23.03.2016

Am Anfang war die Erbse

Gregor Mendels Vererbungsregeln revolutionierten vor 150 Jahren die Biologie. Ein Symposium widmete sich an der ÖAW dem „Vater der modernen Genetik“ und den neuesten Erkenntnissen der Molekularbiologie.

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Jedes Schulkind lernt sie im Biologieunterricht, heuer feiern sie ein rundes Jubiläum: die „Mendelschen Regeln“. 1866, also vor 150 Jahren, veröffentlichte Gregor Mendel seine berühmten Kreuzungsversuche an Erbsen – einer Pflanze, die in unterschiedlichen Farben blüht und deren Schoten beispielsweise gelb oder grün und deren Samen glatt oder runzlig sein können. Als Mönch im Brünner Stift interessierte er sich dafür, was im Klostergarten vor sich ging und begann naturwissenschaftlich zu experimentieren. Um herauszufinden, wie spezielle Eigenschaften auf die nächste Generation übertragen werden, kreuzte Mendel über Jahre hinweg tausende Erbsenpflanzen miteinander. Dabei erkannte er Gesetzmäßigkeiten im Vererbungsmuster, die nach seinem Tod als „Mendelsche Regeln“ bekannt geworden sind.

Das Symposium „150 Jahre Mendelsche Regeln: vom Erbsenzählen zum Gen-Editieren“ widmete sich im März 2016 an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und in Kooperation mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Veterinärmedizinischen Universität, der Universität für Bodenkultur und der Gregor Mendel Gesellschaft dem runden Jubiläum und der heutigen Bedeutung von Mendels Erkenntnissen.

Der Tiermediziner und Agrarwissenschaftler Gottfried Brem spricht im Interview über die revolutionäre Wirkung von Mendels Vererbungslehre, die Frage, weshalb sie erst nach seinem Tod anerkannt wurde und warum es die berühmten Ausnahmen von der Regel auch bei Mendel gibt.

Welche Bedeutung hat Gregor Mendel für Sie und Ihre Arbeit?

Gregor Mendel ist für jeden Genetiker und Tierzüchter von großer Bedeutung. In meiner wissenschaftlichen Arbeit während der letzten 35 Jahre spielten die „Mendelschen Regeln“ vor allem für die Erforschung von monogenen Erbfehlern bei einheimischen Haus- und Nutztieren ein wichtige Rolle.

Folgt jede Vererbung den „Mendelschen Regeln“?

Im Prinzip sind die „Mendelschen Regeln“ bis heute von universeller Gültigkeit. Mittlerweile ist aber eine Reihe von Phänomenen bekannt, die diesen Regeln nicht folgen. Das liegt zum einen daran, dass die Voraussetzungen für deren Gültigkeit nicht gegeben sind. Für andere Erscheinungen nicht-Mendelscher Genetik wiederum sind auch einfach ergänzende molekulare Erklärungen nötig.

Voraussetzungen für die Anwendbarkeit „Mendelscher Regeln“ sind unter anderem die sexuelle Fortpflanzung und Diploidie, also das Vorhandensein eines doppelten Chromosomensatzes, die fehlende Selektion der Gameten, also der „Keimzellen“, autosomale Kodierung, keine Kopplung der Gene und keine Epistasie, eine Form der Gen-Interaktion, bei der ein Gen die Unterdrückung der phänotypischen Ausprägung eines anderen Gens bewirkt.

Gene, die auf den Geschlechtschromosomen liegen und auch das mitochondriale Genom, das in der Regel von der Mutter an die Nachkommen weitergegeben wird, folgen in ihrem Vererbungsmodus ebenfalls nicht den „Mendelschen Regeln“.

Mendels Entdeckung wurde erst Jahre nach seinem Tod in der Wissenschaft anerkannt. Warum hat das so lange gedauert?

Mendels neue epochale Erkenntnis war ein Meilenstein der Wissenschaftsgeschichte und offensichtlich war er seiner Zeit Jahrzehnte voraus – die sogenannte etablierte Wissenschaft war damals noch nicht reif dafür. Das änderte sich erst eine Generation später. Um das Jahr 1900 erkannten einige Wissenschaftler – sozusagen die „Wiederentdecker“ – ähnliche bzw. gleiche Gesetzmäßigkeiten wie Mendel. Durch sie avancierte das zwanzigste Jahrhundert schließlich zum Jahrhundert der Genetik.

Spielte es vielleicht eine Rolle, dass Mendel vor allem Mönch war?

Das lässt sich heute nicht endgültig klären.

War sich Mendel selbst der Tragweite seiner Entdeckung bewusst?

Mendel erkannte, dass Merkmale der Eltern als unveränderliche Einheiten, als erbliche Charactere nach konstanten Häufigkeitsverhältnissen an die folgenden Generationen übertragen werden. Jedes Individuum besitzt von diesen Erbfaktoren zwei komplette Sätze, jeweils einen von jedem Elternteil. Damit widerlegte Mendel die herrschende Annahme, die Merkmale der Elternpflanzen würden vermischt an die Nachkommen weitervererbt werden. 

Mendel war ein solider, gewissenhafter und geradezu genialer Naturforscher, aber er war kein Visionär. Sein Denken beruhte auf christlicher Anthropologie: er zeigte Gesetzmäßigkeiten auf. Für ihn war das, was er tat, in der Schöpfung verankert.

Mendels Regeln haben über die „klassische“ Genetik hinaus Bedeutung – inwiefern?

Die von Mendel postulierten Vererbungsregeln revolutionierten im 20. Jahrhundert nicht nur die Biologie und Agrarwissenschaft, sondern hatten auch enormen Einfluss auf viele andere Fachgebiete. Seit etwa fünfzig Jahren dominiert die Molekulargenetik in der Biowissenschaft. Sie hat – 150 Jahre nach Mendel – in alle Lebenswissenschaften Einzug gehalten und nicht nur die Biologie und Agrarwissenschaften enorm bereichert, sondern auch neue diagnostische Verfahren mit ungeahnter Präzision in die Human- und Tiermedizin gebracht. Sie hat biologische Produktionstechnologien revolutioniert und ganz neuartige Medikamente und Behandlungsverfahren entstehen lassen.

Aktuelle Entwicklungen wie das Gen- und Genomeditieren ermöglichen es auch, Gene von Pflanzen und Tieren sehr gezielt zu verändern. Hier sind wir aber noch in dem entscheidenden Prozess, wo Wissenschaft und Gesellschaft sorgfältig prüfen und bewerten müssen, wie die Technik dem Wohl der Gesellschaft zu Gute kommen kann und soll.

Sie haben bereits mehrere Veranstaltungen zu Gregor Mendel abgehalten. Was war das Besondere an diesem Symposium?

Mehrere wissenschaftliche Symposien der ÖAW haben sich entweder mit den Nachwirkungen der „Mendelschen Regeln“ oder auch mit deren Ausnahmen beschäftigt. Das aktuelle Symposium widmete sich nun zum ersten Mal der Person Mendel und seiner wissenschaftlichen Arbeit.

 

Gottfried Brem ist wirkliches Mitglied der ÖAW und

Professor am Institut für Tierzucht und Genetik der

Veterinärmedizinischen Universität Wien. Er ist Autor von mehr als 470

Publikationen und Mitglied u.a. der Nationalen Akademie der

Wissenschaften Leopoldina, der Russischen Akademie der Wissenschaften

und Ehrenmitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Für seine

wissenschaftlichen Arbeiten wurde er mit zahlreichen Preisen und

Auszeichnungen gewürdigt.