13.07.2016

Verschollene Bruckner-Partituren entdeckt

Musikhistoriker des IKM stießen auf bedeutende Abschriften von Anton Bruckners Messe in e-Moll und weiterer Werke des österreichischen Komponisten.

© Diözesanarchiv Linz (Foto: Robert Klugseder)

Es gilt als eines der ersten Meisterstücke von Anton Bruckner: Mit der „Messe in e-Moll“, uraufgeführt 1869 und 1885 in Linz, bereicherte der österreichische Komponist die Kirchenmusik um ein ebenso interessantes wie facettenreiches Werk. Doch die Messe für Chor und  Bläserensemble gibt Musikhistoriker/innen und Musiker/innen bis heute Rätsel auf. Denn wie bei vielen von Bruckners Werken existieren auch von dieser Messe mehrere voneinander abweichende Fassungen, die in unterschiedlichen Kopien vorliegen und damit den Blick speziell auf die Gestaltung der beiden Uraufführungen verstellen. Forscher/innen des Instituts für kunst- und musikhistorische Forschungen (IKM) könnten nun dazu beigetragen haben, neues Licht in dieses Dunkel zu bringen: Sie entdeckten seit über einem Jahrhundert verschollene Abschriften, mit denen unter anderem nachgewiesen werden kann, dass die Uraufführung der Messe in e-Moll deutlich stimmgewaltiger gewesen sein dürfte, als bisher angenommen.

Neue Stimmen

Im Rahmen von Digitalisierungen u.a. für das Projekt Bruckner Online stießen Stefan Ikarus Kaiser und Robert Klugseder im Bruckner-Archiv des Stifts St. Florian sowie im Diözesanarchiv Linz auf nicht weniger als 118 zusätzliche Stimmen für die Uraufführungen der Messe. Diese Instrumental- und Choralstimmen dürften den Charakter des Werks zumindest bei den Uraufführungen maßgeblich beeinflusst haben. Zur wissenschaftlichen Entzifferung der komplexen Entstehungs- und Entwicklungshistorie von Bruckners Werken trägt zudem bei, dass mit dem Wiener Konzertmeister Karl Hofmeister jener Kopist identifiziert werden konnte, der im Auftrag Bruckners als Urheber der neu entdeckten Abschriften auftrat.

Wertvolle Wiederentdeckungen

Gute Nachrichten für Bruckner-Forscher/innen und Freund/innen der Kirchenmusik stellen auch weitere handschriftliche Funde dar, die in den beiden Archiven aufgetaucht sind. So wurde beispielsweise Notenmaterial für die Uraufführungen der Festkantate und der Marienantiphon Tota pulchra es Maria, sowie Abschriften der Antiphon Asperges me, des Responsorium Ecce sacerdos magnus und des Graduale Virga Jesse floruit wiederentdeckt. Alle diese Notenschätze wurden auf Bruckner Online unter www.bruckner-online.at frei verfügbar zugänglich gemacht.
Für Robert Klugseder, Leiter von Bruckner Online, steht fest: „Durch die wiederentdeckten Handschriften steht ein Quellenkorpus zur Verfügung, das bei der Beurteilung zahlreicher, vor allem kirchenmusikalischer Werke Anton Bruckners von großem Wert ist.“

Auch davon, dass der archivalische Glücksgriff weit über die Bruckner-Forschung hinaus Relevanz haben wird, ist Klugseder überzeugt: „Die wiederentdeckten Abschriften könnten selbst in der Musikpraxis, etwa in Form adaptierter Neuaufführungen, zur Anwendung gelangen.“ In welcher Fassung dies dann geschieht, obliegt freilich dem Auge des Partitur-Betrachters.