Karl Landsteiner - „der Welt grösste Autorität auf dem Gebiete des Mechanismus der Immunität“

„Blut ist ein besonderer Saft“. Diese Erfahrung mussten Forscher im 17. Jahrhundert leidvoll erleben, als sie versuchten, Tierblut auf Menschen zu übertragen und statt des erwarteten Heilerfolgs den Tod ihrer Patienten verursachten. Mehr als zwei Jahrhunderte benötigten Wissenschaftler, um dem Blut seine Geheimnisse zu entlocken und erst 1901 fand die lebensrettende Entdeckung Karl Landsteiners – nämlich die verschiedenen menschlichen Blutgruppen – in der medizinischen Wissenschaft Anerkennung. 1907 gelang am Mount Sinau Hospital in New York die erste Bluttransfusion, im Verlauf des Ersten Weltkriegs wurden diese auf breiterer Basis durchgeführt, heute sind sie aus der Medizin nicht mehr wegzudenken. Die Entdeckung Landsteiners machte die Auswahl geeigneter Blutspender möglich, wodurch früher gefährliche Operationen zu sicheren Unternehmungen wurden. Sie war aber auch ein wichtiger Schritt zur Errichtung von Blutbanken. Seit 2004 wird jährlich an Landsteiners Geburtstag, dem 14. Juni, der Weltblutspendetag begangen.

 

Familie und Ausbildung

Karl Landsteiner kam am 14. Juni 1868 als Sohn des Wiener Journalisten, Zeitungsherausgebers und Gründers der „Morgenpost“ (1850) Dr. iur. Leopold Landsteiner (gest. 1875) und dessen Ehefrau Fanni, geborene Hess (1837-1908) in Baden bei Wien zur Welt. Der junge Karl wurde zunächst mosaisch erzogen, während seines Studiums konvertierte er gemeinsam mit seiner Mutter zum katholischen Glauben und wurde 1890 getauft. Überwiegend lebte die Familie im 2. Wiener Gemeindebezirk, verbrachte aber immer wieder längere Zeit in der Villa des befreundeten Josef Hesky, Mitbegründer und Vizepräsident der Steyrermühl-Papierfabrik, in Baden, der 1875 auch die Vormundschaft über den siebenjährigen Karl übernahm. 1916 heiratete Landsteiner Leopoldine Helene Wlasto (1880-1943), die Tochter des Mesners der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zum Hl. Georg in Wien.

Ab 1877 besuchte Karl das Staatsgymnasium im 9. Wiener Gemeindebezirk, die 5. und 6. Klasse absolvierte er am Staatsgymnasium  in Linz, ehe er wieder an das heutige Wasagymnasium zurückkehrte. Nach seiner Matura 1885 studierte er Medizin an der Universität Wien, unter anderem bei Carl Langer von Edenberg, Eduard Albert, Anton Weichselbaum, Carl Toldt, Heinrich Obersteiner, Hermann Nothnagel, Theodor Billroth und Alexander Kolisko. Von Anbeginn seines Studiums fesselte ihn die Kunst des Experimentierens. Im chemischen Laboratorium machte er unter Ernst Ludwigs Anleitung wissenschaftliche Versuche und verfasste seine ersten Publikationen. Dort wurde auch der Grundstein für seine späteren serologischen Untersuchungen gelegt. Während des 5. und 6. Semesters leistete Landsteiner seinen Militärdienst ab. 1891 wurde er zum Dr. med. promoviert. Im Anschluss vertiefte Landsteiner seine Kenntnisse an der II. Medizinischen Universitätsklinik bei Otto Kahler, aber auch in Würzburg bei Emil Hermann Fischer, in München bei Eugen Bamberger sowie in Zürich bei Arthur Hantzsch. Zurück in Wien, schloss er seine praktische Ausbildung als Operationszögling ab und begann seine Laufbahn als theoretischer Mediziner.

 

Wissenschaftliche Karriere

1896-97 arbeitete Landsteiner als zweiter Assistent des Hygiene-Instituts der Universität Wien unter Max von Gruber. Dort befasste er sich mit serologischen Fragestellungen und es entstand seine erste bakteriologisch-serologische Publikation. Damit war Landsteiners Interesse für Blut geweckt. Doch unzulängliche Arbeitsbedingungen im Hygiene-Institut, das damals in der Alten Gewehrfabrik untergebracht war, veranlassten ihn 1897 als Volontär-Assistent an das pathologisch-anatomische Institut der Universität zu wechseln, wo vor allem mikrobiologische Forschungen im Vordergrund standen. 1898 wurde er unbesoldeter und noch im selben Jahr besoldeter Assistent, 1903 habilitierte er sich für pathologische Anatomie. 1908 übernahm Landsteiner die Leitung der Prosektur des Wilhelminenspitals. 1911 wurde er zum außerordentlichen Universitätsprofessor ernannt. 1915 war er mit der Leitung der Prosektur des Kriegsspitals Nr. 1 im 16. Wiener Gemeindebezirk betraut. Daneben arbeitete er intensiv im Institut Anton Weichselbaums am Wiener Allgemeinen Krankenhaus und richtete sich im Tierstall des pathologisch-anatomischen Instituts ein Laboratorium für seine immunologischen und epidemiologischen Forschungen ein.

