20.09.2016

Materie unter Druck

Wie verändert sich Materie unter extremen Bedingungen? Dieser Frage widmete sich der russische Physiker Vladimir Fortov in einem Vortrag an der ÖAW – und nahm seine Zuhörerschaft mit auf eine Reise vom Inneren der Erde in die Weiten des Weltalls.

© Matthias Silveri/IIASA
© Matthias Silveri/IIASA

Friert man Wasser, wird es fest, kocht man es, verdampft es. Das weiß jeder. Ausschlaggebend sind dabei die richtige Temperatur sowie der Druck. Dieses Prinzip ändert sich allerdings, wenn der Druck enorm steigt, wie beispielsweise im Zentrum des Erdkerns. Dieser besteht der Wissenschaft zufolge größtenteils aus Eisen. Unter normalen Bedingungen schmilzt das Metall bei einer Temperatur von rund 1.535 Grad Celsius und verdampft ab 2.750 Grad. Im Inneren der Erde ist der Druck allerdings 3,3 Millionen Mal höher als in der Atmosphäre, weshalb der Kern trotz der berechneten 6.000 Grad Celsius fest ist und nicht flüssig oder gasförmig.

Es sind solche extremen Bedingungen für Materie und die damit verbundenen – oft überraschenden – Fragen, mit denen sich Vladimir Fortov, Physiker und Präsident der Russischen Akademie der Wissenschaften, in seiner Forschung auseinandersetzt. Am 13. September 2016 gab er an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) unter dem Titel „Extreme States of Matter on Earth and in Space” bei einem gemeinsam mit dem Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) veranstalteten Vortrag einen Einblick in seine aktuellen Arbeiten.

95 Prozent aller Materie ist extrem

„Extreme kommen in der Natur sehr oft vor – 95 Prozent aller Materie befindet sich in solchen extremen Zuständen“, erklärte Fortov im Festsaal der ÖAW. Man denke dabei an Schwarze Löcher oder Neutronensterne – und hier zeigt sich bereits eine der großen Herausforderungen der Physik: Denn an Neutronensternen lassen sich kaum Analysen durchführen ebenso wenig wie im tiefen Kern der Erde. Im Labor hingegen sind diese Verhältnisse wiederum nur schwer herzustellen. „Man muss aber betonen, dass wir in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht haben, weshalb wir schon viel über Materie in extremen Zuständen dazugelernt haben“, zeigte sich Fortov zuversichtlich.

Um Materie künstlich zu verändern, quetschen die Forscher sie etwa mithilfe von Schockwellen, Hochenergie-Lasern, Magnetfeldern oder Explosionen enorm zusammen, wie Fortov erläuterte: „Ein solcher Zustand lässt sich zwar nur wenige Mikro- oder sogar Nanosekunden aufrechterhalten, es reicht aber, um die Materie entsprechend zu wandeln und analysieren zu können.“

In den USA haben Physiker/innen zum Beispiel einen Diamanten unter der Bestrahlung von 176 Lasern – was dem 50-Millionenfachen Atmosphärendruck entspricht – so komprimiert, dass dieser so dicht wie Blei wurde. Das soll Aufschluss über das Innere von kohlenstoffreichen Riesenplaneten geben, wo der Druck mehr als zehnmal so hoch ist wie im Erdkern. Auch im Kernforschungszentrum CERN in Genf werden Extremzustände auf nuklearer Ebene erzeugt, etwa wenn bei der Kollision von Protonen und Blei-Ionen für einen flüchtigen Augenblick der Materiezustand eines Quark-Gluonen-Plasmas erreicht wird. Physiker/innen vermuten, dass Materie in Neutronensternen oder den hypothetischen Quarksternen in dieser Form anzutreffen ist und das Universum in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall diesen Zustand durchlief.

Außerhalb des Periodensystems

„Das Interessante ist: Wenn wir Materie so verdichten, verlassen wir gewissermaßen die Gesetzmäßigkeiten des Periodensystems. Dabei verringern sich nämlich die spezifischen chemischen Reaktionen und Interaktionen zwischen den Teilchen, Molekülen und Atomen“, so Fortov. Materie wird demnach einheitlich und nimmt metallische Eigenschaften, wie etwa die Leitfähigkeit, an. Wissenschaftler/innen gehen daher davon aus, dass unter großem Druck, wie er etwa im Kern des Gasriesen Jupiter herrscht, Wasserstoff auch in metallischer Form vorkommt.

Fortov und seine Kolleg/innen tragen mit ihren grundlegenden Arbeiten zur Erforschung von Plasmen aber nicht nur Wesentliches zur Kosmologie bei. Ihre Ergebnisse sind auch für andere Wissenschaftszweige wie Materialwissenschaft, Kernfusion- und Atomenergieforschung relevant. Die Arbeit wird Fortov in seinem Fach, davon zeigte er sich überzeugt, nicht ausgehen: „Es gibt in jedem Fall noch viel zu erforschen in diesem Bereich.“

 

Video:
Aufzeichnung des Vortrags „Extreme States of Matter on Earth and in Space” von Vladimir Fortov am 13. September 2016 an der ÖAW.

 

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