Wer sind die Menschen, die ihre Heimat verlassen und in Wien ihren Zufluchtsort gefunden haben? Diese scheinbar einfache Frage steht hinter dem vielseitigen Band „From Destination to Integration – Afghan, Syrian and Iraqi Refugees in Vienna“, den Josef Kohlbacher und Leonardo Schiocchet von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) herausgegeben haben. Die Antworten darauf haben die beiden in zahlreichen Beiträgen von Forscher/innen gesammelt und nun erstmals am 9. Oktober 2017 präsentiert.
Motive für Flucht sehr unterschiedlich
Wer aber nach einheitlichen, einfachen Antworten sucht, wird nicht fündig. Vielmehr zeichnet sich das Buch durch unterschiedlichste, wissenschaftlich aufgearbeitete Lebensgeschichten und Erfahrungen aus. „Es zeigt sich schnell, dass die Erlebnisse der Menschen sehr divers sind und von sozialen Trennlinien ebenso bestimmt werden wie von den jeweiligen Biographien“, erklärt Leonardo Schiocchet. So sind auch die Motive für Flucht sehr unterschiedlich. „Es spielt nicht nur das jeweilige Land eine Rolle. Vielmehr sind auch das Geschlecht, der ethnische Hintergrund, die politische Einstellung sowie der soziale Stand entscheidend“, betont Schiocchet und verweist darauf, dass manche vor einer Zwangsheirat fliehen, andere ihren Kindern wiederum ein besseres Leben ermöglichen möchten oder in der Heimat politisch verfolgt wurden.
Es zeigt sich schnell, dass die Erlebnisse der Menschen sehr divers sind und von sozialen Trennlinien ebenso bestimmt werden wie von den jeweiligen Biographien.
Als gemeinsamen Ausgangspunkt wählt die Sammlung zahlreicher Interviews und Forschungsergebnisse den Beginn der sogenannten „Flüchtlingskrise“ in Österreich im Jahr 2015, als rund 90.000 Menschen ihre Anträge auf Asyl stellten. Es stellte sich „rasch heraus, dass das meiste im öffentlichen Diskurs über Geflüchtete Gesagte mehr oder weniger auf Spekulationen basierte“, schreiben die beiden Herausgeber eingangs in ihrem Buch.
60 biographische Interviews mit Geflüchteten
Um das zu ändern, initiierten die Forscher ein Pilotprojekt und führten von Dezember 2015 bis März 2016 in Wien insgesamt 60 biographische Interviews mit Geflüchteten aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. „Wir haben alle Interviews in der jeweiligen Muttersprache durchgeführt“, erklärt Josef Kohlbacher, der sich vor allem mit der Frage beschäftigte, welche Erfahrungen Flüchtlinge in Österreich machten und wie sehr es ihnen gelang, soziale Kontakte zu knüpfen und sich Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt in Wien zu verschaffen.
„Auch hier sind die Erfahrungen höchst unterschiedlich“, betont Kohlbacher. „Jene, die gut Englisch konnten, sehr schnell Deutsch lernten oder generell ein hohes Bildungsniveau hatten, taten sich tendenziell leichter, schnell Anschluss zu finden. Aber auch das Alter, das Geschlecht und ganz einfach die Zeit – sprich, wie lange jemand schon in Österreich war – spielten eine Rolle.“
Von ablehnendem Verhalten seitens der Österreicherinnen und Österreicher berichteten allerdings nur die wenigsten, betont Kohlbacher, der darin eine Folge der „Willkommenskultur“ sieht, die die Diskussion um die Fluchtmigration an der Jahreswende 2015/16 in Österreich noch kennzeichnete.
Jobmarkt und Informationsmangel als Integrationshürden
Die größte Hürde stellte für viele allerdings nicht das Knüpfen von sozialen Kontakten dar, sondern der Einstieg in den Arbeitsmarkt, berichtet der Wissenschaftler. „Wohnungen fanden die meisten damals noch schnell über Freunde und Bekannte aus unterschiedlichen Netzwerken. Nur die wenigsten der Interviewten hatten allerdings zum Zeitpunkt der Interviews einen Job, der ihrem ursprünglichen Bildungsgrad entsprach. Starke Dequalifikation war demnach ein verbreitetes Phänomen.“
Nur die wenigsten der Interviewten hatten zum Zeitpunkt der Interviews einen Job, der ihrem ursprünglichen Bildungsgrad entsprach.
Auch den schwierigen Zugang zu Informationen beschrieben die meisten als große Hürde beim Bestreben, hier heimisch zu werden. „Zugang bekommt man vorwiegend nur, wenn man in Kontakt mit dem System steht“, so Schiocchet. Besonders schwer hatten es hier vor allem Afghanen, die vielfach keinen Asylstatus erlangten, sondern nach einiger Zeit wieder in die Heimat zurückgeschickt wurden. „Aus irgendeinem Grund geht Österreich davon aus, dass Afghanistan ein sicheres Land ist. Syrer haben es hierzulande in diesem Punkt einfacher – sie bekommen Asyl und damit schneller Zugang zu Informationen“, erklärt Schiocchet.
So unterschiedlich die Erfahrungen der Menschen aus dem Irak, Syrien und Afghanistan sind, eines scheinen die Interviewten aber doch gemeinsam zu haben, betont Kohlbacher schließlich: „Alle wollten mit den Österreicherinnen und Österreichern in Kontakt kommen. Und jene, die das geschafft haben, erzählten mehrheitlich von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die von den Menschen hierzulande ausgeht.“