26.05.2017

„Nur die Spitze des Eisbergs“

Die Krebsforschung hat eine Methode entwickelt, in der schädliche Proteine mit der zelleigenen „Müllabfuhr“ entfernt werden können. An der ÖAW sprach der Biochemiker James Bradner über das Potenzial dieser Technik für zukünftige Anwendungen.

Bild: Shutterstock
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Es ist ein ambitioniertes Projekt: Der US-amerikanische Krebsforscher James Bradner, Präsident der Novartis Institute for BioMedical Research, möchte endgültige therapeutische Antworten auf Krebserkrankungen finden. Wie er dieses Ziel erreichen will, darüber sprach er bei der "Landsteiner Lecture" des CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) am 15. Mai 2017 im Festsaal der ÖAW.

Gemeinsam gegen die tückischen Zellen

Bradner forscht bereits seit einigen Jahren an neuen Ansätzen in der Krebstherapie. Die biomedizinische Forschung sei nicht nur langwierig und mühsam, sondern auch teuer und unsicher: "Millionen von möglichen Wirkstoffen werden untersucht, damit man zehn Jahre später ein Molekül erhält, das eventuell für Therapiezwecke geeignet ist", sagt er. Zwar verstehe man viele molekulare und chemische Mechanismen, allerdings fehlten oft langfristig wirksame Therapien. Es sei naiv zu glauben, dass das Ausschalten eines einzigen, krebsrelevanten Moleküls dazu führe, die Krankheit dauerhaft im Griff zu haben. Denn Krebszellen sind tückisch, mutieren rasch, sind sehr heterogen. Die Lösung? Eine Kombination aus mehreren molekularbiologischen Therapien.  

Das Krebswachstum bremsen

Derzeit wird an unterschiedlichen Ansätzen gearbeitet, um gezielt jene Moleküle anzugreifen, die den Unterschied zwischen einer normalen Zelle und einer Krebszelle ausmachen. Gene wie das sogenannte „Myc“, die bei einer Erkrankung mutieren und so maßgeblich daran beteiligt sind, aus einer normalen Zelle eine sich ungebremst teilende Krebszelle zu machen, können derzeit nicht direkt bekämpft werden. Daher haben Bradner und seine Wissenschaftler/innen vor allem Proteine im Visier, die als Informationsträger für das ungehemmte Wachstum von Krebszellen verantwortlich sind.

Der Krebs hat vergessen, dass er Krebs ist.


Eines dieser Proteine, das sogenannte „Brd4“, aktiviert Myc. Gemeinsam mit seinem Team hat Bradner das kleine Molekül "JQ1" entwickelt, das Brd4 erfolgreich hemmt. Der Krebsforscher behandelte damit etwa einen älteren Patienten mit unheilbarer Leukämie im fortgeschrittenen Stadium. Die Knochenmarksuntersuchungen zeigten ein beachtliches Ergebnis, denn die Leukämiezellen hatten ihre krankmachende Form verloren - die gesunden Körperzellen waren wieder hergestellt: "Der Krebs hat vergessen, dass er Krebs ist", sagte Bradner. Seitdem kooperiert er mit Forscher/innen und Laboren weltweit und stellt Proben mit JQ1 zur Verfügung.

Den zellulären Müll abbauen

Doch das allein war den Forscher/innen nicht genug, denn Krebszellen entwickeln häufig Resistenzen gegen neue Wirkstoffe. Brustkrebszellen, die im Labor mit JQ1 behandelt wurden, wuchsen stärker, je höher die Konzentration des Wirkmoleküls war. Die Krebszellen hatten gelernt, mit JQ1 umzugehen und zeigten epigenetische Veränderungen, um Myc ungehemmt weiter zu aktivieren.

Das ist wie ein Müllmann, denn es markiert ein Protein und zerstört es dann gezielt


Daraufhin suchte Bradner nach Ideen, um Brd4 als Ganzes abzubauen. Dabei konnte er auf neuen Forschungen aufbauen, die zeigten, dass das tumorwachstumshemmende Arzneimittel Thalidomid ein bestimmtes Protein namens Cereblon bindet. Dieses hat eine wichtige Rolle beim Abbau von Proteinen: "Das ist wie ein Müllmann, denn es markiert ein Protein und zerstört es dann gezielt", erzählt er. Wenn Thalidomid sich an Cereblon bindet, hat es gewissermaßen eine Orientierungsfunktion für Cereblon. Es leitet Cereblon an das Protein, das markiert und dann abgebaut werden kann.

Daher koppelte Bradner Thalidomid an JQ1, um den Müllentsorger Cereblon gezielt an das krebsfördernde Protein Brd4 heranzuführen und zu entsorgen  – und tatsächlich: Brd4 wurde erfolgreich zerstückelt und nach 40 Minuten abgebaut. Es gelang Bradner und seinem Team, weitere Moleküle in Krebszellen auf diese Art dauerhaft zu entsorgen. "Der Abbau dieser Proteine ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs", sagt er abschließend. Eine seiner Zukunftsvisionen ist es, eines Tages Therapieansätze zu haben, die auf die RNA der Krebszellen abzielen.

 

James Bradner war als Vortragender zu Gast auf Einladung des CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW.

Er hielt die 11. Landsteiner Lecture, benannt nach dem österreichisch-US-amerikanischen Pathologen Karl Landsteiner, der 1930 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

 

CEMM Forschungszentrum für molekulare Medizin der ÖAW