26.06.2017

Digitalisierung zwischen Traum und Albtraum

Steigern Roboter unseren Lebensstandard? Oder nehmen sie den Menschen die Arbeitsplätze weg? Johann Čas vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung ist überzeugt: technischer Fortschritt braucht gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen.

© Shutterstock.com
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Der Traum vom Haushaltsroboter, der uns lästige Arbeiten abnimmt, kann schnell zum Albtraum werden. Dann nämlich, wenn Maschinen den Menschen Arbeitsplätze wegnehmen oder menschliche Arbeit überwachbar machen. Auch neue technisch unterstützte Organisationsformen von Arbeit, wie Crowdworking, können zwiespältige Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben.

Das Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) widmete sich dem Thema „Neue Arbeitswelt und Digitalisierung“ aus einer fächerübergreifenden Perspektive bei seiner Jahreskonferenz in Wien. Dabei wurden neue Arbeits- und Lebensmodelle ebenso diskutiert wie Mensch-Maschine-Interaktionen oder Vertrauen und Überwaschung im Zeitalter von Big Data.

Im Interview erklärt Johann Čas, Mitorganisator der Konferenz, welche Umbrüche die fortschreitende Digitalisierung mit sich bringen könnte und warum bei allen neuen technischen Entwicklungen der Mensch und die soziale Gerechtigkeit im Mittelpunkt stehen sollten.

Gab es auf der Konferenz eine Einsicht über eine Neuerung, die Sie besonders überrascht hat?

Johann Čas: Am ehesten war für mich gerade die Vielfalt der Ansätze und Fragen überraschend, etwa wie viele Probleme sich im Detail noch bei der Technik des autonomen Fahrens ergeben oder welche Möglichkeiten neuer Arten der Zusammenarbeit oder des Wirtschaftens entstehen. All dies zeigt, wie wichtig das Thema Digitalisierung und Arbeitswelt geworden ist. Besonders bedeutsam scheint mir zu sein, dass trotz unterschiedlicher Analyseperspektiven und divergierender Lösungsansätze die Verteilungsfrage als ein zentrales Anliegen erkannt und genannt wurde.

In welchem Bereich des Arbeitslebens, werden künftig die größten Veränderungen und Umbrüche zu erwarten sein?

Čas: Grundsätzlich wird die Digitalisierung in fast allen Bereichen des Arbeitslebens Auswirkungen zeigen. Dies bedeutet natürlich nicht, dass auch überall menschliche Arbeit durch Computer oder Maschinen ersetzt wird. Aber auch dort, wo digitale Technologien nur zur Unterstützung eingesetzt werden z.B. bei der Arbeit mit Datenbrillen in der Fabrik oder bei Reparaturservices, machen Sie auch die menschliche Arbeit prinzipiell transparent und überwachbar.

Insbesondere Informationsverarbeitungen mit mittlerer Komplexität dürften zunehmend ohne menschliche  Arbeit auskommen, etwa bei Kreditvergaben oder Vertragsabschlüssen.


Insbesondere Informationsverarbeitungen mit mittlerer Komplexität dürften zunehmend ohne menschliche  Arbeit auskommen, etwa bei Kreditvergaben oder Vertragsabschlüssen, bei denen große Mengen an automatisch eingeholten Informationen über eine Person mit in die Entscheidungsfindung einfließen.

Es ging bei der Tagung auch um neue Organisationsformen der Arbeit. Wie funktionieren Crowdworking-Plattformen? Und welche sozialen Auswirkungen haben sie?

Čas: Diese Plattformen sind eine Art Arbeitsbörsen im Internet für alle möglichen Aufgaben, die manchmal sehr kleinteilig organisiert sind, also auch nur Centbeträge an Honorar bieten. Für Auftraggeber funktioniert das in der Regel sehr gut. Die Firmen können einzelne Projekte oder Tätigkeiten im Prinzip global ausschreiben und das für sie günstigste Angebot auswählen.

Für die Auftragnehmer sieht es zumeist weniger rosig aus. Vielfach müssen sie ständig parat stehen und auch Aufträge annehmen, die kein existenzsicherndes Einkommen bieten, oft allein schon, um im Bewertungssystem der Plattform nicht nach unten gereiht zu werden. Es ist keine einfache, aber immens wichtige und auch nicht unmögliche Aufgabe der Politik, die arbeitsrechtlichen Errungenschaften des vorigen Jahrhunderts auch auf solchen Plattformen durchzusetzen.

Es ist ein alter Traum der Menschen, Maschinen für sich arbeiten zu lassen, gleichzeitig gibt es die Furcht, dass Maschinen uns die Arbeitsplätze wegnehmen. Werden wir in Zukunft weniger arbeiten?

Čas: Es wird sicher noch längere Zeit dauern, bevor dieser Traum Wirklichkeit werden kann. Und es bedarf eines Umdenkens, damit dieser Traum nicht zu einem Albtraum für viele wird, wie es derzeit der Fall ist. Mit einem durchschnittlichen Wert von etwa 10 Prozent Arbeitslosigkeit in der Europäischen Union, und teilweise noch viel dramatischeren Zahlen für einzelne Staaten oder Gruppen, praktizieren wir derzeit eine Form der „Arbeitszeitverkürzung“, die extrem ineffizient und ungerecht ist. Nur eine andere Verteilung von Arbeit und Einkommen kann dazu führen, dass die Potenziale der Technik wirklich genutzt und die ansonsten berechtigten Ängste vor der Automatisierung ausgeräumt werden können.

Sollte man die technische Entwicklung nicht einfach „laufen lassen“?

Čas: Allein die Probleme und Notwendigkeiten einer gesellschaftsverträglichen Nutzung der digitalen Technik, die ich angesprochen habe, zeigen deutlich, dass sozialer und technischer Fortschritt nur mit Hilfe von politischen Vorgaben und staatlicher Regulierung in Einklang gebracht werden können. Wir brauchen mehr Bewusstsein dafür, dass der Mensch im Mittelpunkt stehen sollte und nicht die Märkte oder die Technik.

Wir brauchen mehr Bewusstsein dafür, dass der Mensch im Mittelpunkt stehen sollte und nicht die Märkte oder die Technik.


Mit der Übertragung von Aufgaben der Entscheidungsfindung an Maschinen sind auch direkt fundamentale ethische Fragen verknüpft, z.B. wenn es darum geht, Algorithmen beizubringen, nicht diskriminierend zu agieren, etwa Auswahlraster nach rassistischen Stereotypen vorzunehmen oder sexistische Sprachformeln zu verwenden. Wichtig ist auch, trotz selbstlernender Systeme die Autonomie menschlicher Entscheidungsgewalt nicht in Frage zu stellen.

Sie haben bald 30-jähriges Dienstjubiläum am Institut – wenn Sie zurückschauen: Haben sich Prognosen eigentlich mehrheitlich bewahrheitet oder gibt es ein prominentes Beispiel für eine Voraussage, die nicht eingetreten ist? 

Čas: Hier kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass sich die Prognosen überwiegend bewahrheitet haben. In manchen Fällen muss man ein „Leider“ hinzufügen, zum Beispiel  wenn es um die Bedrohung der Privatsphäre durch den Fortschritt bei den Informations- und Kommunikationstechnologien geht.

In diesem Sinn kann man hoffen, dass die neue Datenschutzgrundverordnung, die relevante Strafen für die Nichteinhaltung von Datenschutzbestimmungen vorsieht, Wirksamkeit zeigen wird. Denn Datenschutz lässt sich nur durchsetzen, wenn die Strafen bei Verstoß auch entsprechend schmerzhaft sind.

 

Johann Čas ist seit 1988 Technikfolgenabschätzer und damit einer der ersten wissenschaftlichen Mitarbeiter des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung der ÖAW.

Dort war er zuletzt etwa Koordinator der EU-Projekte PRISE und SurPRISE, zwei Projekte zum Thema Überwachung und Sicherheitstechnologien, die den Schwerpunkt auf gesellschaftliche Folgen und Konformität mit Grundrechten legten. Čas ist auch als Berater und Gutachter zu Ethikfragen für Forschungsprojekte und die Europäische Kommission tätig.

Die Konferenz „Neue Arbeitswelt und Digitalisierung – Welche Folgen haben neue Organisationsformen und Technologien?“ fand am 19. Juni 2017 auf Einladung des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung an der ÖAW in Wien statt.

Programm der Konferenz

Institut für Technikfolgen-Abschätzung der ÖAW