Kolossale Bauwerke und eindrucksvolle Grabstätten zeugen noch heute davon: Das Alte Ägypten war einst, zur Zeit des Neuen Reiches, eine Weltmacht. Eine wichtige Rolle beim Aufstieg des Landes scheint die Herrschaft der Hyksos gespielt zu haben. Sie waren eine Dynastie von Königen nahöstlicher Herkunft, die Ägypten zwischen etwa 1640 und 1530 v. Chr. beherrschten. Heute ist über sie aber nur noch wenig bekannt. Ihr Name, der sich als „Herrscher der Fremdländer“ übersetzen lässt, zeigt zumindest, dass sie nicht aus Ägypten stammten. Doch woher kamen Sie? Und wie kamen sie an die Macht?
Der Ägyptologe Manfred Bietak, der an der Universität Wien und an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) forscht, ist den Hyksos bereits durch seine Jahrzehnte langen Ausgrabungen in Ägypten auf der Spur. Für sein Projekt „The Hyksos Enigma“ erhielt er 2015 einen Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats (European Research Council – ERC), um mit naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Methoden die Hyksos weiter zu erforschen. Nun wurde das vielfach ausgezeichnete ÖAW-Mitglied auch in die renommierte American Academy of Arts and Sciences aufgenommen und hielt aus diesem Anlass Vorträge an den Universitäten Yale, Harvard und Boston. Dort präsentierte Bietak, wie er Licht in das Dunkel um die Herkunft des nahöstlichen Volkes der Hyksos bringen möchte.
Aufstieg und Untergang der Hyksos
Da nur wenige Textquellen zu den Hyksos überliefert sind, bilden archäologische Funde einen wesentlichen Baustein, um mehr über diese Dynastie zu erfahren. Bereits in den späten 1960er Jahren entdeckte Manfred Bietak „Auaris“, die ehemalige Hauptstadt der Hyksos, die nahe des heutigen Dorfes Tell el Dab’a im östlichen Nildelta lag. Auaris war einst ein Zentrum im Mittelmeerraum und florierender Handelsplatz, den rund 30.000 Menschen bewohnten. Durch Ausgrabungen an diesem und weiteren Orten der Region konnte ein enormer Reichtum an Daten gewonnen werden, die Einblicke in die Zeit der Herrschaft der Hyksos liefern.
Gestützt auf archäologische aber auch historische und naturwissenschaftliche Auswertungen, deutet für Bietak vieles darauf hin, dass die Hyksos und ihr Volk aus der nördlichen Levante stammten und zunächst als „Gastarbeiter“ nach Ägypten kamen. Ihr Know-how als Seeleute, Schiffbauer, Händler oder Söldner war offenbar bei den Ägyptern begehrt. Mit den Menschen kam auch ihr Wissen in das Land am Nil, etwa über Architektur oder Pferde als Nutztiere sowie über Metallverarbeitung und Keramikproduktion. Auch die Ferndiplomatie über Keilschriftkorrespondenz scheint damals in Ägypten Fuß gefasst zu haben. Damit bekamen sie langsam politische Bedeutung, wobei ihr Auftsieg nicht immer friedlich abgelaufen sein könnte, glaubt man Berichten des ptolemäischen Geschichtsschreibers Manetho, demzufolge die Hyksos Ägypten mit einer Invasion erobert haben sollen. Ob der Chronist hier richtig lag, zweifelt die neuere Forschung inzwischen allerdings an.
Doch wie auch immer ihr Aufstieg verlaufen ist: Wie bei vielen Herrscherdynastien folgte diesem schließlich auch der Abstieg und Untergang. Und so schließt sich an die Frage nach der Herkunft und dem Aufstieg der Hyksos gleich ein neues Rätsel an: wie konnten die Hyksos nahezu spurlos wieder von der Bildfläche verschwinden? Auch dieser Frage wird sich Bietak in seinem ERC-Projekt widmen, das 2016 gestartet ist und nun über fünf Jahre läuft. Man darf auf die Ergebnisse gespannt sein. Eines scheint aber bereits jetzt sicher: Die Erforschung der Hyksos hat das Potential, der Geschichte des Alten Ägypten ein weiteres, ereignisreiches Kapitel hinzuzufügen.