11.05.2016

Copy and paste in der Genetik

Schnell, präzise und einfach – CRISPR-Cas9 revolutioniert derzeit die Gentechnik. Hinter der Methode steht Emmanuelle Charpentier. An der ÖAW erklärte die Molekularbiologin, wie ihre „Gen-Schere“ funktioniert.

Emmanuelle Charpentier im Festsaal der ÖAW. Bild: Klaus Pichler/CeMM

Mais und Weizen, die Parasiten trotzen. Stechmücken, die Malaria nicht mehr übertragen. Menschen die von schweren Erbkrankheiten geheilt werden. All diese Fälle haben eines gemeinsam: Die gezielte Manipulation des Erbguts könnten sie Wirklichkeit werden lassen.

Genauer gesagt die CRISPR-Cas9-Methode könnte es. Durch sie ist das Umschreiben des genetischen Codes fast so einfach geworden, wie das Bearbeiten eines Word-Dokuments: „Suchen und Ersetzen“ lautet hier der Auftrag. Schon wird ein beliebiges Gen exakt an einer Stelle der DNA durch ein anderes ersetzt oder werden unerwünschte Gene entfernt.

Beauftragt wird in diesem Fall nicht eine Computer-Software, sondern eine molekulare Schere – genauer das Cas9-Enzym. Es bekommt einerseits die Information, an welcher Stelle der DNA-Faden aufgeschnitten werden soll, und andererseits erhält das Enzym jenes Stück Erbgut mit auf den Weg, das an der Schnittstelle eingesetzt werden soll.

Entdeckung durch Zufall

Entdeckt wurde die sogenannte „Gen-Schere“ im Jahr 2011 von der Französin Emmanuelle Charpentier und der US-Amerikanerin Jennifer Doudna. Bei der „Landsteiner Lecture“ des CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) am 6. Mai 2016 erzählte Charpentier in einem bis auf den letzten Platz besetzten Festsaal von der überraschenden Geburt von CRISPR-Cas9: „Wie nicht selten in der Forschung war die Entdeckung mehr oder weniger ein Zufall.“

Denn eigentlich untersuchten die beiden Molekularbiologinnen damals jene Abwehrmechanismen, die Bakterien einsetzen, um sich gegen schädliche Viren zu schützen. Dabei erkannten sie, dass die Mikroben das Virenerbgut an einer von zwei RNA-Molekülen vorgegebenen Stelle zerschneiden – die sogenannte CRISPR RNA (crRNA) und die tracrRNA. Auf diese Weise setzt das Bakterium Viren erfolgreich außer Gefecht.

Diese sogenannte „Guide-RNA“ lässt sich im Labor beliebig nachbauen. „RNA-Moleküle sind der programmierbare Teil eines Zellsystems, dadurch kann man unterschiedlichste RNA-Moleküle designen“, erklärte Charpentier. Die programmierte RNA führt die Cas9-Schere dann zu jenem Punkt am DNA-Faden, der korrigiert, gelöscht oder durch eine neue DNA-Sequenz ersetzt werden soll. Anschließend wird die Stelle wieder repariert. „Die Reparatur-Mechanismen erfolgen in der Zelle automatisch. Wir haben sogar ununterbrochen jede Menge Brüche in unserem Genom, die wieder repariert werden.“

Boom in den Life Sciences

Als die zwei Wissenschaftlerinnen ihre Ergebnisse im August 2012 im Wissenschaftsjournal „Science“ publizierten, löste das in den Lebenswissenschaften einen regelrechten Boom aus: „Es dauerte gerade einmal acht Monate, bis Mikrobiologen zeigten, dass die Technik nicht nur bei Bakterien, sondern auch bei Pilzen, Pflanzen, Tieren und sogar bei menschlichen Zellen funktioniert.“

Die Welle der Begeisterung lässt sich leicht erklären. Zuvor war die Gentechnik nämlich ein langwieriges, mehrmonatiges und vor allem ein unsicheres Unterfangen. Wollte man beispielsweise das Genom von Obst und Gemüse so verändern, dass die Pflanzen ertragreicher werden, war es bei herkömmlichen Methoden unsicher, wo genau das neu eingefügte Gen im Erbgut schließlich landet. „Es wurde schnell klar, dass es einen großen Bedarf für eine Methode wie die CRISPR-Cas9 gab“, ergänzte Charpentier.

Neue Möglichkeiten: Multiplexing und Tarnung

Abgesehen von der punktgenauen und schnellen Arbeitsweise macht es die neue Technik auch möglich, die „Guide-RNA“ unterschiedlich zu programmieren und die genchirurgische Schere an diversen Stellen im Erbgut einzusetzen – auch Multiplexing genannt. Dadurch können mehrere Eigenschaften auf einmal verändert werden – sprich man könnte damit einen ertragreichen und zugleich gegen Parasiten resistenten Mais kreieren. Zuvor musste man jede Veränderung an einzelnen Pflanzen durchführen und diese anschließend miteinander kreuzen.

Ein weiterer Unterschied zu bisherigen Gentechniken, CRISPR-Cas9 hinterlässt keine Spuren. Die Gen-Schere schneidet mit einer solchen Präzision, dass die Veränderung im Nachhinein nicht mehr nachweisbar ist. Ähnlich wie bei der klassischen Pflanzen- oder Tierzucht, bei der durch das Kreuzen von verschiedenen Arten, das Genom „natürlich“ weiterentwickelt wird.

Das führte zuletzt zu intensiven Diskussionen innerhalb der Rechtswissenschaften, denn auf diese Art der Genmanipulation ist die derzeitige Gentechnikgesetzgebung nicht anwendbar, da es solche Methoden bisher nicht gab. Genetisch veränderte Lebensmittel müssten demnach nicht entsprechend gekennzeichnet werden.

Breite Anwendung

Die Anwendungsbereiche der Methode sind vielseitig, zu den wichtigsten zählen die Humanmedizin sowie die Agrarwirtschaft. So ist es US-Forschern gelungen, Champignons genetisch so zu verändern, dass diese langsamer braun werden und dadurch länger im Supermarkt angeboten werden können, wie die Fachzeitschrift „Nature“ berichtete. In der Gentherapie eingesetzt könnte die Methode wiederum helfen, Erbkrankheiten zu behandeln oder die Krebstherapie zu verbessern.

Charpentier betonte, dass noch viel Forschung nötig ist, um die Möglichkeiten des Werkzeugs kennenzulernen und es effektiver zu machen. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass es noch einfacher gebaute Enzyme gibt, wie das Enzym Cpf1, das Forscher/innen kürzlich entdeckten. Wie immer in der Wissenschaft gilt also: Keine Entdeckung ist das Ende, sondern immer der Anfang weiterer Entdeckungen.

 

Auf einen Blick

Emannuelle Charpentier war als Vortragende zu Gast auf Einladung des CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW. Sie hielt die 10. Landsteiner Lecture, benannt nach dem österreichisch-US-amerikanischen Pathologen Karl Landsteiner, der 1930 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW