Ein Tiroler Don Bosco: Josef Lambichler
(1883–1956)

Knapp sieben Jahrzehnte nach seinem Tod ist der „Sozialapostel“ noch vielen Einwohnerinnen und Einwohnern von Hall in Tirol ein Begriff. Manchen gilt er wegen seines selbstlosen Einsatzes für die „Gassenkinder“ und andere Bedürftige sogar als moderner Heiliger.

Josef Lambichler erblickte am 9. Oktober 1883 in Meidling, das damals noch nicht nach Wien eingemeindet war, das Licht der Welt. Sein Vater, der ebenfalls Josef hieß, war ein aus Klagenfurt gebürtiger Hauptmann der k. u. k. Armee, die Mutter Aloisia, geborene Amort, eine Wirtstochter aus Hall in Tirol. Nach dem frühen Tod des Vaters 1887 übersiedelte der vierjährige Lambichler mit seiner Mutter und zwei Geschwistern nach Hall. Dort besuchte der aufgeweckte und als manchmal ungestüm beschriebene Josef die Knabenvolksschule und 1894‒1896 das Gymnasium der Franziskaner. Aufgrund gesundheitlicher sowie daraus resultierender schulischer Probleme wechselte er, unterstützt durch ein Stiftungs-Stipendium, an das Gymnasium der Benediktiner in Meran, wo er 1904 die Reifeprüfung ablegte. Anschließend kehrte er nach Nordtirol zurück, um in Innsbruck Theologie zu studieren.

Studium und frühe Priesterjahre

Der junge Seminarist fiel als besonders wissbegierig und an den brennenden Fragen seiner Zeit interessiert auf. Vor allem sein soziales Engagement und seine Sorge um die gesellschaftlich Benachteiligten wurden allseits positiv bemerkt und hervorgehoben. Der Jesuit Michael Hofmann, Leiter des Theologenkonvikts Collegium Canisianum, in dem Lambichler während seines Studiums wohnte, und zeitlebens ein väterlicher Freund des Biografierten, merkte dazu an: „[Er hatte eine] große Liebe zu den Armen, denen er alles verschenkte, für die er unzählige Gänge machte. Er darf einen großen Lohn vom Heiland erwarten.“

Am 26. Juli 1908 empfing Lambichler in der Innsbrucker Jesuitenkirche die Priesterweihe durch den Brixner Fürstbischof Josef Altenweisel, die Primiz feierte er in Kundl. In den folgenden Jahren war er als Kooperator in den Pfarren Flirsch (1908–1909), Matrei am Brenner (1909–1914), Flauerling (1914–1919) und Imst (1919–1920) eingesetzt, wo er als vorbildlicher Seelsorger in Erinnerung blieb. So äußerte sich der Burschenverein Edelweiß in Flauerling anlässlich von Lambichlers Wechsel in die Pfarre Imst in einem Leserbrief an den „Allgemeinen Tiroler Anzeiger“ im Mai 1919 wie folgt: „Was Kooperator Lambichler in unermüdlicher Selbstlosigkeit für die ganze Gemeinde und für unsern Verein gewirkt, was er sich an Opfer, Mühe und Arbeit für uns kosten ließ, was er Sorge für uns getragen, das zwingt uns und der ganzen Gemeinde ein tausendfaches, dankbares ‚Vergeltsgott!‘ ab.“

Einsatz für die Haller „Gassenkinder“

Als Lambichler am 1. November 1920 nach Hall in Tirol versetzt wurde, wo er bis zu seinem Tod wirken sollte, herrschte dort als Folge des Ersten Weltkriegs großes soziales Elend, vor allem auch unter den Kindern und Jugendlichen. Diesen Hilferuf hörte Kooperator Lambichler und wurde, neben seiner Beschäftigung als Religionslehrer, sofort und unermüdlich tätig.

Zusammen mit dem bereits vor Ort wirkenden Katholischen Arbeiterverein und etlichen bessergestellten Unterstützern begann er, sich insbesondere für die Haller „Gassenkinder“ einzusetzen, wobei er sich an der „Pädagogik der Vorsorge“ des heiligen Don Giovanni Bosco und der „Frommen Schule“ des heiligen José de Calasanz orientierte. Ziel seiner Bemühungen war es, den körperlichen ebenso wie den geistigen Hunger zu stillen und neben Spiel und Spaß auch Orientierung im Glauben und somit im Leben zu geben.

Später wurden zu eben diesem Zweck ein Kinder- und Jugendhaus auf der Pletzerwiese in Hall (1926), das Erholungsheim Mayer-Hütte im Voldertal (1927) sowie ein weiteres auf der Gufl am Tulferberg (1932) errichtet, wo über die folgenden Jahrzehnte abertausende Kinder versorgt und betreut wurden.

Seelsorger im Untergrund

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 schränkten die Nationalsozialisten die katholische Glaubenspraxis massiv ein und machten gegen Priester und Ordensleute Stimmung, worunter auch Lambichler und seine Schützlinge zu leiden hatten: Pletzerwiese, Mayer-Hütte und Gufl wurden geschlossen und die Jugendseelsorge quasi unterbunden. In diesen Jahren engagierte sich der als „Haller Jugendapostel“ apostrophierte Lambichler im Untergrund und trat verstärkt als Armen- bzw. Krankenseelsorger in Erscheinung, wobei ihm vor allem die Patientinnen und Patienten der großen Haller „Irrenanstalt“, wie sie damals noch genannt wurde, am Herzen lagen.

Ab Kriegsende und nach Aufhebung der Repressionen gegenüber dem geistlichen Stand begann Lambichler sein Jugendapostolat erneut im vollen Umfang. So wurde schon 1945, mit Erlaubnis der Alliierten, das Haus auf der Pletzerwiese wiedereröffnet. Bis 1948 konnten die beiden Ferienheime auf dem Tulferberg und im Voldertal erneut in Betrieb genommen werden. Wie nach dem Ersten Weltkrieg bemühte sich Kooperator Lambichler auch nun besonders um die am stärksten unter der wirtschaftlichen Not Leidenden. Solange seine körperlichen Kräfte es zuließen, war er unterwegs, um für sie da zu sein, für sie zu betteln und für sie seine Stimme zu erheben.

Bis aufs letzte Hemd ...

Ab 1953 verschlechterte sich Lambichlers Gesundheitszustand zusehends. Mehrmals hielt er sich zur Pflege bei Verwandten in Wien auf, kehrte jedoch immer wieder nach Hall zurück, um sich hier weiter zu engagieren. So berichtete seine langjährige Mitarbeiterin in der Jugendbetreuung Juliana Krautgasser: „Vor seiner letzten Abreise [nach Wien, wo er sich wieder in ärztliche Behandlung begeben wollte] bat er mich, ihm den Koffer zu packen. Erst nach längerem Suchen konnte ich ihm eine einzige Wäschegarnitur zusammenstellen, etwas Fadenscheiniges, Minderes; ein Hemd zum Beispiel mit kurz abgeschnittenen Ärmeln. Alles Bessere hatte er längst schon verschenkt.“

Am 14. März 1956 starb Josef Lambichler entkräftet in Wien, wo er auf eigenen Wunsch im Familiengrab am Sieveringer Friedhof beigesetzt wurde. Der Haller Bürgermeister Viktor Schumacher merkte wenig später im Rahmen einer Gemeinderatssitzung an, „dass wir die Bedeutung unseres Kooperators Lambichler heute als seine Zeitzeugen noch gar nicht recht abschätzen können. Aber etwas können wir, und ich erachte es als eine Pflicht, seinen letzten Wusch zu erfüllen und die von ihm geschaffenen Werke der Jugendbetreuung zu erhalten und auszubauen. […] Es darf keine Redensart sein, wenn ich sage: Unser Kooperator Lambichler wird unvergessen sein.“

Viele Jahre bemühte man sich, die sterblichen Überreste dieses von vielen als heiligmäßig erachteten „Vaters der Gassenkinder“ von Wien nach Hall in Tirol zu überführen, was 1978 tatsächlich gelang. Seitdem ruhen seine sterblichen Überreste in einem Ehrengrab in der dortigen Pfarrkirche, wo vor seinem Bild zahlreiche Kerzen brennen und Menschen immer wieder um seinen Beistand in der Not beten.


Literatur: P. Liebenrain, Kooperator Josef Lambichler. Ein Leben für die Jugend, 1962; Gedenkschrift zum 60. Todestag am 14. März 2016 von Kooperator Josef Lambichler 1883–1956, ed. A. Strauhal, 2016 (mit Bild); M. Kolozs, „Komm, Kind, iss!“. Nächstenliebe und soziales Engagement des Kooperators Josef Lambichler zu Hall in Tirol. Biografie und Dokumentation, 2022 (mit Bild); Pfarre Meidling, Wien.

(Martin Kolozs)

Für die Unterstützung bei der Beschaffung von Bildmaterial bedanken wir uns bei Marieluise Fischerleitner (Thaur).