01.12.2016

Malaria-Wirkstoff beflügelt Diabetesforschung

Artemisinine, eine zugelassene Wirkstoffgruppe gegen Malaria, bringt die Gegenspieler der insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse dazu, selber Insulin zu produzieren. Das haben Forscher/innen der ÖAW in einer internationalen Zusammenarbeit herausgefunden. Darüber berichten sie nun in der Fachzeitschrift „Cell“.

Menschliche Langerhans Inseln, mit 10 mM Artemisinin behandelt und immunofluoreszent gefärbt © Cell Press / Stefan Kubicek, CeMM
Menschliche Langerhans Inseln, mit 10 mM Artemisinin behandelt und immunofluoreszent gefärbt © Cell Press / Stefan Kubicek, CeMM

Die Regulation des Blutzuckers ist eine komplexe Angelegenheit. Sie läuft bei Typ-1 Diabetes aus dem Ruder, weil die sogenannten Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse durch eine Autoimmunreaktion zerstört werden und kein Insulin mehr produzieren können. Deshalb gibt es in der medizinischen Forschung schon lange das Ziel, andere Zellen dazu zu bringen, die Funktion der Beta-Zellen zu übernehmen.

Ein Schritt in diese Richtung ist jetzt einem internationalen Team unter der Leitung von Stefan Kubicek vom CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gelungen: Die Wirkstoffgruppe der Artemisinine, die für Malariamedikamente zugelassen ist, konnte das genetische Programm der Gegenspieler der Beta-Zellen dahingehend verändern, dass sie statt Glukagon nun selber Insulin bildeten. Dieser Effekt wurde in einem groß angelegten Wirkstoffscreening erkannt. Über die Ergebnisse des vollautomatisierten Testverfahrens an Alpha-Zellkulturen – jenen üblicherweise glukagonproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse – berichten die Forscher/innen aktuell in der Fachzeitschrift „Cell“.

Molekularer Mechanismus der Zellumwandlung aufgeklärt

Alpha- und Beta-Zellen bilden, gemeinsam mit zumindest drei weiteren hochspezialisierten Zelltypen, die sogenannten Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse, die Steuerzentralen für den Blutzuckerspiegel. Insulin aus Beta-Zellen senkt ihn, Glukagon aus Alpha-Zellen lässt ihn wieder ansteigen. Doch die Zellen sind flexibel: In vorangegangenen Studien mit Modellorganismen wurde gezeigt, dass bei einem extremen Verlust von Beta-Zellen eine Umwandlung der Alpha-Zellen stattfinden kann, die den Schaden ausgleicht.

Kubicek und seine Kolleg/innen konnten nun an speziellen Alpha- und Beta-Zelllinien außerhalb des Organismus feststellen, dass die Umwandlung der Zelltypen auch ohne den Einfluss des restlichen Körpers funktioniert. „Wir konnten den exakten molekularen Mechanismus aufklären, mit dem Artemisinine die Alpha-Zellen umgestalten: das Bindungsprotein, Rezeptoren und Signalwege“, erklärt ÖAW-Forscher Kubicek. In weiterer Folge verändern sich unzählige biochemische Prozesse in der Zelle, die schließlich zur Insulinproduktion führen.

Wirkung von Malaria-Medikamenten untersucht

Die Wirkung der Malaria-Medikamente konnte aber nicht nur in der Zellkultur nachgewiesen werden: In Zusammenarbeit mit anderen Forschungsgruppen wurde diabetischen Fischen, Ratten und Mäusen der Wirkstoff verabreicht, und tatsächlich erhöhte sich ihre Beta-Zellmasse, ihr Blutzuckerspiegel normalisierte sich. „Natürlich muss man die Auswirkungen einer langfristigen Artemisinin-Verabreichung am Menschen noch gründlich und ausgiebig testen“, betont Stefan Kubicek und ergänzt: „Insbesondere ist bisher unbekannt, ob sich die Alpha-Zellen auch beim Menschen ständig regenerieren können. Außerdem müssen Wege gefunden werden, die neuen Beta-Zellen vor der Zerstörung durch das Immunsystem zu schützen.“ Doch die Forscher/innen sind zuversichtlich, mit ihren Erkenntnissen einer neuen Form der Therapie von Typ-1 Diabetes ein Stück näher gekommen zu sein.

 

Publikation:

“Artemisinins Target GABAA Receptor Signaling and Impair α Cell Identity”. Jin Li et al. Cell, 2016. DOI:10.1016/j.cell.2016.11.010

Förderung:

Die Studie wurde gefördert von der Juvenile Diabetes Research Foundation (JDRF), dem European Research Council (ERC), der Medizinischen Universität Wien, der European Molecular Biology Organization (EMBO), der NovoNordisk Foundation, dem Marie Skłodowska-Curie Programm der Europäischen Kommission, dem Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, dem INSERM AVENIR Programm; der FMR, dem ANR/BMBF, LABEX SIGNALIFE, der Max-Planck Gesellschaft, Club Isatis, Herr und Frau Dorato, Herr und Frau Peter de Marffy-Mantuano, sowie der Fondation Générale de Santé and the Foundation Schlumberger pour l’Education et la Recherche.

CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW