03.05.2018

Genom-Narben geben Auskunft über Tumorentwicklung

Molekularmediziner/innen der ÖAW suchten gemeinsam mit Kolleg/innen des britischen Wellcome Trust Sanger Institutes nach Spuren von DNA-Mutationen, die Rückschlüsse auf Art und Entstehung von Tumoren erlauben. Die im Fachmagazin „Nature Communications“ veröffentlichten Ergebnisse ihrer Studie eröffnen eine neue Perspektive für die Erforschung diagnostischer Werkzeuge für Krebs.

Hap1 Zellen, gefärbt für verschiedene DNA-Schäden (gelb = fluoreszierender Antikörper gegen phosphoryliertes ATM; rot = fluoreszierender Antikörper gegen 53BP1, ein Regulator von NHEJ; blau = DAPI = DNA) © Michel Owusu / CeMM

Entwickelt sich aus einer normalen Körperzelle ein bösartiger Tumor, haben sich zuvor eine ganze Reihe an verheerenden Schäden angesammelt. Unkontrolliertes Wachstum, die Invasion benachbarter Gewebe und schließlich die Bildung von Metastasen sind das Resultat unzähliger Mutationen der DNA. Solche Anhäufungen an beschädigtem Erbgut werden meist durch schädliche Umwelteinflüsse, genetische Vorbelastungen, fehlgeleitete Enzymaktivität oder Fehler bei der Vervielfältigung oder der Reparatur der DNA hervorgerufen. Jede dieser ursprünglichen mutagenen Bedingungen hinterlässt ein charakteristisches Muster an DNA-Schäden, sogenannte Mutationssignaturen.

Anhand dieser „Narben“ im Genom ließen sich theoretisch die Entstehungsgeschichte eines Tumors ablesen und seine Eigenschaften bestimmen, für die Auswahl einer geeigneten Therapie wäre das ein wichtiger Beitrag. Mutationssignaturen eindeutig zu entziffern und mit der Entstehung von Krebs in Verbindung zu bringen, ist jedoch eine große Herausforderung, da die genetischen Spuren durch die große Zahl an DNA-Schäden, die ein Patient im Laufe seines Lebens anhäuft, verwischt werden. Selbst beste klinische Daten konnten bisher keine eindeutigen Resultate liefern.

Spuren im Labor rekonstruiert

Anders in der nun vorliegenden Studie, in der das Team von Joanna Loizou, Forschungsgruppenleiterin am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, in Zusammenarbeit mit Forscher/innen des Wellcome Trust Sanger Institute in Cambridge einen neuen Ansatz zur Anwendung gebracht hat: Anstatt in den Zellen von Krebspatienten nach Mutationssignaturen zu suchen, ließen die Wissenschaftler/innen diese im Laborversuch entstehen.

Für die Experimente verwendeten die Forschenden spezielle menschliche Zelllinien, die für die Genomeditierung mit CRISPR/Cas9 optimiert sind. In neun getrennten Ansätzen wurde damit jeweils ein anderes Gen für die DNA-Reparatur dieser Zellen zerstört. Anschließend ließ man die Zellen einen Monat lang wachsen, isolierte ihre DNA und untersuchte sie. Mit speziell entwickelten Computeralgorithmen analysierten die Wissenschaftler/innen die Gesamtheit aller Mutationen, die sich in diesem Zeitraum im Genom der Zellen angesammelt hatten, und wurden tatsächlich fündig: Die Genome waren beinahe identisch mit den vorhergesagten Mustern, die man auch in Krebszellen gefunden hatte.

„Unsere Ergebnisse bestätigen Mutationssignaturen für alle Klassen von Mutationen“ fasst Co-Studienleiterin Joanna Loizou die Ergebnisse zusammen. „Zum ersten Mal ist es damit gelungen, dieses theoretische Konzept in einem streng kontrollierten experimentellen Verfahren nachzuvollziehen.“ Einzelne Gendefekte können dabei mehr als eine Mutationssignatur hervorrufen, fügt die ÖAW-Forscherin hinzu.

Aussicht auf neue diagnostische Werkzeuge

Und auch das Gegenteil wurde beobachtet, erklärt Michel Owusu, Doktorand in Loizou’s Labor und Co-Erstautor der Studie. „Eine Mutationssignatur muss nicht zwangsläufig einem Defekt in einem einzigen Gen entspringen, es können auch andere Gene, die an dem betroffenen DNA-Reparaturmechanismus beteiligt sind, dazu beitragen“, so Owusu.

Die Resultate der Studie bestätigen nicht nur ein analytisches Prinzip, mit dem die Krebsentwicklung beschrieben werden kann. Mutationssignaturen sind eine direkte Messgröße für spezifische Fehlfunktionen einer Zelle. Daher könnte man diese Spuren im Erbgut als Biomarker für die Charakterisierung von Tumoren verwenden, selbst wenn man deren ursächliche Gendefekte nicht kennt. Mutationssignaturen könnten damit ein neues diagnostisches Werkzeug für die präzise und personalisierte Behandlung von Krebs bieten.

 

Publikation:
Validating the concept of mutational signatures with isogenic cell models. Xueqing Zou, Michel Owusu, Rebecca Harris, Stephen P. Jackson, Joanna I. Loizou & Serena Nik-Zainal. Nature Communications, 2018
DOI: 10.1038/s41467-018-04052-8

CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW