15.11.2019

Neuentdeckte Cembalowerke des Wiener Hoforganisten Wenzel Raimund Birck

Die vor Kurzem wiederentdeckte „Klavierschule“ von Maria Wilhelmine Gräfin von Thun-Hohenstein stellt eine umfangreiche Quelle für Werke des Komponisten Wenzel Birck dar. Die Schule enthält zudem einen Kompositionsversuch der talentierten Musikerin und bedeutenden Musikmäzenatin. Die neuen Kompositionen fanden Eingang in das von der Abteilung Musikwissenschaft (IKM) erstellte digitale Werkverzeichnis Bircks.

Heinrich Friedrich Füger, Porträt von Maria Wilhelmine Gräfin von Thun-Hohenstein (Cleveland Museum of Art, The Edward B. Greene Collection 1942.1142)

Maria Wilhelmine Gräfin von Thun-Hohenstein (1744–1800, geborene Gräfin von Uhlfeld) ist in der Musikwissenschaft als wichtigste Förderin Wolfgang Amadeus Mozarts (1756–1791) bekannt. Sie unterstützte den befreundeten Künstler und verhalf ihm durch ihre Kontakte zum Wiener Hof zu Möglichkeiten, seine Werke am Burgtheater aufführen zu lassen, so zum Beispiel Die Entführung aus dem Serail. Mozart nennt Wilhelmine in einem Brief an seinen Vater Leopold „die charmanteste und liebenswerteste Dame, die ich je getroffen habe". Die Gräfin war selbst eine herausragende Musikerin. Der englische Musikhistoriker Charles Burney (1726–1814) beschreibt ihr Talent folgender maßen: “She possesses as great skill in music as any person of distinction I ever knew." Bisher vermutete man, dass Wilhelmine Schülerin Joseph Haydns (1732–1809) gewesen war, auch wenn es für diese Annahme keine eindeutigen Beweise gibt. Nach der Wiederentdeckung der „Klavierschule“ der Gräfin ist jedoch eindeutig belegt, dass Wenzel Birck in ihrer Kindheit ihr Lehrer war. Der Wiener Hofmusiker genoss das größere Ansehen als der zu dieser Zeit noch wenig bekannte Haydn. Somit ist nachvollziehbar, warum die Wahl der Grafenfamilie Uhlfeld auf Birck fiel.

Bei der Katalogisierung der Musikbestände der Lobkowiczké knihovny a archivu (Lobkowitz Bibliothek und Archiv) in Nelahozeves (Mühlhausen) durch das Unternehmen Répertoire International des Sources Musicales (RISM) fand man die bereits erwähnte „Klavierschule“ (Signatur X A e 26), ein kleines querformatiges Buch mit einer Sammlung von Werken für Cembalo. Auf dem vorderen Buchdeckel ist zu lesen: „Pour La Comtesse Wilhelmina D’Uhlefeld“. Der Fund in dieser Bibliothek lässt sich damit erklären, dass Wilhelmines Mutter Maria Elisabeth eine Prinzessin aus dem Haus der böhmischen Fürstenfamilie Lobkowitz war. Der imposante Familiensitz in Wien, das Palais Lobkowitz, gegenüber der Albertina gelegen, dient heute als Österreichisches Theatermuseum.

Die Sammlung enthält 68 einfache Kompositionen, einige davon in zusammengehörenden Satzfolgen gruppiert (z.B. Divertimento primo und secondo). 38 dieser Werke lassen sich eindeutig Wenzel Birck zuweisen, entweder durch die konkrete Nennung seines Namens beim jeweiligen Stück, oder durch einen Vergleich mit bekannten Werken des Komponisten. Weitere Untersuchungen zeigen, dass 17 dieser Musikstücke als Neuentdeckungen einzustufen sind. Damit erhöht sich die Gesamtzahl der erhaltenen Werke Bircks auf 98. Die Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien ist im Besitz einer weiteren, autographen „Klavierschule“ aus den 1750er Jahren, die Birck für seinen Unterricht verwendete (Mus.Hs. 1079). Inhalt und Aufbau sind in den beiden Sammlungen sehr ähnlich. Zudem kann eindeutig festgestellt werden, dass Wilhelmines Sammlung autographe Eintragungen Bircks enthält.

Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang Bircks Bemühungen, Bearbeitungen von größer besetzten Werken für ein Tasteninstrument zu erstellen. Die Gattung „Klavierbearbeitung“ ist in den 1750er Jahren noch sehr jung, Bircks Bearbeitungen stellen somit eine der ersten Zeugnisse dieses Genres dar. Bei dem Jubiläumskonzert zum 300. Geburtstag Bircks im Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2018 konnte die Cembalobearbeitung einer Aria aus der Oper Il Demetrio von Baldassare Galuppi (1706–1785) präsentiert werden. Die Oper wurde anlässlich des Geburtstags Maria Theresias im Jahr 1748 am Burgtheater uraufgeführt und war damit sowohl Birck als auch dem Hof bekannt. Diese Bearbeitung ist vermutlich der älteste, umfangreiche „Klavierauszug“ von Teilen einer Oper. Birck transkribierte nicht nur die Gesangs- und die Bassstimme, sondern berücksichtigte auch die übrigen Instrumente. Die „Klavierschule“ Wilhelmines enthält mit dem mehrteiligen Divertimento secondo (WWB VI-2) zudem eine Bearbeitung der Sinfonia ô ouverture della Pantomima Wenzel Bircks (WWB II-3), in der Originalbesetzung für Traversflöte, zwei Oboen, zwei Cornetti, zwei Violinen, Altviola und Bass. Das Vorhandensein dieser Reduktionen in Unterrichtswerken lassen auf einen pädagogischen Hintergrund schließen: Die Schüler*innen kannten vermutlich die Originalwerke und wollten diese selbst spielen können. Diese Vorgehensweise ermöglicht einen interessanten Blick auf die Unterrichtspraxis der Zeit.

Viele der Stücke der „Klavierschule“ sind Tänze, darunter Menuette, Balli, Polonaisen, Contredanses und Allemandes. Der Bezug zum Wiener Hof lässt sich klar erkennen, besonders auch bei den zahlreichen Galanterien mit Titeln wie La petite Josephe, La Therese Angloise, La Nannetta Africana, La bell'Esther und Les Nobles Allemandes. Wenzel Birck war am Hof Maria Theresias als Hoforganist und Komponist tätig, zudem war er für den Musikunterricht der Kinder der kaiserlichen Familie zuständig, nicht zuletzt auch für den des jungen Erzherzogs Joseph.

Bircks Oeuvre kann überwiegend der sogenannten „Epoche zwischen den Epochen“, also der Übergangszeit zwischen Barock und Klassik, zugeordnet werden. Im Bereich der Instrumentalmusik ist Birck ein wichtiger Wegbereiter der Wiener Klassik. Sein Einfluss auf den Schüler und späteren Kaiser Joseph II. kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Josephs Vorliebe für Musik strengen Stils sowie seine hohe Urteilsfähigkeit in Sachen Musik im Allgemeinen dürfte wesentlich auf die Ausbildung bei Birck zurückgehen.

Die Abteilung Musikwissenschaft arbeitet an der digitalen Gesamtausgabe der Werke Wenzel Bircks. Die bisher erzielten Forschungsergebnisse können auf der Website www.digital-musicology.at (→Editionen →Wenzel Birck) abgerufen werden. Hier steht auch das aktualisierte Werkverzeichnis des Komponisten zur Verfügung (WWB). Das Editionsvorhaben beschreitet in vielerlei Hinsicht neue Wege. So kommt für das innovative Vorhaben der digitale Kodierungsstandard der Music Encoding Initiative (MEI) zur Transkription und philologischen Beschreibung zum Einsatz. Diese Kodierung genügt weitgehend den wissenschaftlichen Standards einer kritischen Quellenedition, ist aber auch für die automatisierte Produktion von individuellem Notenmaterial für die Musikpraxis geeignet. Musiker*innen werden in der Lage sein, Partituren und Stimmenmaterial den jeweiligen Ansprüchen entsprechend online zu konfigurieren und für Musikaufführungen zu nutzen. Gleichzeitig stellt die Edition ein ideales Ausbildungsprojekt für Musikwissenschaftsstudierende der Universität Wien dar, die im Rahmen von Abschlussarbeiten die Basisdaten für die digitale Edition erstellen.

Ansprechpartner: Doz. Dr. Robert Klugseder

Weiterführende Links
Werkverzeichnis Wenzel Birck
Die „Klavierschule“ in RISM online
Maria Wilhelmine Gräfin von Thun-Hohenberg im Oesterreichischen Musiklexikon (OeML)