08.05.2019

Entzündungsreaktionen als Therapie-Schlüssel für Krankheiten

Der irische Biochemiker Luke O’Neill hat bei der Landsteiner Lecture 2019 des CeMM der ÖAW in Wien über seine Forschungsarbeit zur Rolle von Entzündungsreaktionen bei diversen Krankheiten gesprochen.

© CeMM/ÖAW

Bereits zum achtzehnten Mal hat das CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) heuer die Vortragsreihe der Landsteiner Lectures organisiert. Diesmal konnte als Redner der renommierte Biochemiker Luke O’Neill vom Trinity College in Dublin gewonnen werden. Unter dem Titel „Will we cure all diseases by targeting inflammation?“ sprach der Spitzenforscher aus Irland über seine Arbeit auf dem Gebiet der Entzündungsreaktionen, die Fortschritte der vergangenen Jahre und die Hoffnung auf Therapieansätze, die in Zukunft auf dieser Basis entstehen könnten.

Zentrale Rolle

“Wir wissen heute, dass fast jede Krankheit eine Entzündungskomponente hat, von Parkinson bis zu bestimmten Krebsarten. Die Fortschritte auf dem Gebiet in den vergangenen Jahren waren riesig, wir können jetzt davon träumen, dass bald neue Therapieansätze entwickelt werden”, sagte O’Neill bei seinem Vortrag im Haus der Industrie. Mittlerweile investieren auch große Unternehmen viel Geld in entsprechende Forschung. Dabei ist nicht nur der Pharmabereich aktiv. Auch Technologiefirmen wie Google geben Milliarden auf dem Gebiet aus. Im Falle von Google, um das Altern zu erforschen.

"Wir wissen heute, dass fast jede Krankheit eine Entzündungskomponente hat."


“Entzündungserkrankungen nehmen mit fortschreitendem Alter zu, auch hier ist diese Abwehrreaktion des Körpers ein wichtiger Faktor”, erklärte O’Neill. Die nach und nach entdeckte Rolle von Entzündungen bei verschiedenen Krankheiten bringt also immer mehr das Immunsystem ins Zentrum des Forschungsinteresses. “Viele der Krankheiten, für die wir am dringendsten neue Medikamenten bräuchten, von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer über Krebs und neuropsychiatrische Krankheiten wie Schizophrenie bis zu dezidierten Entzündungserkrankungen wie Arthrose und Lupus, hängen mit dem Immunsystem zusammen”, so der irische Biochemiker.

Ursache unbekannt

Das Immunsystem, das uns vor Infektionen schützt, kann außer Kontrolle geraten und sich gegen den eigenen Körper wenden, im Falle von Alzheimer gegen das Gehirn, im Falle von Schuppenflechte gegen die Haut. Warum das passiert, ist bislang nicht geklärt. Die Zahl der Erkrankungen, die eine solche Immunkomponente haben, nimmt zudem ständig zu. “Vor kurzem hat sich herausgestellt, dass auch Schizophrenie und Autismus mit dem Immunsystem zusammenhängen. Aus ungeklärten Gründen gerät das System aus den Fugen, dann kommt es zu Entzündungsreaktionen, die zu verschiedensten Erkrankungen führen können”, erklärte O’Neill.

"Aus ungeklärten Gründen gerät das Immunsystem aus den Fugen, dann kommt es zu Entzündungsreaktionen."


Die Erforschung von Entzündungsreaktionen boomt dementsprechend seit einigen Jahren, weil sie als Wurzel vieler Krankheiten vermutet werden. Dabei gehören Entzündungshemmer wie Aspirin zu den ältesten überhaupt bekannten Medikamenten. Derartige Arzneien behandeln aber nur die Symptome. Deshalb suchen Wissenschaftler/innen nach Mitteln, um in die Signalkette, die zu Entzündungen führt, einzugreifen. Ein solches Signal sind etwa bestimmte Zytokine. Medikamente, die diese kleinen Proteine hemmen, haben dazu geführt, dass Rheumatoide Arthritis heute so weit verlangsamt werden kann, dass Betroffene üblicherweise nicht mehr auf den Rollstuhl angewiesen sind.

Große Chance

Die Ursache für die Entzündungsreaktionen bleibt aber rätselhaft. Als Kandidaten gelten unter anderem Mikroben, Viren oder beschädigtes Gewebe. Durch die ungeklärte Ursache kommt es in Folge auch zu Stoffwechselveränderungen im entzündeten Gewebe. “Entzündetes Gewebe nimmt 1.000 Mal so viel Glukose auf, wie normales Gewebe”, verdeutlichte O’Neill. Die Wissenschaftler/innen arbeiten sich in der Entzündungskettenreaktion daher stetig weiter zum Ursprung zurück. “Das derzeit interessanteste Ziel für eine Therapie ist das Nlrp3-Inflammasom. Es ist Teil des Systems, mit dem Makrophagen, die Fresszellen des Immunsystems, ihre Ziele erkennen. Die Makrophagen werden frustriert, wenn sie ihr Ziel nicht auflösen können, etwa die Amyloide, die bei Alzheimer eine Rolle spielen. Das führt zu Entzündungen”, sagt O’Neill.

"Die Fortschritte auf dem Gebiet in den vergangenen Jahren waren riesig, wir können jetzt davon träumen, dass bald neue Therapieansätze entwickelt werden."


Aufgrund dieser Erkenntnis hat O’Neill die Firma “Inflazome” gegründet, die ein Molekül entwickelt hat, das in den Mäusemodellen, die als Vergleich für Multiple Sklerose und Parkinson dienen, vielversprechende Ergebnisse geliefert hat. “Die Alzheimer-Mäuse konnten wieder neue Erinnerungen formen. Bei den Parkinson-Tieren kam die Muskelfunktion wieder zurück. Mit etwas Glück können wir bald erste Versuche an Menschen starten. Hier werden wir zuerst Parkinson ins Visier nehmen, da es im Vergleich zu Alzheimer leichter zu erkennen und zu überwachen ist”, sagte O’Neill.

Das Potenzial von Therapieansätzen, die Entzündungsreaktionen ins Visier nehmen, schätzt O’Neill als sehr groß ein. Ob es dem Titel seines Vortrags gerecht werden kann, wagt er nicht zu garantieren. “Alle Krankheiten heilen? Was soll ich sagen, wir Iren sind eben bescheidene Leute”, sagt der Biochemiker und lacht.

 

„Will we cure all diseases by targeting inflammation?“ lautete der Titel der diesjährigen Landsteiner Lecture des CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW. Die Lecture fand heuer am 6. Mai im Haus der Industrie in Wien statt.

Luke O’Neill ist Professor für Biochemie am Trinity College in Dublin. Er ist Mitglied der Royal Irish Academy und Fellow der Royal Society.

CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW