06.02.2015

Ein Puzzle in 4D

ÖAW-Institut für Orientalische und Europäische Archäologie startet internationales Projekt zur digitalen Rekonstruktion eines ägyptischen Palasts.

Generationen von Archäolog/innen haben Stein für Stein freigelegt, Fresken gesichert, Fotos gemacht, zeitliche, räumliche und kulturelle Bezüge hergestellt und in Fachmedien publiziert. Die altägyptische Hauptstadt der Hyksos, Avaris (heute Tell el Daba) im Nildelta, nimmt so für Fachleute allmählich Gestalt an. Die lange verschütteten Reste der Stadt deuten auf eine wohlhabende Gesellschaft im zweiten vorchristlichen Jahrtausend hin. Das Bild, das man sich über die kulturellen Errungenschaften jener Zeit machen kann, bleibt aber trotz unzähliger Detailinformationen bis heute schemenhaft. Zu viele Puzzleteile können bislang nicht richtig positioniert werden, weil wertvolle Verbindungsstücke fehlen.

Archeology goes digital
Am OREA geht man nun neue Wege, um die Aussagekraft vorhandener Bruchstücke zu verbessern. „Wir wollen zu diesem Zweck die Chancen der Digitalisierung nutzen - im Forschungsprozess, bei der Visualisierung wie auch beim Archivieren und Verbreiten“, erklärt ÖAW-Direktorin Barbara Horejs. „Deswegen freut es mich besonders, dass dieser Tage unter OREA-Federführung ein Pilotprojekt begonnen wurde, im Zuge dessen umfassende Standards zur Digitalisierung entwickelt werden.“ Was sich trocken anhört, hat eine bedeutende ästhetische Komponente:

Am Ende der Fallstudie soll ein altägyptischer Palast unter Einbeziehung aller archäologisch relevanten Information virtuell wiedererstehen. Es geht um einen mit minoischen Malereien reich bestückten Palasts der Hyksos in Tell el Daba. Unter der Leitung von Barbara Horejs & Edeltraud Aspöck (OREA-Forschungsgruppe „Digital Archaeology“) soll bis 2020 das Gebäude für die internationale Scientific Community als Prototyp via open access zur Verfügung stehen. Darüber hinaus soll es auch Laien möglich sein, den Tempel interaktiv zu erkunden. Finanziert wird das Projekt aus kompetitiv eingeworbenen Mitteln der Nationalstiftung. Nationale (Austrian Center for Digital Humanities, Ludwig Boltzmann Institut und Österreichisches Achäologisches Institut) und internationale Projektpartner (Chicago University, UK-Archaeology Data Service und Partner aus dem europäischen Infrastrukturnetzwerk ARIADNE) sind mit an Bord.


Tell el Daba – Zeitreise durch Bodenschichten
Die Ausgrabungen in Tell el Daba haben Tradition. Besonderes Interesse rufen seit jeher bronzezeitliche Artefakte der damals im Nildelta herrschenden Hyksos hervor. Bereits vor 3700 Jahren hatten die Hyksos beste Beziehungen im östlichen Mittelmeerraum gepflegt, insbesondere zur Minoischen Kultur, wie Archäolog/innen auf Basis jahrzehntelanger Feldforschung belegen konnten. Methodik und wissenschaftlicher Fokus haben sich im Lauf der Zeit aber immer wieder geändert und machen Vergleiche schwierig. Auf der Suche nach einem Modell, das die Vergleichbarkeit digital unterstützen könne, fiel die Wahl deshalb auf einen Palast aus Tell el Daba. Trotz Lücken und Heterogenität der Belege und Daten seien doch genügend Informationen vorhanden, um eine virtuelle Zusammenschau zu wagen. Ein Puzzle in Raum und Zeit - in 4D also, das fehlende Stücke mit mathematischen Algorithmen wettmachen muss.

„Das fertige Modell wird keinen Endpunkt der Forschung markieren, sondern zukunftsweisend den Aufbau eines archäologischen Informationssystems in Österreich begründen, erklärt Forschungsgruppenleiterin Edeltraud Aspöck. „Wir werden umfassende Standards ausarbeiten und spezifische Software entwickeln, damit wir die bewährten Strategien später auf weitere internationale Großprojekte übertragen können. Vom Open Access sollen nicht zuletzt auch Wissenschaftler/innen weniger reicher Länder profitieren, deren archäologische Schätze lange Zeit in kolonialer Weise verwertet wurden“, so Aspöck.


Verständlich durch Visualisierung
Die räumliche Darstellung des Hyksos-Palasts wird einerseits ihren Beitrag zum besseren wissenschaftlichen Verständnis leisten, kann aber – darüber hinausgehend – die Ergebnisse auch für die Öffentlichkeit anschaulich machen. In fünf Jahren möchte das Projektteam so weit sein, dass sich interessierte Laien beim virtuellen Rundgang durch den Palast Hintergrundinformation zu den Minoischen Mosaiken per Mausklick holen können. Für Spezialisten aber wäre ein ganzes Set an Informationen abrufbar – angefangen vom Foto zu Beginn der Grabung, die präzise Verortung der Fundstücke bis hin zu den Texten aller Publikationen.