Die wirtschaftliche Lage nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie zwang Landsteiner 1919 als Prosektor an das katholische R. K. Ziekenhuis nach Den Haag zu gehen. Daneben war er in einer kleinen Firma mit der Herstellung von Alttuberkulin beauftragt. Da die Arbeitsbedingungen auch in Den Haag nicht seinen Vorstellungen entsprachen, nahm Landsteiner 1923 ein Angebot des Rockefeller Institute for Medical Research in New York an. 1929 wurde er amerikanischer Staatsbürger. In New York musste er sich in erster Linie immunochemischen, serologischen und genetischen Forschungen widmen, seine Spezialgebiete, die Bakteriologie und Virologie, wurden von anderen Wissenschaftlern bearbeitet. Dennoch entstanden dort fachlich anerkannte Publikationen wie 1933 „Die Spezifität der serologischen Reaktionen“. 1939 emeritiert, durfte Landsteiner ein Laboratorium behalten, wo er bis zu seinem Tod arbeitete und gemeinsam mit Alexander Salomon Wiener den Rhesusfaktor entdeckte, der unter bestimmten Umständen die Blutzerfallskrankheit bei Neugeborenen auslöste.

 

Wissenschaftliche Leistungen

Landsteiners wissenschaftliche Interessen erstreckten sich in erster Linie auf das Gebiet der Immunologie, die Ende des 19. Jahrhunderts mit der erfolgreichen Immunisierung gegen Infektionskrankheiten durch den Chemiker und Bakteriologen Louis Pasteur und der Entdeckung der Toxine sowie Antitoxine und ihrer Wirkung ihren Anfang nahm. Landsteiner erkannte die Prinzipien, die der Antitoxin-Reaktionen zugrunde lagen und es gelang ihm, Methoden zu finden, durch die deren Wechselwirkung mit der chemischen Struktur der betreffenden Substanz herbeigeführt werden konnte.
1904 gelangen Landsteiner und Julius Donath die Klärung des patho-physiologischen Mechanismus der paroxysmalen Hämoglobinurie, einer Erkrankung, die nach vorhergegangenem Blutzerfall im Organismus zu anfallsweiser Blutfarbstoffausscheidung durch die Niere führt, wenn das anfällige Individuum einer Kälteeinwirkung ausgesetzt war. (Donath-Landsteiner-Test).

Zu Landsteiners wesentlichsten Forschungsergebnissen zählte 1906 der mit Viktor Mucha gemeinsam erbrachte Nachweis der Syphiliserreger durch eine neu entwickelte mikroskopische Untersuchungsmethode. Mit Hilfe der sogenannten Dunkelfeldmikroskopie, bei welcher die Zellen auf einem dunklen Hintergrund leuchtend hervortraten, war es möglich, die charakteristischen Bewegungen der Spirochaeta pallida zu beobachten. Landsteiner erkannte, dass die Sera von Syphilispatienten eine immobilisierende Wirkung auf die Spirochäten haben. Gemeinsam mit Ern(e)st Finger gelang ihm die Überimpfung von Syphilis auf Affen. Bereits damals verwendete Landsteiner für seine Tierversuche die Macacus-Rhesus-Art, deren Name später durch die bereits erwähnte Entdeckung des Rhesusfaktors in die medizinische Nomenklatur einging. Durch die Infizierung von Affen mit Syphilis konnte man darüber hinaus die Wirkung von Pharmaka auf den Erreger beobachten.

