05.05.2017

Mit Papagei und ohne Holzbein

Der ÖAW-Kulturwissenschaftler Eugen Pfister erforscht Piraten als literarische und historische Figuren. Die realen Freibeuter waren aufs Kämpfen nicht so versessen, wie Computerspiele uns heute glauben machen.

Bild: Shutterstock

Legende und Wirklichkeit liegen bei den Freibeutern der Meere eng beieinander. Seit der Antike gibt es den Begriff „Piraten“. Damals stand das Wort für Personen, die sich zur See oder im Küstenraum gewaltsam des Besitzes anderer Personen oder sogar der Personen selbst, zum Zweck der Lösegelderpressung, bemächtigen. Doch Piraten verbreiteten nicht nur Schrecken, immer wieder in der Kulturgeschichte faszinierten sie auch als von gesellschaftlichen Zwänge befreite Individuen. Davon zeugen heute nicht zuletzt populäre Filmreihen, wie „Fluch der Karibik“.

Der Historiker und Kulturwissenschaftler Eugen Pfister vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) beschäftigt sich bereits seit Längerem in seiner Forschung mit dem sozialen Typus des Piraten in Geschichte, Literatur und Popkultur. Im Interview erklärt er, was dran ist am Mythos „Pirat“ und warum wohl nur die wenigsten von ihnen Holzbeine oder Piratenschätze besaßen.

Der Pirat ist eigentlich ein Verbrecher auf dem Meer. Was macht die Faszination dieser Figur aus, warum funktioniert der Mythos des Freibeuters?

Eugen Pfister: Der Reiz dieser Figur liegt in der Ambivalenz. Sie suggeriert einerseits die Vorstellung eines freien, ungebundenen Lebens jenseits gesellschaftlicher Zwänge. Die Karibik mit ihren Sandstränden und Palmen als Ort der Handlung verstärkt diese Utopie an der Grenze der bekannten Zivilisation. Gleichzeitig führt das gängige Narrativ wieder zurück in die gesellschaftliche Ordnung. Am Ende heiratet der Pirat die Prinzessin oder die Gouverneurstochter und wird selbst Gouverneur oder Plantagenbesitzer, was ja teilweise eine historische Entsprechung hat. Es sind also Erziehungsgeschichten, man spielt ein bisschen Freiheit und dann kehrt man in geordnete Verhältnisse zurück.

Der Reiz der Figur des Piraten liegt in der Ambivalenz.


Der Mythos ist die eine Sache, die Realität eine andere. Was weiß man über historische Piraten?

Pfister: Es gibt Piraten, seitdem Handel existiert, und sie waren ursprünglich selbst Händler und Schmuggler. Wenn das Verkaufen von Gütern nicht möglich war, dann wurde halt geraubt, die Grenzen waren fließend. Man sprach auch von „commerce au bout de la pique“, also von Handel mit vorgehaltenem Speer. Geforscht habe ich vor allem zur Karibik des 16. und 17. Jahrhunderts. Dort gab es die sogennannten  Bukaniere, ehemalige europäische Seefahrer und Matrosen, die in der Karibik geblieben waren, als Jäger lebten und versuchten, die Häute von Rindern an vorbeifahrende Schiffe zu verkaufen. Nach und nach tendierten sie dazu, diese Schiffe auch zu überfallen, was natürlich lukrativer war.

Diese Aktionen wurden von den Kolonialmächten aber auch instrumentalisiert?

Pfister: Es war eine Symbiose. Man muss bedenken, dass die Karibik damals extrem schwer erreichbar war. Anfangs gingen die Überfälle von Europa aus und endeten auch wieder dort. Es waren große und teure Unternehmungen, in denen viel Geld steckte, und unter der Hand waren auch die Regierungen beteiligt. Königin Elisabeth hat bei Francis Drake ordentlich investiert, aber natürlich nicht offiziell. Mit den Bukanieren vor Ort entwickelte sich eine neue Form der Piraterie, für die nicht viel Geld lukriert werden musste. Die Kleinpiraten waren zwar nicht vollständig zu kontrollieren, sie wurden aber dazu benutzt, die Landnahme vorzubereiten. Sie erkundeten die Gegend, stellten erste Kontakte zu den Indigenen her und bewachten später die Plantagen. Frankreich etwa setzte die Filibustiers ein, um eigene Gebiete vor spanischen Überfällen zu schützen. Die Geschichte ist hier voll von ungewöhnlichen Biografien, die durchaus zum Romanstoff taugen.

