Die Erschließung der Musikhandschriften Franz Schuberts ist ein Hauptanliegen der Wiener Arbeitsstelle der Neuen Schubert-Ausgabe. Seit deren Anfängen in den 1960er Jahren war die Datierung eine zentrale Aufgabe, da sie ergänzende Informationen zur Geschichte der Quellen liefert. Dabei wurden nicht nur die Handschriften Schuberts, sondern auch die von ihm verwendeten Papiersorten berücksichtigt. Dank der kontinuierlichen Quellendokumentation kann die Neue Schubert-Ausgabe heute auf einen Bestand von mehr als 1.300 handschriftlichen Wasserzeichenpausen zurückgreifen.
So wertvoll diese Pausen auch sind, wurden einige doch unter ungünstigen Bedingungen erstellt und lassen keinen vergleichenden Überblick zu. Eine zeitgemäße digitale Visualisierung und Indizierung sind schon lange ein Desiderat. Mit modernen bildgebenden Verfahren, unter Verwendung von Thermografie, maschinellem Lernen und Signalverarbeitung, können objektivere Ergebnisse erzielt werden. Hier setzt das neue Projekt (in Kooperation mit dem Institut für Schallforschung der ÖAW) an, das sich grundlegender Ideen aus dem Bereich der Fingerabdruckerkennung bedient, wo in ähnlicher Weise versucht wird, aus einer Vielzahl an Datensets zu bestimmen, welche davon demselben Fingerabdruck zugeordnet werden können. Somit werden nicht nur bisherige Ergebnisse der Schubert-Forschung verifiziert, sondern zudem in Richtung auf ein geläufiges Anwendungsszenario – die Lücke zwischen analog und digital aufbereiteten Forschungsdaten – abstrahiert. In Korrelation mit anderen Sammlungen wird eine Schnittstelle eingerichtet, die die Suche nach ähnlichen und identischen Wasserzeichen erleichtert. Um den offenen Zugang und die Langzeitarchivierung zu gewährleisten, werden die Daten nach den Richtlinien der Music Encoding Initiative in die Datenbank schubert-digital.at sowie nach den bewährten Methoden der Wasserzeichenforschung in das Wasserzeichen-Informationssystem (WZIS) eingetragen.
In einem weiteren Schritt soll maschinelles Lernen eingesetzt werden, um die Unterschiede zwischen den handschriftlichen Pausen und den qualitativ hochwertigen thermografischen Aufnahmen zu analysieren. Ziel ist es, mithilfe von style-transfer learning die Pausen in Bilder zu transformieren, welche nahe an die Qualität der tatsächlichen thermografischen Aufnahmen heranreichen. Auf dieser Basis würden auch handschriftliche Pausen, die aus diversen Gründen nicht digital erfasst werden können, für unsere Methodik nutzbar gemacht.
Das von Katharina Loose-Einfalt koordinierte Projekt ist angebunden an die von Andrea Lindmayr-Brandl initiierte und mit April 2021 gegründete Kommission für interdisziplinäre Schubert-Forschung an der ÖAW. Als weiterer Principal Investigator ist Günther Koliander am Institut für Schallforschung tätig. Da sich ein großer Teil der Schubert-Handschriften in Wien befindet, konnten die Wienbibliothek im Rathaus sowie die Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek als Kooperationspartner gewonnen werden.
18.05.2021