05.07.2013

„Direction matters“ - Es kommt auf die Richtung an

Stammzellen bilden die Quelle für die unterschiedlichsten Zell- und Gewebetypen, wie etwa das Gehirn. Einer der Schlüsselprozesse hierfür ist die asymmetrische Zellteilung – aus einer Stammzelle entstehen eine weitere Stammzelle und eine spezialisierte Zelle. Jürgen Knoblich, Gruppenleiter und stellvertretender Direktor am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und sein Team konnten nun zeigen, dass es in frühen Stadien der Gehirnentwicklung auf die Richtung ankommt, in der sich die Zellen teilen. Ihre Erkenntnisse könnten Aufschluss über Gehirndefekte und Krankheiten wie Mikrozephalie geben.

Die Zellteilung (Mitose) wird allgemein als symmetrischer Prozess beschrieben, aus dem zwei idente Zellen hervorgehen. Stammzellen aber teilen sich asymmetrisch, wobei eine Zelle eine Stammzelle bleibt während die andere sich spezialisiert und genau definierte Aufgaben im Organismus zu erfüllen hat. Die Wissenschaft beschäftigt sich schon  lange mit der Frage wie sich Stammzellen teilen, ab wann ihre Teilung asymmetrisch wird und wie dieser Vorgang gesteuert wird. Bis vor wenigen Jahren war überhaupt unklar, wie sich Stammzellen asymmetrisch teilen können. Im Jahr 2008 wurde der entscheidende Mechanismus von Jürgen Knoblich und seinem Team in der Fruchtfliege Drosophila aufgeklärt und in der Wissenschaftszeitschrift Cell vorgestellt.

Orientierungssinn
Jürgen Knoblich befasst sich in seiner Forschungsarbeit hauptsächlich mit Gehirnstammzellen (neuronalen Stammzellen), deren asymmetrischer Zellteilung und Wachstumskontrolle. Denn der ungehinderte Nachschub von Neuronen aus dem Stammzell-Reservoir und ihre korrekte Positionierung am Bestimmungsort in der Hirnrinde sind wichtige Voraussetzungen für die Gehirnentwicklung. 

Aufbauend auf ihre bisherigen Erkenntnisse, konnten die Forscher am IMBA nun zeigen, dass es bei dem Übergang von symmetrischer zu asymmetrischer Zellteilung in frühen Stadien der Maus Gehirnentwicklung auf die exakte räumliche Orientierung des Spindelapparates (verantwortlich für die Teilung der Chromosomen) in der sich teilenden Zelle ankommt. 

Die Wissenschafter rund um Jürgen Knoblich untersuchten in Mäusen das Gen PP4c, welches maßgeblich an der Spindelorientierung beteiligt ist. Fehlt das Gen, wird die Zellteilung in der embryonalen Entwicklung zu schnell asymmetrisch. Folglich werden zu früh Gehirnzellen produziert, was in einem immer geringer werdenden Stammzellpool resultiert. Irgendwann ist die Quelle erschöpft und es können keine weiteren Gehirnzellen gebildet werden. Die Symptomatik eines zu kleinen Gehirns aufgrund eines Defekts in dieser Phase wird in der Medizin als Mikrozephalie bezeichnet und geht im Allgemeinen mit einer geistigen Behinderung einher. 

 „Die Stammzellen müssen sich zunächst ungehindert vermehren können und dazu kommt es auf die genaue Ausrichtung der Teilungsebene an. Mein Mitarbeiter Yunli Xie zeigt in der gerade erschienenen Arbeit, dass PP4c für diese Ausrichtung verantwortlich ist. In späteren Phasen der Gehirnentwicklung, wenn sich die Stammzellen sowieso asymmetrisch teilen, wird PP4c nicht mehr gebraucht und wir konnten keinen Effekt mehr beobachten“, erläutert Jürgen Knoblich, Letztautor der Studie. 

Aufschluss über Gehirndefekte bei Menschen
In einem nächsten Schritt wollen die Forscher herausfinden, wie diese Teilungsebene beim Menschen reguliert wird und ob der gleiche Mechanismus zu einer Fehlentwicklung des Gehirns führt, wie in Studien an Mäusen nachgewiesen werden konnte. „Eine Heilung der Mikrozephalie oder anderer Gehirndefekte ist in naher Zukunft noch nicht möglich. Wir haben mit unserer Arbeit aber einen wesentlichen Teil zum Verständnis der Erkrankung und der Regulation der Zellteilung während der Gehirnentwicklung beigetragen“, fasst Jürgen Knoblich die Erkenntnisse zusammen. 

Originalpublikation: The phosphatase PP4c controls spindle orientation to maintain proliferative symmetric divisions in the developing neocortex. 

Jürgen Knoblich
Jürgen Knoblich, geboren 1963 in Memmingen, arbeitet seit 1997 in Österreich. Er ist seit Anfang 2004 Senior Scientist am IMBA  und wurde Anfang 2005 zum stellvertretenden wissenschaftlichen Leiter ernannt. Nach seinem Studium der Biochemie an der Universität Tübingen und Molekularbiologie am University College London ging Jürgen Knoblich zunächst an das Max-Plack-Institut für Entwicklungsbiologie und wechselte 1990 an das Friedrich-Miescher-Labor der Max-Planck-Gesellschaft. Von 1994 bis 1997 war er annähernd vier Jahre als EMBO- und Howard Hughes Medical Institute Post-Doc-Fellow an der University of California tätig. Im September 1997 kehrte er als Gruppenleiter an das Institut für Molekulare Pathologie (IMP) nach Europa zurück.