11.06.2018

Künstlicher Gendefekt bietet Angriffspunkt für Erbkrankheit

Die Fanconi-Anämie, eine seltene und schwere Erbkrankheit, wird durch defekte DNA-Reparaturgene in den Zellen der Betroffenen verursacht. ÖAW-Wissenschaftler/innen erzeugten künstliche Gendefekte in den Zellen und fanden so ein Gen, das – wenn ausgeschaltet – den Effekt der Krankheit in den Zellen aufhebt, wie sie nun in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ berichten.

© CeMM/ÖAW/KaryoLogic

Die Fähigkeit, DNA zu reparieren, ist für einen gesunden Organismus unverzichtbar. Zehntausende Schäden ereignen sich jeden Tag im Erbgut der Zellen, es verwundert daher nicht, dass die Evolution eine ganze Palette an Reparaturmechanismen hervorgebracht hat, die es den Zellen ermöglicht, die Schäden möglichst schnell zu beheben. Die Bedeutung dieser Prozesse wird immer dann offensichtlich, wenn sie versagen: Die Zellen von Patient/innen mit Fanconi-Anämie sind nicht in der Lage, Vernetzungen der DNA – eine bestimmte Art von DNA-Schäden – zu reparieren. Die Folgen sind verheerend, neben zahlreichen anderen Symptomen entwickeln sich bei den meisten Betroffenen Tumore. Bisher gibt es keine kurative Behandlung der Krankheit.

DNA-Schäden und die komplexen Reparaturmechanismen sind der Forschungsschwerpunkt von Joanna Loizou, Forschungsgruppenleiterin am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), und die Suche nach neuen Therapieansätzen für die Fanconie-Anämie ist eines ihrer Ziele. In ihrer neuesten Studie, die nun in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ erschienen ist, haben Wissenschaftler/innen aus ihrem Team nach zusätzlichen Genen gesucht, die mit den defekten DNA-Reparaturgenen der von der Fanconi-Anämie betroffenen Patient/innen interagieren, und die für die Ausprägung der Krankheit essentiell sind. Denn, so die Hypothese, wenn man diese Gene ebenfalls zerstört, ließe sich die Fähigkeit der Zelle, DNA-Vernetzungen zu reparieren, wiederherstellen. Die Forschungsarbeit erfolgte in Kooperation mit Wissenschaftler/innen der University of Cambridge, dem Leiden University Medical Center, der University of California, der University of Toronto und der Gruppe von Jörg Menche am CeMM der ÖAW.

Protein als Ansatzpunkt für Therapiemöglichkeiten

Was wie ein Widerspruch klingt, ist ein erprobtes Konzept: Durch zusätzliches Ausschalten weiterer Gene bei einem bereits vorhandenem Gendefekt kann es zu einer Umlagerung der hochkomplexen molekularen Netzwerke der Zelle kommen. Mechanismen wie die DNA-Reparatur können auf diesem Weg wieder funktionsfähig gemacht werden. Ein solcher Ansatz wurde auch in dieser Studie von den Wissenschaftler/innen angewandt. Mit einer genomweiten Analyse, in der jedes Gen von Fanconi-Anämie-Zellen einzeln ausgeschaltet wurde, fanden sie tatsächlich eines, das die Fähigkeit zur Reparatur von DNA-Vernetzungen wiederherstellte.

Das gefundene Gen codiert für ein Enzym namens USP48, das einen wichtigen Regulationsfaktor für Proteine entfernen kann. Wenn USP48 in Fanconi-Anämie-Zellen nicht mehr vorhanden ist, reagieren die Zellen weniger empfindlich auf DNA-schädigende Substanzen und können die Schäden besser reparieren. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Inaktivierung von USP48 die chromosomale Stabilität der Fanconi-Anämie-Zellen erhöht“ erklärt Joanna Loizou. „Das unterstreicht die Bedeutung dieses Enzyms in der Kontrolle der DNA-Reparatur und macht es zu einem vielversprechenden Ziel für Wirkstoffe. Wenn es gelänge, gezielt inhibierende Moleküle gegen USP48 zu entwickeln, wäre das ein völlig neuer potentieller Ansatz um die verheerenden Symptome von Patient/innen zu mildern.“

 

Publikation:

“Map of synthetic rescue interactions for the Fanconi anemia DNA repair pathway identifies USP48”, Georgia Velimezi, Lydia Robinson-Garcia, Francisco Muñoz-Martínez, Wouter W. Wiegant, Joana Ferreira da Silva, Michel Owusu, Martin Moder, Marc Wiedner, Sara Brin Rosenthal, Kathleen M. Fisch, Jason Moffat, Jörg Menche, Haico Van Attikum, Stephen P. Jackson and Joanna I. Loizou, Nature Communications, 2018.

DOI: 10.1038/s41467-018-04649-z

 

Förderung:

Die Studie wurde von der European Molecular Biology Organization (EMBO), dem FWF der Wissenschaftsfonds, der Europäischen Kommission, dem Europäischen Forschungsrat (ERC), den National Institutes of Health (NIH), Cancer Research UK, dem Wellcome Trust und dem Boehringer Ingelheim Fonds (BIF) gefördert.

 

CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW