21.12.2022

Neues Projekt im Hanslick-Portfolio der ÖAW

Die Widersprüche und das generelle Verhältnis zwischen Eduard Hanslicks Ästhetik, seinen Kritiken und seinen echten wissenschaftlichen Abhandlungen ist seit dem neunzehnten Jahrhundert ein Streitpunkt des Musikdiskurses. Ein neues Forschungsprojekt zu seinen Kritiken zwischen Ästhetik, Publizistik und Wissenschaft (2022–2025) analysiert erstmals die komplexen wechselseitigen Beziehungen dieser Texte und damit die dynamische Entwicklung von Hanslicks Position(en).

Eduard Hanslick und Anton Bruckner (Schattenbild von Otto Böhler). © ÖNB, https://onb.digital/result/110CA9EE


Seit dem Gedenksymposion zum 100. Todestag von Eduard Hanslick (2004) besteht an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eine fast schon kontinuierliche Hanslick-Forschung, betrieben von Christoph Landerer und Alexander Wilfing im Rahmen mehrerer Drittmittelprojekte (gefördert von FWF und OeNB) – zunächst an der Kommission für Musikforschung (2009–2011), danach am Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen (2014–2019) und seit 2020 am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage. Diesen Projekten zu Hanslicks Traktat Vom Musikalisch-Schönen, seiner Entstehung, Entwicklung über zehn Auflagen und ideengeschichtlichen Kontextualisierung gesellt sich nun ein neues Projekt bei, das die bisherigen Ansätze aufgreift und ausweitet.

Zentral war (und ist) dabei die Frage nach der dynamischen Entwicklung von Hanslicks Ansichten, wie sie bereits in den überarbeiteten Textfassungen der späteren Auflagen zum Ausdruck kommt: So spiegeln die neuen Vorworte Hanslicks Haltung zu je aktuellen Debatten in ihren jeweiligen historischen Kontexten. Das neue Projekt „Eduard Hanslicks Kritiken zwischen Ästhetik, Publizistik und Wissenschaft“ weitet diesen Ansatz auf sein gesamtes Oeuvre aus, das neben der Musikkritik auch akademische Abhandlungen und von ihm besorgte Sammelbände umfasst. Ob und in welchem Ausmaß Hanslicks Schriften das ästhetische Argument seines Traktats bekräftigen, widerlegen, antizipieren oder weiterentwickeln, wird hier zu untersuchen sein.
Zur ProjektbescHreibung

Die Textgrundlage hierfür bilden eine neue, digitale Edition von Vom Musikalisch-Schönen (2023 online), die kritische Ausgabe von Texten aus dem Zeitraum von 1844 bis 1865 durch Dietmar Strauß (7 Bde.), Hanslicks Aufsätze für die Neue Freie Presse (1864–1904) sowie seine insg. 12 Anthologien. Die beiden letzten Corpora (Hanslicks Aufsätze für die Neue Freie Presse und die Anthologien) sollen im Rahmen des Projekt im TEI-Format verfügbar gemacht werden. Durch Anwendung von Methoden der Digital Humanities zur qualitativen Analyse ermöglichen die solcherart generierten Daten nicht nur inhaltliche Vergleiche mit dem Traktat, sondern ebenso zwischen Hanslicks originalen Aufsätzen sowie deren (teils tiefgehend redigierten) Fassungen für die Anthologien; ein automatisierter Textabgleich wird hier Rückschlüsse auf die Dynamik von Hanslicks Position(en) erlauben.

Inhaltlich ist dieses Projekt primär mit den Kohärenzen, Widersprüchen, Kontinuitäten und Brüchen zwischen Hanslicks Tätigkeit als Ästhetiker, Rezensent und Wissenschaftler befasst. Ist die Musikkritik tatsächlich ein „praktischer Ausläufer“ der Ästhetik, wie Hanslick in Vom Musikalisch-Schönen behauptet? Was hat es dann aber mit vermeintlich eindeutigen Diskrepanzen auf sich, wenn es um den Bezug von Musik und Gefühl oder auch die historische Einbettung des Kunstwerks in Ästhetik und Kritik geht? Wie verhalten sich die von Hanslick begründete universitäre Musikwissenschaft und die Tageskritik, die er im ersten Band seiner Reihe Die Moderne Oper (1875) als „ästhetische Statistik“ des damaligen Musiklebens konzipiert? Wieso und mittels welcher Prinzipien änderte Hanslick den Wortlaut seiner Kritiken für die auf Langfristigkeit ausgelegten und wohl auch für die Nachwelt bestimmten Sammelbände? Wandelten sich Hanslicks Positionen im Lauf der Zeit oder inspirierten historisch gebundene Anlässe sowie deren Wegfall diese Eingriffe?

Diesen und anderen Fragen zur textlichen wie inhaltlichen Verfasstheit von Hanslicks Schriften geht das Projektteam mit Katharina Bamer, Christoph Landerer, Anna-Maria Pfiel, Daniel Stoxreiter und Alexander Wilfing bis Ende 2025 nach. Neben der Online-Edition von Hanslicks Aufsätzen für die Neue Freie Presse ist als zentraler Projekt-Output eine zweibändige Anthologie vorgesehen, die Wilfing und Thomas Grey ins Englische übertragen und annotieren werden.