10.07.2017

BRÜCHIGE BERGE

In den Alpen schmelzen die Gletscher. Davon sind auch Felswände betroffen. Werden diese eisfrei, verlieren sie ihren Halt, werden porös und beginnen zu bröckeln. ÖAW-Gebirgsforscher Kay Helfricht untersucht in einem neuen Langzeitprojekt, wie Felswände zum Steinschlagrisiko werden.

Kitzsteinhorn und Schmiedinger Kees ©Wikimedia/Public Domain/Wald1siedel
Kitzsteinhorn und Schmiedinger Kees ©Wikimedia/Public Domain/Wald1siedel

Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnten österreichische Gletscher auf weniger als 20 Prozent ihrer heutigen Fläche schrumpfen – Grund dafür ist der Klimawandel. Er macht auch steile Felswände in den obersten Bereichen der heutigen Gletscher eisfrei. Unter Führung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) soll nun mit einem kombinierten Langzeitmonitoring im oberen Bereich des Schmiedingerkees am 3.200 Meter hohen Kitzsteinhorn das Zusammenspiel von Gletscher, Karrückwand und der dazwischenliegenden Randkluft untersucht werden.

ÖAW-Gebirgsforscher Kay Helfricht, der in enger Zusammenarbeit mit der GEORESEARCH Forschungsgesellschaft das Projekt mit dem Namen „GlacierRocks“ leitet, erklärt im Interview, wie die Forscher/innen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland mit unterschiedlichen Messmethoden die Prozesse untersuchen, durch die Felswände ihre Stabilität verlieren und zur Gefahr für Bergsteiger werden können. 

Sie bezeichnen die glazialen Rückwände, die derzeit noch unter den dicken Eisschichten liegen, als großen Risikofaktor. Inwiefern?

Kay Helfricht: Grundsätzlich ist zu erwarten, dass mit dem weiteren Gletscherrückgang die nahezu senkrechten Karrückwände zum Vorschein kommen. Aus diesen ist vermehrt mit Steinschlägen und Felsstürzen zu rechnen. Das Risiko erstreckt sich dabei auf jene Gebiete, die von Menschen erschlossen sind. Beispielsweise im Gebiet des Kitzsteinhorns, das wir in unserem Projekt untersuchen. Hier gibt es Lifte, eine Bergstation, sowie Skipisten und Wanderrouten auf dem Gletscher.  

 

 „Mit dem weiteren Gletscherrückgang  kommen die Karrückwände zum Vorschein. Aus diesen ist vermehrt mit Steinschlägen und Felsstürzen zu rechnen.“

 

Betrifft das Gletscher weltweit?

Helfricht: Die Untersuchungen sind vorerst lokal, weshalb man nicht alle beobachteten Prozesse auf alle Karrückwände ummünzen kann. Schließlich kommt es auch auf die jeweiligen Gesteinsarten an, die sich unterschiedlich verhalten. Zudem gibt es viele vergletscherte Gebiete, wo Menschen keine Infrastruktur aufgebaut haben. Hier begrenzt sich das Risiko in dem eben beschriebenen Sinne auf Bergsteiger.

Woher weiß man, dass dieses Risiko hinter den Gletscherwänden schlummert?

Helfricht: Das ging aus dem vorhergehenden Forschungsprojekt Morexpert am Kitzsteinhorn hervor. Dabei wurden die Felswände zwischen dem Schmiedinger Kees und der Gipfelstation mithilfe von Laserscannern und anderen Fernerkundungsmethoden untersucht. Man hat festgestellt, dass 80 Prozent aller Steinschläge und Felsstürze in einem relativ kleinen Bereich bis 20 Meter oberhalb der Gletscheroberfläche ausgelöst werden. Hier, wo sich die Randkluft zwischen Fels und dem Eis befindet, wurden die Felsen durch den fortschreitenden Gletscherrückgang erst in den vergangenen Jahren eisfrei.

Sie untersuchen im Projekt „GlacierRocks“ nun jene Schichten, die noch unter dem Eis liegen. Was genau befindet sich dort?