 

Der große literarische Boom begann mit den Abenteuerromanen des 19. Jahrhunderts.

 

Als literarisches Motiv wurde der Pirat aber erst später groß.

Pfister: Piraten sind schon bei den alten Griechen und Römern erwähnt, in Cäsars Biographie etwa. Auch in Shakespeares Theaterstücken spielen sie eine Rolle. Der große literarische Boom begann mit den Abenteuerromanen des 19. Jahrhunderts, etwa mit Emilio Salgaris Corsaro Nero oder Rafael Sabatinis „Captain Blood“, die dann ab den 1920er Jahren auch verfilmt wurden. Nach einer großen Mode der Piratenfilme bis in die 1950er Jahre ebbte das Interesse wieder ab, ist aber jetzt durch „Fluch der Karibik“ und auch durch diverse Computerspiele wieder neu entfacht.

Sie sagen, dass sich das Piratenmotiv zum Ende des 20. Jahrhunderts noch einmal verändert, vor allem in den Computerspielen.

Pfister: Bei den Computerspielen, etwa dem älteren „Pirates“, einer Art Wirtschaftsspiel, oder bei „Assasin’s Creed“, verändert das Medium selbst die Botschaft. Anders als in Romanen oder Filmen geht es hier ja nicht mehr um eine klassische Erzählung mit Anfang und Ende, sondern um Eingriffsmöglichkeiten mit mehreren Optionen. Die Spielmechanik steht im Vordergrund, so dass es schwieriger wird, das Ganze in ein erzieherisches Narrativ einzupressen. Zu denken gibt mir, dass es bei den allermeisten Computerspielen vornehmlich ums Kämpfen geht. Die historischen Bukaniere konnten sich verlustreiche blutige Auseinandersetzungen nicht leisten, und haben eher auf Einschüchterung gesetzt. Oft haben sich die überfallenen Schiffe kampflos ergeben.

Warum stellt man sich Piraten eigentlich immer mit Papagei auf der Schulter, einem Holzbein oder einer Hakenhand vor?

Pfister: Sie waren schon ein sehr farbenfrohes Völkchen und kleideten sich, wie es heute teilweise die Dragqueens tun. Bartholomew Roberts etwa, einer der erfolgreichsten Piraten des 18. Jahrhunderts, trug einen riesigen Brokatmantel und dicke Diamantenringe. Exotische Tiere waren beliebt. Man hatte ja auch leichten Zugang zu ihnen. Von daher ist der Papagei ganz richtig. Das Holzbein als Motiv ist halb zutreffend. Auf einem Schiff zu arbeiten war hochgradig gefährlich. Da wurden Körperteile auch mal schnell zerquetscht. Aber Versehrte konnten nicht mehr kämpfen. Daher wurden sie meistens nur noch in der Kombüse eingesetzt. Auch der Piratenschatz ist ein Mythos. Wir kennen nur einen einzigen Fall eines vergrabenen Schatzes. Im Normalfall blieb im Piratenleben kein Geld übrig, weil alles sofort für Alkohol ausgegeben wurde. 

 

Eugen Pfister ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW sowie Lehrbeauftragter an der Universität Wien. Er studierte Geschichte und Politikwissenschaft an der Université Paris IV – Sorbonne und der Universität Wien. Seine Promotion verfasste er an der Universita degli studi di Trento und an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Seit 2015 betreibt er den Forschungsblog „Spiel-Kultur-Wissenschaft. Mythen im Digitalen Spiel“.

Mehr zu Piraten und ihrer Erforschung kann auch auf Radio Ö1 erfahren. Die Reihe „Betrifft Geschichte“ hat dazu Interviews mit ÖAW-Wissenschaftler Eugen Pfister und Andreas Obenaus von der Universität Wien geführt.

Ö1 Betrifft Geschichte

Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW