03.04.2017

Mathematik für die „inneren Werte“

Wie sieht das Innere eines Gehirns aus oder wie verläuft die Maserung eines Baums? Vor 100 Jahren publizierte der österreichische Mathematiker Johann Radon eine Formel, mit der das verborgene Innere sichtbar wird: Die Radon-Transformation.

Bild: Shutterstock

Der Titel seiner Abhandlung war denkbar unspektakulär: „Über die Bestimmung von Funktionen durch ihre Integralwerte längs gewisser Mannigfaltigkeiten“ nannte der österreichische Mathematiker Johann Radon einen Aufsatz, den er 1917 an der Königlich-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig veröffentlichte. Umso spektakulärer erweist sich hundert Jahre später die darin ausgearbeitete „Radon-Transformation“. Denn heute spielt die mathematische Formel eine wichtige Rolle in zahlreichen Anwendungsgebieten: von der medizinischen Diagnostik mit bildgebenden Verfahren bis zu Astrophysik und Materialprüfung.

Das Johann Radon Institute for Computational and Applied Mathematics der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) nahm das 100ste Jubiläum der „Radon-Transformation“ zum Anlass, um weltweit führende Mathematiker/innen an seinen Standort nach Linz einzuladen. Dort diskutierte die Fachwelt kürzlich über neue Trends und Anwendungsgebiete der Methode.

Otmar Scherzer, Gruppenleiter am ÖAW-Institut, spricht im Interview über das Mathematik-Genie Johann Radon, die heutige Bedeutung seiner Berechnungen und über die Schönheit der Mathematik.

Johann Radon hat seine Formeln 1917 publiziert. Damals hat die Computertomographie – heute eines der wichtigsten Anwendungsgebiete der „Radon Transformation“ – noch keine Rolle gespielt. War sich Radon der Bedeutung seiner Berechnungen bewusst?

Otmar Scherzer: Keinesfalls. Aufzeichnungen zufolge hat er auch nie in seinen Vorlesungen darüber gesprochen. Das berichtete ein Kollege eben auf der Tagung. Es war eine mathematische Spielerei, sagt man. Auch in Nachrufen, die Kollegen anlässlich seines Todes im Jahre 1956 verfasst haben, ist sie mit keinem Wort erwähnt.

Erst als der erste Röntgentomograph gebaut wurde, entdeckte man, dass Radon diese Berechnungen bereits gemacht hatte.

Erst als Allan M. Cormack und Godfrey N. Hounsfield 1965 den ersten Röntgentomographen bauten, entdeckte man, dass Radon diese Berechnungen bereits gemacht hatte. Erst zu diesem Zeitpunkt bekam seine Arbeit die entsprechende Anerkennung.

Wie genau funktioniert die Radon-Transformation?

Scherzer: Allgemein gehen Röntgenstrahlen gerade durch den Köper durch. Damit erfährt man die Dichte des Körpers entlang dieser Linie. Das heißt, ein Knochen hat eine größere Dichte als Haut und ist deshalb auf dem Röntgenbild sichtbarer. Um nun aus diesem zweidimensionalen Bild das Innere eines Köpers zu berechnen, muss man den Köper zunächst von allen Seiten durchleuchten. Mithilfe der Radon-Formeln wird dann aus der Vielzahl an zweidimensionalen Bildern das Körperinnere berechnet. So funktioniert auch die Computertomographie, mit der man krankhafte Veränderungen im Gewebe sichtbar machen kann. Grundsätzlich könnte man für andere Zwecke auch Schallwellen oder Gammastrahlen verwenden.

Weiß man, warum Radon diese Rechnungen anstellte?

Scherzer: Er hat sich damals mit der konvexen Analysis beschäftigt. Dabei hat man versucht herauszufinden, aus wie vielen Richtungen man auf ein einfaches Objekt schauen muss, um es eindeutig rekonstruieren zu können. Es existieren ein paar Aufzeichnungen, wonach er mit Kollegen darüber gesprochen hat. Aber es lagen dem mit Sicherheit rein mathematische Überlegungen zugrunde. An eine Anwendung wie in der Computertomographie dachte Radon nicht.

 

 

Was macht die „Radon-Transformation“ 100 Jahre später so bedeutend?

Scherzer: Einerseits ist es wunderschöne Mathematik, die nichts von ihrem Charme verloren hat. Zudem gibt es immer neue Anwendungen. Der US-amerikanische Mathematiker Alexander Katsevich hat beispielsweise einen Computertomographen für Bäume entwickelt – damit wird die Maserung des Holzes eruiert. Auf diese Weise lässt sich vermeiden, dass bei der Holzverarbeitung – zu Möbelstücken beispielsweise – unnötig viel Verschnitt anfällt.

Die Formeln Radons sind exakt und daher nicht zu überbieten.

Ein solches Verfahren muss allerdings schnell gehen, schließlich hat man beim Holzfällen nicht ewig Zeit, um sich dafür zu entscheiden, ob man einen Baum fällt oder nicht. Dafür wurde Katsevich, der bei der Tagung zu Gast war, etwa von Carl Gustav von Schweden ausgezeichnet – mit einem Preis, den man als Mathematik-Nobelpreis bezeichnen könnte. 

Gäbe es eine Alternative zur „Radon-Transformation“?

Scherzer: Nein, die Formeln Radons, die von den Röntgenbildern auf das Körperinnere rechnen, sind exakt, und daher nicht zu überbieten. Alle Alternativen, die bisher publiziert wurden, kommen an Radon nicht heran. Das war einfach seine geniale Mathematik. Einzig die Technik, mit denen man das Innere von Gegenständen oder Menschen berechnet sowie die Leistungsfähigkeit der Computer lassen sich verbessern. Nicht aber die Formel an sich.

 

Otmar Scherzer ist Mathematiker und leitet die Forschungsgruppe „Inverse Problems and Mathematical Imaging“ am Johann Radon Institute der ÖAW in Linz. Scherzer leitet auch das Computational Science Center der Universität Wien. Zuvor forschte er u.a. an den Universitäten Linz, München, Bayreuth, Innsbruck und Vancouver.

Die Konferenz „100 Years of the Radon Transform” fand vom 27. bis 31. März 2017 am Standort des Johann Radon Institute der ÖAW am JKU Science Park statt.

100 Years of the Radon Transform


Video:

Die “Radon-Transformation” und ein

Origami-Vogel: Video-Interview von derstandard.at mit Otmar Scherzer.

 Video-Interview 

 

 

 

 

 

 

 

 Johann Radon Institute for Computational and Applied Mathematics der

ÖAW