Karl Felix Wolff (1879-1966) – der Barde der „Bleichen Berge“

Am 25. November 1966 verstarb in Bozen der Schriftsteller, Sagensammler und Heimatforscher Karl Felix Wolff. Zum 140. Geburtstag des Verfassers der „Dolomitensagen“ erschien 2019 eine Neuauflage seines Weltbestsellers.

Karl Felix Wolff war ein waschechtes Kind des alten Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn. Als Sohn eines deutschsprachigen Offiziers aus Schlesien und einer zweisprachigen Mutter vom Tiroler Nonsberg (Val di Non) 1879 im kroatischen Karlovac geboren, kam er bereits 1881 nach Bozen. Dort erlernte er in der lokalen Presse das publizistische Handwerk und betätigte sich anfänglich als politischer Berichterstatter. Doch schon bald richtete er sein Augenmerk mehr und mehr auf den Reisejournalismus, vor allem auf das aufstrebende Fremdenverkehrswesen Südtirols. Er schrieb Handbücher und Hotelführer, er schrieb für Wiener, Münchner, Berliner Blätter, für spezifische Reisezeitschriften und für die Wochenbeilagen großer Tageszeitungen, und am liebsten schrieb er über die Traumlandschaft der Dolomiten, um ein vornehmes, gebildetes und zahlungskräftiges Publikum in das soeben entdeckte Feriengebiet zu locken. Seine Sammlung „Dolomitensagen“, erstmals 1913 als schmales Bändchen erschienen, wuchs bis 1966, dem Todesjahr des Autors, zu einem umfangreichen Werk heran, das zahlreiche Auflagen erlebte.

Das „Unternehmen Dolomiten“

Die Entdeckung der Dolomiten begann im späten 19. Jahrhundert und hängt mit der Entwicklung des Alpinismus zusammen. Vorher war das Gebiet eine abweisende Bergregion, wo der Mensch hart ums Überleben kämpfen musste. Als nun plötzlich Städter in den abgeschiedenen Tälern auftauchten und begeistert von der Schönheit der Dolomiten schwärmten, da schüttelten die Bauern und Hirten anfangs wohl verständnislos den Kopf: Diese schaurigen Zinnen? Hexen und Dämonen trieben dort ihr Unwesen, und man kam ihnen besser nicht in die Quere. Was sollte diese seltsame Sucht, auf möglichst hohe Berge zu steigen, ohne jede zwingende Not – einfach so, als Freizeitvergnügen?

Am sportlichen Wettkampf um die unberührten Dolomitengipfel beteiligte sich halb Europa in einer Art friedlichen Olympiade: Italiener, Engländer, Franzosen, Deutsche und natürlich Österreicher erkletterten als unersteiglich eingestufte Berge. Namen wie Paul Grohmann oder Emil Zsigmondy trugen die Kunde der luftigen Felsnadeln hinaus in die Welt, und bald ergriff das Kletterfieber auch die einheimischen Kenner der Hochregion.

Rund um den Alpintourismus wurde es schnell ein Gebot der Stunde, das Fremdenverkehrswesen zu organisieren. Unumgänglich war dabei vor allem der Bau von Wegen und Zufahrtsstraßen. Die Idee einer Straße quer durch das ganze Dolomitengebiet, von Bozen am westlichsten Rand über die Pässe bis nach Cortina d’Ampezzo im Osten, wurde in Bergsteigerkreisen schon früh angedacht und schließlich mit Hilfe des Wiener Kriegsministeriums auch verwirklicht, denn neben wirtschaftlichen Interessen ging es um handfeste strategische Überlegungen. Die Trassenführung der „Großen Dolomitenstraße“ verläuft in der Tat in etwa parallel zur alten Staatsgrenze zwischen Österreich-Ungarn und dem damaligen Königreich Italien, und die Militärstrategen in Wien beobachteten im späten 19. Jahrhundert mit wachsender Sorge die Vorgänge an der Südgrenze des Riesenreiches. Im September 1909 konnte die gesamte Weganlage nach fast zehnjähriger Bauzeit eröffnet werden und erwies sich von Anfang an als Lebensader des Dolomitengebietes. Als sich dann 1915 Italien gegen Österreich stellte, wurde die militärische Bedeutung der Straße in ihrem ganzen tragischen Ausmaß klar: heute noch sind die Spuren des Gebirgskrieges, der da bis Ende 1917 tobte, längs der legendären Panoramastraße zu sehen.

In den Jahren um 1900 war es aber noch nicht soweit. Der gepflegte Alpintourismus boomte, Teilstücke der „Großen Dolomitenstraße“ waren bereits befahrbar, und wenn die anspruchsvollen Gäste in den alpinen Grand Hotels darüber Genaueres wissen wollten, so griffen sie zum inhaltsreichen Führer „Monographie der Dolomitenstraße und des von ihr durchzogenen Gebiets“ (1908) aus der Feder von Karl Felix Wolff, oder zu dessen Bändchen mit „Dolomitensagen“, wo im Stil gehobener Unterhaltungsliteratur von der Wunderwelt der „Bleichen Berge“ erzählt wurde. Die italienische Ausgabe erschien ab 1922 unter dem Titel „I monti pallidi“, ein zweiter Band („Il Regno dei Fanes“) kam 1932 heraus, ein dritter („Ultimi fiori delle Dolomiti“) 1953. Auch die italienischen Übersetzungen seiner Sagen wurden immer wieder neu aufgelegt.
Neben der Dolomiten-Literatur verfasste Wolff aber auch eine Unzahl von Reisebildern aus dem aufblühenden Tourismusland Tirol, so schrieb er etwa über die damals brandneuen Bergbahnen – und dann brach der Weltkrieg aus ...

Das Ende einer Welt

Wolff rückte ein und leistete während der Kriegsjahre an der österreichisch-italienischen Front im Dolomitengebiet und am Gardasee Dienst. Wegen seiner zarten Gesundheit war er nicht bei der kämpfenden Truppe eingesetzt, arbeitete jedoch in der Etappe als Übersetzer, da er perfekt Deutsch und Italienisch sprach und sich auch mit der ladinischen Bevölkerung im Frontgebiet gut verständigen konnte.

Österreich-Ungarn brach auseinander, Südtirol kam zu Italien. Karl Felix Wolff, im Geist der Völkervielfalt Kakaniens erzogen, hatte Mühe, nach 1918 in Bozen wieder Fuß zu fassen. Zudem plagten ihn ernste berufliche Sorgen. Seine Verbindungen zur deutschsprachigen Presse – nunmehr im Ausland – waren abgerissen, an Tourismus war im kriegsverwüsteten Europa sowieso nicht zu denken.

Wolff wandte sich verstärkt der Schriftstellerei und dem Wissenschaftsjournalismus zu. Schon vor dem Krieg war er mit alldeutschem Ideengut in Berührung gekommen, und so publizierte er nun Aufsätze zur Rassenkunde, namentlich des alpinen Raumes, da er – immer im Zusammenhang mit seinen geliebten Dolomiten – die Frage nach der Herkunft der dort ansässigen Ladiner klären wollte.

Der Mythos vom Urvolk

Wolff versuchte das Ladinertum weniger sprachlich, sondern vor allem ethnisch, d. h. „völkisch“ zu definieren. Die Ladiner sprächen wohl eine romanische Sprache, seien aber Nachfahren eines „Urvolks“, und zwar der Räter, die das Erbe eines alten, edlen Blutes in sich trügen. Da wirft ein bedenkliches Weltbild seinen düsteren Schatten, doch muss dem habsburgtreuen Wolff zugutegehalten werden, dass es ihm vor allem darum ging, die Ladiner gegen die im Namen der „Latinità“ vom national orientierten Königreich Italien erhobenen Machtansprüche in Schutz zu nehmen. Offen äußerte sich Wolff zu politischen Fragen nach der Machtergreifung des Faschismus (1922) allerdings kaum: Diese Zurückhaltung war auch mehr als angeraten, da er als Sohn eines österreichischen Offiziers und nicht auf Südtiroler Boden geboren jederzeit als „feindlich gesinnter Ausländer“ hätte ausgewiesen werden können. Vorsichtig versuchte er hingegen, in der italienischen Tourismus-Publizistik Fuß zu fassen, was ihm mit einigen Zielen des sich langsam erholenden Reisemarktes auch gelang. Er italianisierte seinen Namen in „Carlo Felice“ und verfasste Broschüren über Gröden oder über Cortina d’Ampezzo, das von den faschistischen Machthabern gezielt zum High-Society-Treff ausgebaut wurde.

Der Zweite Weltkrieg brach aus und ging vorüber. In der unseligen Zeit zwischen 1943 und 1945, als Südtirol unter nationalsozialistische Besatzung geriet, stellte Wolff sich in den Dienst des sogenannten SS-Ahnenerbes. Man schätzte seine heimatkundliche Expertise, doch war er dem NS-Regime wegen seiner „pazifistischen“ Haltung nicht recht geheuer. Wolff blieb zeitlebens ein völkisch denkender Alldeutscher, hielt aber Abstand zur NS-Ideologie.

Die Erfindung der „Bleichen Berge“

Mit dem Beginn des Wirtschaftswunders entstand ab den 1960er-Jahren das Phänomen des Massentourismus, der Fremdenverkehr wurde zum Industriezweig. Dieser Entwicklung war Karl Felix Wolff nicht mehr gewachsen. Er lebte zurückgezogen in Bozen und widmete sich mehr und mehr allein seinem Lebenswerk, den „Dolomitensagen“, die 1957 ihre „erste Gesamtausgabe“ erlebten.

Wolffs Gespür für die erstaunlichen Überlieferungen der Ladiner schenkte dem Gebiet einen Klassiker der Sagenliteratur. Die Dolomiten hätten einst, so heißt es, genau so ausgesehen wie alle Berge der Alpen, grau und düster. Doch dann umhüllten zauberkundige Salváns („wilde Männer“) das Gebiet mit einem hellen Gespinst aus Mondlicht: Eine traumverlorene Erinnerung umweht seitdem die lichten Gipfel, man nennt sie die „Bleichen Berge“.

Verwunschen ist auch König Laurins Rosengarten. Die mittelhochdeutsche Märe vom Kampf zwischen dem Zwergenritter Laurîn und Dietrich von Berne kennt wohl diesen magischen Garten, nicht aber das Ende vom Lied: Der besiegte Laurîn habe den Garten zu Stein werden lassen, damit niemand mehr seine Pracht sehen könne, weder bei Tag noch bei Nacht. Doch er hatte die Dämmerung vergessen, und so kommt es, dass man bei Sonnenuntergang den Widerschein von Laurîns Rosen an den Wänden der „Bleichen Berge“ erstrahlen sieht. Das ist die Sage vom Alpenglühen.

Motive solcher Art passten allerdings durchaus nicht ins Bild der traditionellen Tiroler Sagenlandschaft. Die Fachwelt beäugte Wolffs poetische „Dolomitensagen“ mit offenem Misstrauen, und die Tatsache der offenkundigen Bearbeitung der in der europäischen Tradition oft einzig dastehenden Motive führte schließlich zur Beurteilung der Sammlung als „Kunst-Sagen“, wenn nicht gar als literarische „Erfindung“. Das behauptet heute niemand mehr. Wolff hat die „Sagen und Überlieferungen, Märchen und Erzählungen“ der Dolomitenbewohner nicht erfunden, wohl aber im Stil der Brüder Grimm gleichsam „um-erzählt“; es ist nun Aufgabe der kritischen Kulturanthropologie, die zweifellos autochthonen Motive freizulegen.

Dem nicht unumstrittenen Autor der „Dolomitensagen“ wurde 1960 der erste Walther-von-der Vogelweide-Preis zuerkannt; schon ab 1951 war er ordentliches Mitglied der angesehenen Accademia Roveretana degli Agiati. Karl Felix Wolff verstarb 25. November 1966 in Bozen. Sein Nachlass liegt im Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck.


Weitere Werke: Schenkers Führer durch Südtirol, 1911 (3. Aufl. 1913, Ergänzungen und Nachträge 1921); Verkehrs-, Hotel- und Sommerfrisch-Buch für Südtirol, Königreich Italien, Provinz Venezia Tridentina, 1922; Rassenlehre. Neue Gedanken zur Anthropologie, Politik, Wirtschaft, Volkspflege und Ethik, 1927; König Laurin und sein Rosengarten. Ein höfisches Märchen aus den Dolomiten. Nach der mittelhochdeutschen Spielmanns-Dichtung „Laurin“ und nach verschiedenen Volkssagen in freier Bearbeitung, 1932 (13. Auflage 1999; italienisch: Re Laurino e il suo roseto, 1997); Cortina e le sue Dolomiti, 1935; Erzählungen aus Südtirol, 1951; Alt-Völker Tirols. Eine grundsätzliche Stellungnahme zu den wichtigsten Fragen der heimischen Völkergeschichte in gemeinverständlicher Darlegung, 1951.


Literatur: J. Rampold, in: Jahrbuch des Südtiroler Kulturinstitutes 3–4, 1964, S. 156ff.; K. Wieninger, Südtiroler Gestalten, 1980, S. 323ff.; U. Kindl, Kritische Lektüre der Dolomitensagen von Karl Felix Wolff 1–2, 1983–97; Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv 37, 2018 (= Themenheft K. F. Wolff), ed. U. A. Schneider – U. Tanzer, 2018.

(Ulrike Kindl)

Wir danken dem Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck sowie dem Bildarchiv Austria der Österreichischen Nationalbibliothek für die kostenlose Bereitstellung von Bildmaterial.