23.10.2019 | Grabungsfund

KÜHLSCHRANK FÜR RENTIERE AUS DER ALTSTEINZEIT ENTDECKT

Eine Forschungsgruppe in Niederösterreich hat Teile einer komplexen Steinsetzung freigelegt. Es könnte sich bei diesem Fund um ein überbautes Fleischversteck handeln, das einst auf eiszeitlichem Permafrostboden errichtet wurde und heute noch von arktischen Jägern angelegt wird.

© ÖAW/OREA/Einwögerer

Hoch über dem Kamptal, zwischen dem Heiligenstein und dem Geißberg, schlug vor langer Zeit eine Gruppe von Jägern mehrmals ihr Lager auf, um vor allem Rentiere zu jagen und zu verarbeiten. Rund 23.000 Jahre später, im Sommer 2019, haben Forscher/innen des Instituts für Orientalische und Europäische Archäologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) bei Grabungen an der jungpaläolithischen Fundstelle Kammern-Grubgraben nun möglichweise das Fleischversteck dieser Jäger entdeckt – ein weltweit bisher einzigartiger Fund aus dieser Periode der Menschheitsgeschichte.

Kühlung und Schutz vor Wölfen

Die Funktion der freigelegten und hervorragend erhaltenen Steinkonstruktion als „Fleischspeicher“ liegt laut den Archäolog/innen nahe, da solche auch heute noch von arktischen Jäger/innen angelegt werden und zahlreiche zerschlagene Rentierknochen gefunden wurden. Zur Errichtung des Verstecks wurden auf einer kleinen Erhöhung Steinplatten ausgelegt, Fleischreste geschichtet und die Vorräte mit einer dicken Steinpackung umschlossen. Diese sorgte für eine ausreichende Durchlüftung und schützte die Nahrung vor kleineren Fleischfressern wie Füchsen und Wölfen. Die Kühlung erledigte der eiszeitliche Permafrostboden.

Möglich ist, dass die hochmobilen Jäger- und Sammler Vorräte für Notzeiten anlegten. Denkbar, so die Wissenschaftler/innen, ist für den Grubgraben etwa folgendes Szenario: Eine Gruppe von Wildbeutern lauerte einer Herde Rentiere auf und tötete einige Tiere. Feuerstellen wurden angelegt und Unterkünfte aufgebaut. Die Tierfelle wurden vor Ort gesäubert und auf ausgelegten Steinplatten getrocknet. Um das Fleisch längerfristig lagern zu können, errichtete die Gruppe an einer trockenen Stelle des Lagers einen Fleischspeicher und zog weiter. Einige Zeit später kehrte die Gruppe zurück, errichtete erneut ein Lager und öffnete ihren „Kühlschrank“ aus der Steinzeit.

Handwerklich geschickt und vorausschauend

Die Freilandfundstelle Kammern-Grubgraben ist eine der wenigen stratigraphisch erfassten Fundstellen vom Ende der letzten Kaltzeit (24.500 bis 18.000 v. Chr.). Seit 2015 leitet Thomas Einwögerer vom Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der ÖAW mit finanzieller Unterstützung des Landes Niederösterreich die Grabungen.

Für den Archäologen ermöglicht der nun entdeckte „Fleischspeicher“ wertvolle Einblicke in das Leben und vorausschauende Denken der damaligen Menschen: „Dadurch erfahren wir mehr über die Jagdmethoden der Menschen und den Umgang mit den vorhandenen Ressourcen“, erläutert Einwögerer, der ergänzt: „Ausgeklügelte Bauwerke mit großen Mengen an herantransportierten Baumaterialien wie Steinen zu errichten, um Fleisch länger geschützt lagern zu können, erforderte für die Jäger- und Sammler einen hohen Arbeits- und Zeitaufwand. Der Siedlungsplatz war demnach sehr gut organisiert.“

Vom hohen Organisationsgrad seiner Bewohner/innen und der wiederkehrenden Nutzung des Lagerplatzes, zeugen auch weitere Funde, die Einwögerer und sein Team machen konnten, darunter zahlreiche Tierknochen, Steinklingen oder kunstvoller Schmuck in Form von aufgesammelten Fossilien.

 

 

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Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der ÖAW