01.08.2023

Monitoring der Medien in der Europäischen Union

Aktueller Österreich-Report nun auch in deutscher Sprache erschienen

©EUI, Centre for Media Pluralism and Media Freedom

Zum ersten Mal seit der Einführung des Media Pluralism Monitors (MPM) 2014 sehen die Ergebnisse der Erhebung 2022 die Vielfalt des Medienmarkts in Österreich stark gefährdet. Die horizontale und sektorenübergreifende Konzentration, die unzureichende Berücksichtigung von Veränderungen des Medienangebots und der Mediennutzung im Wettbewerbsrecht, die nur bescheidenen Einnahmensteigerungen, die weit unter dem BIP-Wachstum liegen, der Abfluss von weit mehr als einem Drittel der Online-Werbeeinnahmen an einige wenige globale Plattformen, die drohenden personellen Einschnitte in Redaktionen und ein unzureichendes System der Medienförderung, das große Unternehmen begünstigt, bedrohen die Lebensfähigkeit des Marktes und die Marktvielfalt. Die Bereiche Politische Unabhängigkeit und Gesellschaftliche Inklusion sind in mittlerem Ausmaß gefährdet; nur der Grundlegende Schutz weist ein geringes Risiko auf. In allen vier Bereichen stellen drei von zwanzig Indikatoren ein hohes, zehn ein mittleres und sieben ein geringes Risiko dar.
 

Grundlagen eines demokratischen Mediensystems intakt

Die Grundlagen eines demokratischen Mediensystems sind in Österreich intakt und robust: Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist, auch im Internet, gut geschützt. Die Medienbehörden arbeiten unabhängig. Öffentliche Fernseh- und Radiosignale erreichen fast jeden, und Breitbandanschlüsse decken mehr als 90 % der Bevölkerung ab. Der Zugang zum Journalismus ist frei und die Zahl der physischen Angriffe auf Journalist:innen ist zurückgegangen. Es gibt (noch?) ein reichhaltiges und vielfältiges Angebot an regionalen und lokalen Medien, einschließlich eines lebendigen Community Medien-Sektors. In Wahlkampfzeiten repräsentiert der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seiner Berichterstattung die Parlamentsparteien in weitgehend adäquater Weise. Rechtliche Bestimmungen, die Regierungsbeamte und politische Parteien vom Medienbesitz im audiovisuellen und Radiobereich ausschließen, die professionelle Arbeit der Austria Presse Agentur (APA) und Redaktionsstatuten (sofern sie vorhanden sind) gehören zu den Vorkehrungen, die eine politische Einmischung in den Journalismus erschweren sollen.
 

Versuche politischer Einflussnahme auf die Medien

Dieses Bild wird jedoch durch die Ergebnisse anderer Indikatoren beeinträchtigt, die ein höheres Risiko anzeigen. Aufgrund von Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft werden immer mehr Verdachtsfälle von versuchter politischer Einflussnahme auf Medien und Journalismus öffentlich bekannt. Es scheint, dass die bestehenden, vom MPM als risikoarm eingestuften gesetzlichen Bestimmungen und Maßnahmen die politische Unabhängigkeit in der Praxis nicht wirksam schützen können. Die außerordentlich hohen staatlichen Werbeausgaben in Höhe von 225 Millionen Euro im Jahr 2021 und 201,4 Millionen im Jahr 2022 tragen wesentlich zu dieser Entwicklung bei. Zudem wird die politische Einflussnahme auf den ORF durch die gesetzlich vorgesehenen Verfahren zur Bestellung der Mitglieder des wichtigsten Gremiums (des Stiftungsrates) und zur Wahl des Generaldirektors begünstigt – ein Missstand, der auch durch das neue ORF-Gesetz nicht behoben wird. Hingegen könnten die neuen Bestimmungen die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrages in einem sich verändernden Medienumfeld und schon mittelfristig eine ausreichende Finanzierung des ORF gefährden. Beunruhigend ist auch die zunehmende Kontrolle politischer Parteien über einen stetig wachsenden Teil des Online-Nachrichtensektors.
 

Weitere Versäumnisse

Wie alle Vorgängerregierungen hat es auch die jetzige Regierung bisher verabsäumt, ein Gesetz über die Informationsfreiheit zu verabschieden. Ein Mangel an Transparenz besteht auch bei der Offenlegung der Wahlkampfausgaben politischer Parteien für soziale Medien, bei der Vergabe staatlicher Werbeaufträge, bei den angewandten Kriterien für Finanzierungsentscheidungen und bei der Offenlegung von Medieneigentum (Informationen über die letztendlichen Eigentumsstrukturen von Medienunternehmen sind nicht allgemein verfügbar). Frauen und Minderheiten sind in Medienorganisationen und Medieninhalten weitgehend unterrepräsentiert, und es fehlt an einer umfassenden Politik (und Ressourcen) zur Bekämpfung von Desinformation und zur Förderung der Medienkompetenz. Es fehlt nach wie vor ein umfassender Rahmen für den Schutz von Journalist:innen, was deren Sicherheit angesichts der sozialen Polarisierung, die zunehmend von gewaltbereiten Kräften ausgenutzt wird, schlagartig verschlechtern kann. Den meisten Redaktionen fehlen Strukturen und klar formulierte Richtlinien für den Umgang mit (sexueller) Online-Belästigung sowie mit Hassreden in Community-Foren, und die Medienbranche leidet generell unter nur rudimentär entwickelten Selbstregulierungssystemen.
 

Zum siebten Mal haben Josef Seethaler und Maren Beaufort und Andreas Schulz-Tomančok im Auftrag des Europäischen Hochschulinstituts, Florenz, den Österreich-Bericht des von der EU finanzierten Media Pluralism Monitor verfasst. Der Media Pluralism Monitor (MPM) ist eine wichtige Informationsquelle für die Europäische Kommission, die sich bei der Erstellung ihres jährlichen Rechtsstaatlichkeitsberichts auf dessen Ergebnisse stützt. Er wurde entwickelt, um die Schwachstellen in den nationalen Mediensystemen zu bewerten, die ein freies, vielfältiges, politisch unabhängiges und gesellschaftlich inklusives Mediensystem gefährden könnten.
 


Kontaktperson: Josef Seethaler