Die 1908 in Wien grassierende Kinderlähmungsepidemie veranlasste Landsteiner nach den Erregern dieser Krankheit zu forschen. Gemeinsam mit Erwin Popper, einem Assistenten der Kinderabteilung des Wilhelminenspitals, versuchte Landsteiner die Kinderlähmung auf Affen, Mäuse, Meerschweinchen und Kaninchen zu übertragen. Mäuse, Meerschweinchen und Kaninchen zeigten keinerlei Symptome und die Erreger waren auch unter dem Mikroskop nicht nachzuweisen. Zunächst glaubte man schon an ein Scheitern des Versuchs, als Landsteiner sah, dass einer der Affen zu hinken begann. Die Sektion dieses Tieres ergab die von der Kinderlähmung beim Menschen bekannten Veränderungen im Bereich des Zentralnervensystems. Die Übertragung der Poliomyelitis auf Affen war also gelungen. Dadurch gewannen Landsteiner und Popper aber auch die Erkenntnis, dass die Kinderlähmung durch Infektion übertragen wird. Gleichzeitig gab Landsteiner ein sogenanntes „invisibles Virus“ als Krankheitsursache an. Die Versuche führten zudem zur Entdeckung eines Serums, das vorbeugend wirken oder dem Krankheitsverlauf im Frühstadium Einhalt gebieten kann.

Andere Arbeiten widmete Landsteiner teils gemeinsam mit bekannten Wissenschaftlern der Strumaforschung, der Einführung des Rinderherzextraktes in die Wassermannreaktion und die Deutung dieser, der elektrophoretischen Technik und den Pflanzenagglutininen. Auf dem Gebiet der Allergologie konnte er zur Erklärung unzähliger Fälle von Arzneimittelüberempfindlichkeit beitragen. In seinen letzten Lebensjahren befasste er sich aufgrund einer Erkrankung seiner Ehefrau mit onkologischen Fragen.

1946 ging die Bauchspeicheldrüsenentzündung von Neugeborenen, über die Landsteiner zu Beginn des 20. Jahrhunderts publiziert hatte, als Landsteiner-Fanconi-Andersen-Syndrom in die medizinische Nomenklatur ein.

 

Der Weg zum Nobelpreis

Während seiner Zeit am pathologisch-anatomischen Institut verfasste Landsteiner 1900 eine seiner bahnbrechendsten Publikationen, „Zur Kenntnis der antifermentativen, lytischen und agglutinierenden Wirkungen des Blutserums und der Lymphe“ (in: Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und Infektionskrankheiten 27), in der er erstmals in einer Fußnote die Kenntnis von drei Blutgruppen, welche er zunächst nach dem Alphabet mit A, B und C bezeichnete, erwähnte. In Experimenten entnahm sich Landsteiner selbst sowie seinen Mitarbeitern Blutproben aus den Venen der Arme, brachte anschließend jede dieser Proben mit den Blutkörperchenaufschwemmungen aller anderen zusammen und beobachtete, dass manche dieser Serum-Blutkörperchen-Gemische eine Zusammenballung (Agglutination) zeigten und sich die roten Blutkörperchen zu Klumpen formten, die sogar mit freiem Auge sichtbar waren. Andere Mischungen wiederum zeigten keinerlei Agglutination. Landsteiner zog daraus den Schluss, dass an den roten Blutkörperchen eine Substanz vorhanden sein musste, welche mit korrespondierenden Stoffen in manchen der von ihm untersuchten Sera in Reaktion trat. Die Gesetzmäßigkeit des Eintretens und Ausbleibens solcher Agglutinationserscheinungen war die Ursache, warum frühere Blutübertragungen von Mensch zu Mensch nur wechselnden Erfolg hatten, und dass solche ärztliche Eingriffe daher in manchen Ländern sogar gesetzlich untersagt wurden.

Seine Publikation „Über die Agglutinationserscheinungen normalen menschlichen Blutes“, erschienen 1901 in der „Wiener klinischen Wochenschrift“ 14, beinhaltete dann wohl die entscheidenden Aussagen seiner Forschungsergebnisse: In einer Anzahl von Fällen (Gruppe A) reagirt das Serum auf die Körperchen einer anderen Gruppe (B), nicht aber auf die der Gruppe A, während wieder die Körperchen A vom Serum B in gleicher Weise beeinflußt werden. In der dritten Gruppe (C) agglutinirt das Serum die Körperchen von A und B, während die Körperchen C durch die Sera von A und B nicht beeinflußt werden [...] Endlich sei noch erwähnt, daß die angeführten Betrachtungen die wechselnden Folgen therapeutischer Menschenbluttransfusion zu erklären gestatten. Damit hatte er also das klassische Blutgruppensystem A, B, 0 erkannt. Landsteiners Mitarbeiter Adriano Sturli und Alfred Decastello-Rechtwehr erkannten 1902 noch eine weitere Blutgruppe, die sie zunächst als typenloses Blut bezeichneten. Heute ist diese Blutgruppe als AB bekannt.

1927 entdeckte Landsteiner gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Philip Levine die erblichen Blutfaktoren, die er mit den Buchstaben M, N und P bezeichnete und die sowohl für den Nachweis der Vaterschaft als auch bei gerichtsmedizinischen Untersuchungen zur Identifizierung potentieller Täter von Bedeutung sind. Außerdem konnte er insgesamt 36 Typen des menschlichen Blutes nachweisen.

Die Krönung der Verdienste Landsteiners für seine serologischen und immunochemischen Arbeiten erfolgte 1930 mit der Verleihung des Medizin-Nobelpreises in Stockholm.

 

Landsteiner privat

Landsteiner war als überaus kritischer Wissenschaftler und Lehrer bekannt. Jedes Forschungsergebnis seiner Mitarbeiter und Assistenten musste vor seinen Augen wiederholt werden, alle wichtigen Experimente wurden von ihm selbst durchgeführt oder zumindest überprüft. In der Öffentlichkeit galt er eher als zurückgezogen und scheu. Am 26. Juni 1943 starb er in New York und wurde auf Nantucket bestattet. Österreich nahm erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von seinem Tod Kenntnis.

1902 wurde Landsteiner ordentliches Mitglied, 1923 korrespondierendes und 1931 Ehrenmitglied der Gesellschaft der Ärzte in Wien, 1927 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, 1941 Foreign Member of the Royal Society in London. 1926 wurde er mit dem Preis der Hans-Aronson-Stiftung ausgezeichnet, 1930 mit der Goldenen Paul-Ehrlich-Medaille, darüber hinaus mit dem Cameron-Preis der Universität von Edinburgh. 1917 erhielt er den Titel Regierungsrat, zahlreiche Ehrendoktorate (unter anderem der Universität von Chicago 1927, der Universitäten von Cambridge und Brüssel 1934 und der Harvard-Universität 1936) folgten. 1927/28 fungierte er als Präsident der American Association of Immunologists. Seit 1954 wird der Karl Landsteiner Memorial Award jährlich an verdiente Wissenschaftler auf dem Gebiet der Transfusionsmedizin oder Zelltherapie vergeben, seit 1988 der Karl-Landsteiner-Preis durch die Österreichische Gesellschaft für Allergologie und Immunologie. Seit 1973 ehrt die Deutsche Gesellschaft für Immunologie alle zwei Jahre Forscher mit dem Avery-Landsteiner Preis, seit 2014 als Deutscher Immunologie-Preis bekannt. Seit 2005 besteht in Niederösterreich die Karl Landsteiner Gesellschaft zur Unterstützung von wissenschaftlichen Forschungen auf dem Gebiet der Medizin und verwandter Disziplinen.

 


Weitere Werke: s. Speiser –Smekal; Aymard; Briedigkeit.

 

Literatur (Auswahl): Die Presse, 14. 6. 1968; A. S. Wiener, in: The Scientific Monthly 57, 1943, S. 280ff.; A. S. Wiener, in: American Journal of Clinical Pathology 13, 1943, S. 566ff.; G. R. Simms, The scientific work of Karl Landsteiner, med. Diss. Zürich, 1963; E. Lesky, Die Wiener medizinische Schule im 19. Jahrhundert, 1965, s. Reg.; Österreichisch Biographisches Lexikon 1815-1950, 4, 1969; P. Speiser – F. G. Smekal, Karl Landsteiner, Entdecker der Blutgruppen und Pionier der Immunologie, 2. Aufl. 1975 (mit Bild und Werkverzeichnis); Neue Deutsche Biographie 13, 1982; J. I. Lin, in: Laboratory Medicine 15, 1984, S. 126ff. (mit Bild); M. Pesditschek, in: Heimat großer Söhne, ed. H. Grössing – G. Heindl, 1997, S. 116ff.; D. Angetter, Die österreichischen Medizinnobelpreisträger, 2003, S. 44ff. (mit Bild); J.-P. Aymard, Karl Landsteiner l'homme des groupes sanguins, 2011 (mit Bild und Werkverzeichnis); W. Briedigkeit, Karl Landsteiner. Arzt - Forscher - Entdecker der menschlichen Blutgruppen, 2012 (mit Bild und Werkverzeichnis); Allgemeines Verwaltungsarchiv, Israelitische Kultusgemeinde, Universitätsarchiv (mit Bild), alle Wien.


(Daniela Angetter)


 

Wir danken dem Bildarchiv Austria der Österreichischen Nationalbibliothek (Wien) sowie dem Archiv der Universität Wien und Frau Mag. Eva Offenthaler (Wien) für die Bereitstellung von Bildmaterial.