„95 Prozent des Universums sind uns noch vollkommen unbekannt - sie bestehen aus dunkler Materie und dunkler Energie. Es gibt also noch genug, was entdeckt und erklärt werden muss.“ Mit dieser indirekten Aufforderung wandte sich die italienische Physikerin und Generaldirektorin des CERN, Fabiola Gianotti, am 27. April 2017 an 80 Mädchen aus Teilen von Niederösterreich, Wien und Linz. Es war „Girl´s Day“ im Naturhistorischen Museum Wien – jene Initiative mit der das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft den potenziellen, weiblichen Naturwissenschaftsnachwuchs des Landes mobilisieren will.
Und dieser zeigte sich durchaus interessiert und kritisch: „Wenn wir nicht wissen, was dunkle Materie ist, wie weiß man, dass es sie überhaupt gibt“, so eine Schülerin aus Linz. Eine Frage, die Gianotti, die auf Einladung des Instituts für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien war, schmunzeln ließ und ein reges Murmeln durch den Raum schickte. „Exzellente Frage“, lobte die Physikerin. „Wir wissen es indirekt“, fuhr sie fort und erklärte, dass es mehr als die sichtbare Materie geben muss, denn sonst könnten sich die Sterne nicht so bewegen, wie sie es tun.
Wenn es nach Gianotti geht, bringt diese junge Oberösterreicherin bereits eine wesentliche Eigenschaft mit, die es braucht, um Wissenschaftlerin und vielleicht eines Tages sogar CERN-Chefin zu sein: Sie ist neugierig. „Als Kind habe ich ständig alle mit Fragen gelöchert“, erinnerte sich die Physikerin. Nun versucht sie, Fragen zu beantworten. „Wenn es kein Problem gibt, das man lösen muss, ist man als Wissenschaftlerin unzufrieden – es ist einfach langweilig." So gehe sie auch an ganz andere Herausforderungen heran, wie etwa das CERN-Budget.
Mehr Wissenschaftlerinnen für das CERN
Woraus besteht meine Hand, fragte die Wissenschaftlerin dann beispielhaft in den Raum und führte damit ihr junges Publikum in die Welt der Atome, Protonen und Quarks und somit in die Welt von CERN und des dortigen Large Hadron Colliders. Jene Apparatur am Europäischen Kernforschungszentrum, mit dem hunderte Forscherinnen und Forscher versuchen, unter anderem das Geheimnis um die dunkle Materie zu lösen. 20 Prozent der dortigen Belegschaft sind Frauen. Das, so Gianotti, sei zu wenig.
Um mehr über unser Universum und dessen Entstehung herauszubekommen, wird es künftig auch mehr Physikerinnen sowie Ingenieurinnen, Elektronikerinnen, Informatikerinnen und Chemikerinnen brauchen, die mit ihren Ideen Licht ins Dunkle bringen, so die klare Botschaft der CERN-Chefin.
Das Universum aus erster Hand erklärt
Wo man derzeit in der Beantwortung der Fragen rund um das Universum steht, erfuhren die Schülerinnen dann im Anschluss an die Fragerunde, die Gianotti gemeinsam mit Vizekanzler und Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner absolvierte, in einer Sonderführung durch die erfolgreiche ÖAW-Ausstellung „Wie alles begann“. Hier ließen es sich NHM Wien-Generaldirektor Christian Köberl, der auch Mitglied der Akademie ist, und Jochen Schieck, Direktor des ÖAW-Instituts für Hochenergiephysik nicht nehmen, die Schülerinnen selbst durch die Räume zu führen und ihnen die Entstehung des Universums zu erklären.
Auf die Frage, wer es sich vorstellen könnte, eines Tages in die Naturwissenschaft zu gehen, reagierten immerhin gut ein Viertel der Mädchen mit einem Handzeichen. Groß war das Interesse der Schülerinnen auch daran, einen Klassen-Besuch am CERN zu organisieren. „Schülerinnen und Schüler bleiben drei Tage bei uns und wir machen mit ihnen viele Experimente und erklären die Arbeit am Kernforschungszentrum“, so Gianotti. Und wer nicht ganz so weit reisen will: Auch das Institut für Hochenergiephysik wird einen Schnuppertag für interessierte Schülerinnen vom „Girl’s Day“ anbieten. Dort kann man dann schon viel über das CERN lernen – schließlich arbeitet das ÖAW-Institut seit inzwischen 50 Jahren eng mit der großen Forschungseinrichtung in Genf zusammen.