Helfricht: Wir untersuchen den Grenzbereich, wo der Gletscher nahe an der Karrückwand ist, aber nicht angefroren ist. Diese sehr schmale Spalte von wenigen Metern Breite nennt man Randkluft. Hier herrschen Bedingungen, die zu einer vermehrten Zerklüftung bzw. einer Lockerung und damit hohen Mobilität des Gesteins führen.

Wie kommt es zu so einer hohen Mobilität? Hat dies mit den Temperaturschwankungen zwischen den Sommer- und Wintermonaten oder der Feuchtigkeit zu tun?

Helfricht:Diese Vorgänge wollen wir im Projekt genauer untersuchen. Dabei ist die Felsfeuchtigkeit ebenso interessant wie die Temperaturregime im Fels und im Eis – hier gibt es aber noch viele offenen Fragen. Außerdem ist unklar, ob die Randkluft während dem Winter mit Schnee gefüllt ist. Es handelt sich hierbei wirklich um ein einzigartiges Monitoring, da dieser Bereich noch nicht in dieser Detailliertheit beobachtet wurde.

 

 

Wie muss man sich diese Untersuchungen vorstellen?

Helfricht: Man kann in dieser Grenzzone zwischen Gletscher und Karrückwand einige Meter unter die Eisoberfläche steigen. Dieser Bereich der Randkluft soll mit unterschiedlichen Messinstrumenten ausgestattet werden. Bei der Felswand  versuchen wir einerseits die Temperatur in unterschiedlichen Tiefen und andererseits die Feuchtigkeit des Gesteins zu messen. Denn die Zerklüftung von Gestein hängt stark davon ab, wie viel Wasser im Fels enthalten ist. Zudem sollen seismische Messungen durchgeführt werden, wodurch mögliche Steinschläge oder Felsstürze aufgezeichnet werden. Mit sehr sensiblen Geräten kann man sogar erkennen, wann und wo Risse im Fels entstehen. Und damit wir auch wissen, was in den Wintermonaten vor sich geht, wenn die Randkluft nicht zugänglich ist, werden wir Webcams installieren.

Sollen diese Bilder auch öffentlich zugänglich sein?

Helfricht: Es ist noch offen, ob quasi ein Live-Streaming möglich ist. Im Moment geht es darum, sich ein Konzept zu überlegen, wie man diese Webcam installieren kann. Das betrifft vermeintlich einfache Fragen, wie: "Haben wir eine permanente Stromversorgung oder sind wir auf Batterien angewiesen?"

 

„Immerhin handelt es sich um eine extreme Umgebung, wo unklar ist, ob alle Messungen so funktionieren wie an der freien Luft“

 

Wie lange werden Sie die Felswände beobachten?

Helfricht: Wie heute üblich ist das Projekt auf drei Jahre angelegt. In diesem Jahr sollen die Instrumente soweit installiert werden. Über das nächste Jahr sammeln wir dann erste Daten und Erfahrung mit diesen Geräten. Immerhin handelt es sich hier um eine extreme Umgebung, wo unklar ist, ob alle Messungen so funktionieren wie an der freien Luft. Dann geht es natürlich darum, die gewonnen Daten auszuwerten. Es ist natürlich wünschenswert, die Forschungsinfrastruktur auch über die nächsten Jahre hinaus zu nutzen, um auf unseren ersten Ergebnissen und Erfahrungen aufzubauen.

 

Kay Helfricht ist seit 2014 als PostDoc am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW tätig. Zuvor war er u.a. als Junior Researcher am alpS – Centre for Climate Change Adaptation und als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Innsbruck beschäftigt. Seine Forschungsbereiche umfassen Gebirgshydrologie, Massen- und Energiebilanz von Gletschern und der alpinen Schneedecke, Fernerkundung der Schneedeckenverteilung im Hochgebirge, sowie angewandte Glaziologie und Geophysik.

Projekt „GlacierRocks“

 

Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW