21.03.2017

Knochenarbeit an der Vergangenheit

Was machen eigentlich Bioarchäolog/innen und was sagen alte Knochen oder verkohlte Pflanzenreste über die Geschichte der Menschheit aus? Ein Lokalaugenschein bei Forscher/innen der ÖAW, die naturwissenschaftliche Methoden anwenden, um kulturhistorische Fragen zu beantworten.

Oberschenkel, Kiefer, Wirbel und Schädelteile liegen fein säuberlich nach Fundorten sortiert auf den Tischen. Die Skelettreste werden in der Waschstation im hinteren Teil des Raumes mit einem kleinen Wasserstrahl vorsichtig gereinigt. „Knochenarbeit“ ist hier ein sehr treffender Begriff für die Arbeit der Anthropologin Michaela Binder.

Binder forscht am Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Dort hat sie sich einem aufstrebenden archäologischen Forschungsfeld verschrieben: der Bioarchäologie. Dabei werden moderne Methoden der Biologie genutzt, um jahrtausendealten menschlichen, tierischen und pflanzlichen Funden neue Erkenntnisse zu entlocken. 2016 wurde am Institut eigens ein neues Department für Bioarchäologie gegründet, das nun mit einer internationalen Tagung seine Arbeit aufnimmt. 

Antike Skelette im Computertomographen

Für eines ihrer Projekte analysiert Binder im neuen Department derzeit 420 Skelette aus Grabungsstätten am Fuße des Hemmaberg in Südkärnten und 120 Skelette vom Gipfelbereich. Dort wurde eine spätantik-römische Siedlung gefunden, während im Tal vermutlich zugewanderte Ostgoten lebten. Isotopenanalysen ermöglichen Rückschlüsse auf Herkunft und Ernährung der Menschen. Abhängig davon, wie gut die Knochen erhalten sind, können nicht nur Aussagen über Geschlecht und Sterbealter gemacht werden, sondern auch über Krankheiten, wie etwa Infektions- und Zahnerkrankungen. Anzeichen dafür sind beispielsweise sichtbare Knochenneubildungen, Gelenksveränderungen und Veränderungen in den Augenhöhlendächern. Knochenuntersuchungen gestützt durch Röntgen-, Computertomographie- und DNA-Analysen geben dabei Hinweise auf unterschiedliche Lebensbedingungen und mögliche Anpassungen der Zuwanderer verglichen mit der lokalen Bevölkerung.

In einem 3.200 Jahre alten Skelett aus dem antiken Sudan konnten Metastasen nachgewiesen werden.

Besonders häufig werden von den Wissenschaftler/innen übrigens chronische Lungenentzündungen bei den untersuchten Menschen festgestellt. „Vermutlich wurden diese durch die verschmutze Luft aufgrund von offenem Feuer in den Häusern ausgelöst“, sagt Binder. Das erkläre auch, warum Frauen häufiger betroffen waren als Männer. Darüber hinaus könne meist keine genauere Ursache einer Erkrankung diagnostiziert werden, mit Ausnahme von Krebserkankungen: Bei einer Untersuchung von 230 Skeletten aus dem antiken Sudan, die Binder für das British Museum durchgeführt hat, konnten in einem 3.200 Jahre alten Skelett Metastasen nachgewiesen werden. Diese bilden Löcher in Knochen, die im Inneren größer sind als außen und durch Röntgenanalysen sichtbar werden. 

Von Samen, Früchten und Holzkohle

Wenige Schritte weiter arbeitet der Archäobotaniker Andreas G. Heiss. Sein Arbeitsplatz ist bestückt mit Mikroskopen und Petrischalen mit verkohlten Früchten, Samen und Holzresten. Pflanzenbestimmungsbücher liegen griffbereit, genauso wie eine Vergleichssammlung. Die Pflanzenreste stammen aus Erdproben, die bei archäologischen Grabungen säckeweise entnommen werden. Bei Funddichten von oft nur zwei bis zehn Pflanzenresten pro Liter Erde müssen meist hunderte Proben geborgen werden, um statistisch relevante Ergebnisse zu erhalten. Sie werden noch vor Ort flotiert, also durch Dichtetrennung in Wasser aus dem Sediment extrahiert.

Das Holzkohlenspektrum aus Herdbefunden erlaubt Rückschlüsse auf Ökosysteme und Umweltveränderungen.

Neben Samen und Früchten, die Auskunft über Landwirtschaft und Ernährung geben können, werden hier auch Holzreste analysiert, die als Bau- oder auch als Nutzholz verwendet wurden. Da zum Kochen und Heizen nur leicht verfügbares Material verbrannt wurde, erlaubt das Holzkohlenspektrum aus Herdbefunden Rückschlüsse auf Ökosysteme und Umweltveränderungen. So weiß man beispielsweise inzwischen, dass im antiken Ephesos Eichenwälder schrittweise Kiefernwäldern Platz machten, die aufgrund von landwirtschaftlicher Nutzung ebenso zunehmend zurückwichen. Stattdessen bereitete sich großräumig die Macchie, ein mediterraner Buschwald, aus.  

 

 

In einem byzantinischen Möbelensemble aus Ephesos wurde hingegen Eibe entdeckt. Das langsam wüchsige und auch heute noch teure Holz ist dank charakteristischer Spiralmuster seiner Tracheiden unter dem Mikroskop deutlich erkennbar. Da die Eibe auch in früheren Zeiten nicht an der westanatolischen Küste vorkam, wurde sie wohl von den nächsten Beständen an der Schwarzmeerküste importiert. Eine genauere Bestimmung mittels Isotopenanalyse ist aber noch nicht möglich, da Pflanzen im Unterschied zu Tieren kaum Strontium enthalten. Heiss nimmt es gelassen: „Leider haben Pflanzen keine Mascherl drauf, die ihre Herkunft verraten. Wir haben sie jedenfalls noch nicht gefunden.“

Tierfunde als Fenster in die Vergangenheit

Im selben Stock wie das neue Büro der Bioarchäolog/innen befindet sich die Knochensammlung des Archäozoologen Alfred Galik. Vor einigen Jahren hat er das erste vollständige Skelett eines Tulus in Europa analysiert, einem Hybrid aus Dromedar und Trampeltier. Begleitfunde wie eine mit Ludwig XIV. bebilderte Münze sowie das Heilmittel Theriacum aus der Wiener Apotheke Goldene Krone halfen, das Skelett aus Tulln auf die Zeit der zweiten Türkenbelagerung einzugrenzen.

Derartige Funde sind selten. Galik untersucht meist Knochenreste von Haustieren und Fischen. Die morphologische Analyse von Süßwasser- und Meeresfischen ist dabei eine besondere Herausforderung: Sieht man von den kleinen, brüchigen Knochen ab, gibt es eine große Artenvielfalt, wie etwa bei Weißfischen. Der passionierte Angler arbeitet daher mit einer Vergleichssammlung, die über die Jahre gewachsen ist. In den Regalen stapeln sich Kartons mit vielen kleineren Packungen, gefüllt mit Knochenteilen. Um diese frei von Geweberesten zu erhalten, müssen sie mazeriert werden. Das kann enzymatisch geschehen, oder auch mit Kalt- und Warmwasser. Geruchsempfindlich sollte man bei dieser Konservierungsmethode jedenfalls nicht sein.

Besonders Funde von Haustieren geben wichtige Hinweise auf Tierhaltung und Ernährung.

„Tierfunde sind wie Fenster in die Vergangenheit“, erklärt Galik das Spannende an seiner Forschung. Hasenschädel, Wirbel, Teile von Schulterblättern von Rindern sind nur einige Knochenfunde, die sorgfältig beschriftet auf seinem Arbeitstisch liegen. Besonders Haustiere geben wichtige Hinweise auf Tierhaltung und Ernährung. So waren etwa die Rinderrassen, die in der Eisenzeit gehalten wurden, relativ klein, während Funde aus der römischen Zeit auf wesentlich größere Rassen hindeuten. Das könnte auf veränderte Haltungs- und Zuchtbedingungen hinweisen. Da die Rinder allerdings zeitlich begrenzt auftraten, gibt es auch eine andere Theorie: „Wir glauben, dass die großen Rinder importiert wurden“, sagt Galik. Man darf gespannt sein, welche weiteren neuen Erkenntnisse am jüngsten Department des ÖAW-Instituts gefunden werden.

 

 

 

Das Österreichische Archäologische Institut (ÖAI) ist seit 2016 Teil der ÖAW und bildet gemeinsam mit dem Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der ÖAW und dem Institut für Kulturgeschichte der Antike der ÖAW den neuen Cluster Archaeology and Classics.

 

Österreichisches Archäologisches Institut der ÖAW

 

 

„Humans, animals and plants: Bioarchaeology in the 21st century” lautet der Titel einer internationalen Tagung am 23. März 2017 an der ÖAW, die den Start des neuen Departments für Bioarchäologie des ÖAI markiert.

 

Programm

 

Workshop-Infos

 

 

Im Archäologieblog auf derstandard.at versammelt Michaela Binder regelmäßig Wissenschaftler/innen, die Einblick in Alltag und Forschungsprojekte von Ephesos über Hallstatt bis Stonehenge geben.

 

Archäologieblog