage sind, lasten sie ihr eigenes Unvermögen schnell einmal „der Rhetorik“ selbst an.

Es gibt keine Rede ohne Zuhörer/innen und keinen Text ohne Leserinnen oder Leser. Insofern ist der Akt der Rezeption von entscheidender Bedeutung für jede Form von sprachlicher Äußerung.

Von Werner Welzig stammt folgender Satz: „Die Medien … generieren das Geschehen als dessen Berichterstatter sie sich gerieren. Die Medien schaffen die Figuren, über deren Vorhandensein wir uns dann gemeinsam auflagen- und quotensteigend erregen können. Wir sind die Sprecher dieses Stückes, das hier aufgeführt wird, aber der Text ist nicht von uns.“  Würden Sie dieser Einschätzung zustimmen?

Groddeck: Werner Welzigs Satz über die „Medien“ ist eine pointierte, rhetorisch gekonnte Aussage, bei der man übrigens auch die Nähe zur sprachlichen und intellektuellen Präzision eines Karl Kraus spürt. Ob die dergestalt pointierte Aussage nun „inhaltlich“ stimmt, kann man bezweifeln; aber ein solcher Zweifel betrifft nicht den rhetorischen Sinn des Satzes, der vielmehr darin sich realisiert, dass wir über Praxis und Wirkung der Medien genauer nachzudenken beginnen. Der Wahrheitsgehalt des Satzes von Werner Welzig, seine aufklärerische Qualität, ist also von einer adäquaten Rezeption abhängig, die seine pointierte Aussage provoziert.

 

Wolfram Groddeck studierte an den Universitäten Basel und Berlin Germanistik, Philosophie und Musikwissenschaft. 1993 wurde er Extraordinarius für Textkritik und Rhetorik an der Universität Basel. Gastprofessuren führten ihn regelmäßig an die John Hopkins University in Baltimore. Von 2006 bis zur Emeritierung 2014 lehrte er als Ordinarius an der Universität Zürich neuere deutsche Literaturwissenschaft. 2917 wurde er mit dem Friedrich-Nietzsche-Preis ausgezeichnet.

Die Tagung „Auf dem Weg durch die Zeit“ zu Ehren von Werner Welzig fand am 22. Mai 2019 statt. Im Anschluss daran las Burgschauspieler Markus Meyer aus Schriften von Karl Kraus und Arthur Schnitzler 

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