27.09.2017

Johannes Brahms in der Wiener Presse

1862 kam der gebürtige Hamburger Johannes Brahms (1833–1897) erstmals nach Wien. Am 16. November desselben Jahres trug er dort als Pianist sein g-Moll-Klavierquartett op. 25 mit dem Quartett Hellmesberger öffentlich vor. Dieser erste Wiener Auftritt des Komponisten fand auch in der Presse ein beachtliches Echo. Ein Forschungsprojekt an der Abteilung Musikwissenschaft des IKM beleuchtet die Brahms-Rezeption im Spiegel der zeitgenössischen Wiener Presse.

Wiener Abendpost, Beilage zur Wiener Zeitung, 1892, Nr. 18 (23. Jänner 1892), S. [1] (ANNO / Österreichische Nationalbibliothek)

Anlässlich des genannten Auftritts schrieben die Wiener Blätter für Musik, Theater und Kunst über den „Tonsetzer und Claviervirtuose[n] Hr. J. Brahms, der in Hellmesberger’s erster Quartettproduction in achtungerregender, wenn auch nicht durchgreifender Weise den Schauplatz öffentlicher musikalischer Kundgebungen in Wien betrat“ (2. Dezember 1862). Wenig später war Brahms zeitweilig Chormeister der Wiener Singakademie (1863/1864) und ließ sich 1869 endgültig in der Stadt nieder. Zahlreiche seiner Werke wurden bereits zu seinen Lebzeiten in Wien aufgeführt – manche erlebten hier ihre Uraufführung. „Zeitgenössische Tageszeitungen und Zeitschriften sind eine aufschlussreiche Informationsquelle zur Rekonstruktion dieser Veranstaltungen, erwähnen sie doch auch die Mitwirkenden oder die Aufführungsorte“, sagt Projektmitarbeiterin Vasiliki Papadopoulou. „Durch umfangreiche Kritiken in der Presse lassen sich zudem Aufführungsprofile skizzieren und die Reaktionen des damaligen Wiener Publikums nachzeichnen.“

Die Kritiken der Wiener Brahms-Aufführungen fielen oft unterschiedlich, sogar polarisierend aus: Der unter dem Kürzel R. H. publizierende Musikreferent Rudolf Hirsch empfand gar „eine Art Beklommenheit“, „wenn der neue Johannes in der Tonwüste, Herr Johannes Brahms“ sich verkündete. „Dieser von Robert Schumann […] angerufene Prophet, der übrigens auch in Wien seine energischen Verehrer zählt […,] macht uns völlig kleinmüthig und trostlos mit seinen verschwommenen, duseligen und gruseligen Tonvexationen, die weder Leib, noch Seele haben und die unzweifelhaft nur Producte der verzweifeltesten Anstrengung sein können. […]“ (Wiener Zeitung, 5. März 1867). Andererseits brachte der österreichische Musikhistoriker August Wilhelm Ambros Brahms’ Œuvre hohe Wertschätzung entgegen, wenn er schrieb: „Brahms aber ‚trete‘ ruhig weiter, der Weg, den er tritt, führt zur Unsterblichkeit!“ (Wiener Zeitung, 11. Dezember 1872).

Das vom Land Wien (Kulturabteilung, MA 7) geförderte Projekt Johannes Brahms Gesamtausgabe– Auswertung der Wiener Brahms-Rezeption ist an der Abteilung Musikwissenschaft des Instituts für kunst- und musikhistorische Forschungen (IKM) der ÖAW angesiedelt. Ziel der Studie ist eine systematische Auswertung der Wiener Presse im Zeitraum 1862–1902 im Hinblick auf Johannes Brahms. Das Projekt ist ein Forschungsschwerpunkt an der Wiener Arbeitsstelle des Langzeitprojekts Johannes Brahms Gesamtausgabe mit der Hauptforschungsstelle am Musikwissenschaftlichen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Die Auswertung der Wiener Presseberichte erfolgt mithilfe der von ANNO (AustriaN Newspapers Online der Österreichischen Nationalbibliothek) zur Verfügung gestellten Jahrgänge. Die Ergebnisse dieser Forschungen werden nach Rubriken geordnet in eine Datenbank aufgenommen, die insbesondere für die Erstellung der Einleitungstexte in den Gesamtausgaben-Bänden herangezogen wird.