19.07.2017

Die Neuordnung von Kunst und Natur

Ende des 18. Jahrhunderts entstanden neue Kategorien, nach denen in den Sammlungen Gemälde, Münzen, Wachspräparate sowie naturwissenschaftliche Objekte unterteilt wurden. Warum man diese Neuordnungen vornahm und welche Folgen sie hatten, erzählen die Kunsthistorikerinnen Nora Fischer und Eva Kernbauer anlässlich einer Tagung an der ÖAW.

Einblick in das Zimmer mit den alten niederländischen Meistern der kaiserlichen Gemäldegalerie im Oberen Belvedere 1781 © Kunsthistorisches Museum, Rekonstruktion: Nora Fischer
Einblick in das Zimmer mit den alten niederländischen Meistern der kaiserlichen Gemäldegalerie im Oberen Belvedere 1781 © Kunsthistorisches Museum, Rekonstruktion: Nora Fischer

Wien, Ende des 18. Jahrhunderts. Es war der starke Wille nach Ordnung und Systematisierung, der zur Zeit Kaiser Josephs II. kunstwissenschaftliche sowie naturwissenschaftliche Sammlungen in ein neues Korsett zwang. "Es fand in den Wissenschaften eine Art Ausdifferenzierungsprozess der einzelnen Disziplinen statt, wodurch sich Spezialsammlungen der Kunst und Natur herausbildeten", erklärt die Kunsthistorikerin Nora Fischer, eine der Organisatorinnen der internationalen Fachtagung "Schöne Wissenschaften. Sammeln, Ordnen und Präsentieren unter Kaiser Joseph II." des Instituts für kunst- und musikhistorische Forschungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), die kürzlich in Wien stattfand.

Gemeinsam mit Eva Kernbauer, die an der Universität für angewandte Kunst Wien lehrt und eine der Vortragenden der Tagung war, erzählt Fischer im Interview, wie Sammlungen neu geordnet wurden, welche Rolle die Aufklärung dabei spielte und warum letztlich auch die Bevölkerung von der Neuordnung profitieren sollte.

Sie beschreiben, dass man Ende des 18. Jahrhunderts alles in neue Kategorien gefasst hat; dass die Wissenschaften getrennt wurden, aber auch, dass etwa die Neuordnung der kaiserlichen Gemäldesammlung nach chronologischen respektive kunsthistorischen Kriterien erfolgte. Wie war es denn davor?

Nora Fischer: Davor wurden Gemälde vor allem nach symmetrischen beziehungsweise nach ästhetisch-malerischen Gesichtspunkten gehängt – das wurde als besonders ansprechend empfunden. Dass man nun versuchte, erstmals eine Chronologie im Sinne einer Geschichte der Kunst in die Sammlung einzuführen, brachte in der praktischen Umsetzung – mit einem festgelegten Bestand an Sammlungsobjekten – durchaus Konflikte mit sich: Um eine chronologische Reihe zu bilden, griff man auf weniger qualitätsvolle Gemälde zurück, und der Betrachter musste zwischen kleinen und großen Gemälden immer wieder seinen Standpunkt wechseln. Man hat dieses „wissenschaftliche“ Prinzip deshalb auch nicht streng durchgezogen, sondern einen Mittelweg zwischen „Schönheit und Wissenschaft“ gewählt.

 

 

Eva Kernbauer: Die Trennungen nach Disziplinen wurden zum Teil noch unsauber vorgenommen, und es herrschte noch wenig Stabilität. Man hat nach möglichen Kategorisierungen gesucht und musste sich überlegen, wo ein bestimmtes Objekt einzuordnen ist – ob es in einen Bereich der Naturwissenschaften oder der Kunst fiel. Es ist spannend, wie hier Kriterien zur Klassifikation entstehen und zugleich die Objekte durch ihre Analyse diese Kategorien wiederum mitdefinieren.  

Wodurch wurde diese Veränderung vorangetrieben?

Fischer: Im Zentrum standen hier vor allem einzelne Personen wie der Schweizer Kunsthändler und Kupferstecher Christian von Mechel sowie Staatskanzler Wenzel Anton Fürst Kaunitz-Rietberg oder auch der Verwaltungsreformer Josef von Sonnenfels. Ihre Ideen standen hinter vielen neuarrangierten Sammlungen zur Zeit Kaiser Josephs II.

Im Rahmen dieser Neuordnung ist im Oberen Belvedere aus der kaiserlichen Gemäldesammlung eine sozusagen "revolutionäre" Sammlung entstanden. Was war das große Neue?

Fischer: "Revolutionär" ist ein Begriff, den der Kunsthistoriker Édouard Pommier für die kaiserliche Gemäldesammlung am Ende des 18. Jahrhunderts geprägt hat. Das ist sie im Sinn eines völligen Umbruchs natürlich nicht. Doch es gab viel Neues, wie die Berücksichtigung der Kunstgeschichte für die Gemäldehängung. Es wurde auch erstmals in einer großen öffentlichen Galerie eine deutsche Malerschule aufgestellt – hier nahm Wien wirklich eine Vorreiterrolle ein. Denn bis dahin wurden deutsche Künstler zumeist den Niederländern zugeordnet.

Sie, Frau Kernbauer, beschäftigten sich im Rahmen der Fachtagung mit dem Phänomen, dass Kunst und Sammlungen – wie auch im Oberen Belvedere – erstmals der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Wem genau stand sie offen?

Kernbauer: Man kann wirklich von einer breiten Öffentlichkeit ausgehen, es gibt keinen Grund, dass es in Wien anders gewesen sein sollte als in Paris oder London, wo die Umstände besser erforscht sind. Man muss aber betonen, dass die Quellenlage in Wien hierzu dürftig ist. Wer genau diese Öffentlichkeit war, ist deshalb schwer zu beantworten.

Sammlungen waren auch Bildungseinrichtungen für eine breitere Öffentlichkeit. Sie waren gratis zugänglich, es gab fixe Öffnungszeiten, man musste nur anständig gekleidet sein.


Fischer: Die Sammlungsaufstellungen haben sich mitunter speziell an Studenten gerichtet: Kunst- oder Medizinstudenten wie im Falle des Josephinum und seinen anatomischen Wachspräparaten. Sammlungen waren aber auch Bildungseinrichtungen für eine breitere Öffentlichkeit. Das heißt, sie waren gratis zugänglich, es gab fixe Öffnungszeiten, man musste nur anständig gekleidet sein – so steht es in den Quellen. Es waren also keine Regenschirme, schmutzige Schuhe oder dergleichen erlaubt.

Kernbauer: Die Ärmsten waren dadurch aber ausgeschlossen.

Wie war es davor?

Fischer: Man konnte die Sammlungen zwar besuchen, musste sich aber meistens anmelden und für einen Führer bezahlen.

Warum hat man die Sammlungen geöffnet? War dies eine Entwicklung, die im Sinne der Aufklärung entstand?

Kernbauer: Zum einen ging es darum, das Volk zu bilden. Darüber hinaus hatte es auch einen ökonomischen Grund: Man erhoffte sich, dass sich dadurch die Handwerke der Lackierer, Kutschenbauer, Goldschmiede etc. verbesserten, wenn diese ebenfalls die Sammlungen bestaunten. Man wollte also diese Bereiche zunehmend professionalisieren und damit langfristig auch die Qualität der handwerklichen Produktion im europäischen Wettbewerb konkurrenzfähig machen.

Weiß man, wie die neue Ordnung bzw. die Ausstellungsstücke generell bei der zum Teil neuen Öffentlichkeit angekommen sind?

Kernbauer: Es gibt nicht sehr viele Quellen in Wien, und generell kann man den Quellen nicht gut vertrauen, da sie eher Erwartungen an das Publikum beschreiben, als dieses tatsächlich zu erfassen. Berichte, die von der breiten Bevölkerung kamen, gab es jedenfalls nicht – das wären auch sehr moderne Maßstäbe. Es gibt zwar die Figur des ungebildeten Betrachters, aber nur von jenen, die sich in so eine Rolle versetzten. Das war also rein fiktiv.

Hat man sich international ein Beispiel an Wien und seinen neugeordneten Sammlungen genommen?

Fischer: Die kaiserliche Gemäldesammlung in der Neuaufstellung von 1781 war international durchaus populär, weil Christian von Mechel einen sehr genauen Katalog dazu erarbeitet hatte, der auf Deutsch und zusätzlich auf Französisch verfasst wurde. Dieser war innerhalb Europas sehr verbreitet.

Es gab im Zuge der später erfolgten Neueröffnung des Louvre 1793 Diskussionen, warum man die Werke nicht nach dem Wiener Vorbild gehängt hatte. 


Es gab beispielsweise im Zuge der später erfolgten Neueröffnung des Louvre 1793 Diskussionen, warum man die Werke nicht nach dem Wiener Vorbild gehängt hatte, sondern weiterhin nach ästhetischen Kriterien. Erst bei einer späteren Neuordnung orientierte man sich am Wiener Modell. Auch für die Neuaufstellung der königlichen Gemäldesammlung in Berlin Anfang des 19. Jahrhunderts nahm Wien noch immer eine gewisse Vorbildfunktion ein, auch wenn sich die Ideen zur bildenden Kunst inzwischen geändert hatten.

Hat die Öffnung der Sammlungen – insbesondere der Gemälde- und Kunstsammlungen – die Kunst wiederum beeinflusst?

Fischer: Natürlich wird jede Kritik reflektiert. So gibt es zum Beispiel Berichte, dass Kaunitz vor Eröffnung der Gemäldesammlung persönlich eingriff, um die Bilder symmetrischer zu hängen, weil er Kritik fürchtete.

Kernbauer: Das ist eine interessante Frage, die man im europäischen Vergleich ansehen müsste. Deswegen war die Tagung auch eine gute Gelegenheit, um Wiens Sammlungen einmal in einem internationalen Kontext zu betrachten, um neue Impulse für die Wissenschaft zu geben.

 

Nora Fischer ist Kunsthistorikerin und promovierte 2013 zur kaiserlichen Gemäldegalerie in Wien im späten 18. Jahrhundert an der Universität Wien. Derzeit ist sie als Projektmitarbeiterin am Austrian Centre for Digital Humanities der ÖAW tätig sowie am Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen der ÖAW im Rahmen des Schwerpunkts zu Fragen einer spezifisch habsburgischen Repräsentation in der Frühen Neuzeit.

Eva Kernbauer ist Professorin für Kunstgeschichte an der Universität für angewandte Kunst Wien. Sie promovierte 2007 an der Universität Trier zur Konzeption des Kunstpublikums im 18. Jahrhundert und war von 2008 bis 2010 Wissenschaftliche Assistentin an der Universität Bern. Mit einem APART-Habilitationsstipendium der ÖAW führte sich von 2011 bis 2012 ihr Forschungsprojekt „Geschichtsbilder. Reflexivität und Nachträglichkeit in der zeitgenössischen Kunst“ durch.

Die Tagung „Schöne Wissenschaften. Sammeln, Ordnen und Präsentieren unter Kaiser Joseph II.“ wurde von den Kunsthistorikerinnen Nora Fischer und Anna Mader-Kratky geleitet und fand vom 19. bis 20. Juni 2017 an der ÖAW in Wien statt.

Tagungsprogramm „Schöne Wissenschaften“

 Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen der ÖAW