Ein Magister der Wortmagie, ein Ekkehard der österreichischen Neukünstler oder ein Meister lebendiger Kunstbetrachtung? Auf den Spuren des Kunstkritikers Arthur Roessler

Am 20. Februar dieses Jahres würde Arthur Roessler seinen 140. Geburtstag feiern. Seine Bedeutung wird heute vorrangig an der Entdeckung und Förderung des Künstlers Egon Schiele gemessen. Dadurch wird seine Wirkung, die er als Schriftsteller, Verleger, Kunsthändler und Kunstkritiker innerhalb der Österreichischen Kunstszene entfalten konnte, marginalisiert und letztlich auf einen Einzelaspekt seiner vielfältigen Vita reduziert. Als eine Besonderheit kann der sichere Instinkt im Umgang mit den Medien und sozialen Rahmenbedingungen genannt werden. Diese Fähigkeit ermöglichte sein Engagement für die Kunst und die Künstler seiner Zeit auch dann noch fortzusetzen, als sich die Form der Kunstkritik, angestoßen durch technische Entwicklungen wie z. B. die Bildreportagen oder den Rundfunk, zu wandeln begann und an die Kunstkritik neue berufliche Anforderungen gestellt wurden.

Der Schriftsteller, Verleger, Kunsthändler und Kunstkritiker Arthur Roessler (Ps. A. R–r., –ss–, A. R., a. r. etc.) wurde am 20.2.1877 in Wien als Sohn des Ingenieurs und Chemikers Simon Roessler und dessen Frau Josefa, geb. Brauner geboren. Er studierte an der Universität Wien Philosophie, Literatur- und Kunstgeschichte u. a. als Schüler von Franz Wickhoff. Daneben unternahm er mehrfach Studienreisen, die ihn nach Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien und die Schweiz führten. In Wien besuchte er ab 1895 außerdem die Schule des Malers und Lebensreformers Karl Wilhelm Diefenbach. Um 1898 übersiedelte Roessler dann nach München, wo er acht Jahre lang lebte und als freier Journalist u. a. für die „Allgemeine Zeitung“ arbeitete. Dort lernte er auch seine spätere Ehefrau Ida Lange (1877–1961), Schwester der Schauspielerin Hedwig Lange (1870–1960), kennen. Während dieser Zeit trat er erstmals als Schriftsteller mit Gedichtbänden hervor und berichtete als Korrespondent der Wiener Zeitschrift „Sport & Salon“ mit seinen Rezensionen von den Ausstellungen im Glaspalast und der Münchener Secession. 1905 kehrte er nach Wien zurück und arbeitete auf Vermittlung von Adolf Hölzel kurzzeitig in der Galerie Miethke, der damals wichtigsten Galerie für moderne Kunst in Wien. Zu dieser Zeit erschien als Gemeinschaftswerk von Ida und Arthur Roessler die Übersetzung von Oscar Wildes „Intentions“. Nach dem Zerwürfnis mit Karl Moll, dem damaligen künstlerischen Leiter der Galerie, setzte er 1906 seine Tätigkeit als freier Kunstschriftsteller, Händler und Kritiker fort. Er reiste für Alfred Reichert, einen in Paris lebenden Wiener Kaufmann, nach Frankreich und vermittelte eine Sammlung Alter Meister an die Galerie Miethke. Durch seine Arbeit an einer 2-bändigen Monographie über Ferdinand Georg Waldmüller kam er in Kontakt mit dem Galeristen Gustav Pisko, der ihn 1907–1908 als wissenschaftlichen Hilfsarbeiter und künstlerischen Beirat anstellte.

Wieder zurück in Wien. Erste Begegnungen mit der Avantgarde

Roessler veröffentlichte ab 1908 zahlreiche Artikel für internationale Kunstzeitschriften wie „Kunst und Künstler“, „Die Kunst für Alle“ oder „Erdgeist“. Erste Verhandlungen für eine dauerhafte Anstellung als Kunstreferent blieben allerdings ergebnislos. Durch Unterstützung des Abgeordneten Engelbert Pernerstorfer wurde er schließlich 1908 zum ständigen Kunstreferenten der „Arbeiter-Zeitung“ berufen. 1909, anlässlich des Skandals um den Architekturwettbewerb für das Technische Museum, ergriff er journalistisch für Otto Wagner Partei. Als Viktor Adler in diesem Kontext eine Interpellation für den Reichsrat vorbereitete, half ihm Roessler beim Verfassen durch seine Kunstexpertise. Dies brachte ihm den Respekt der progressiveren Kreise innerhalb der Wiener Künstlerschaft ein.

Bei der in der Galerie Pisko 1909 veranstalten Ausstellung der „Neukunstgruppe“ lernte er Egon Schiele und Anton Faistauer kennen. Mit Letzterem verband ihn eine Freundschaft, die bis zu dem Tod des Künstlers 1930 andauern sollte. Schiele förderte Roessler mehrere Jahre lang einerseits durch die Vermittlung von Aufträgen und Kontakten zu Sammlern, andererseits durch den Ankauf von Kunstwerken. Bei seinem Einsatz für die Belange junger Künstler geriet Roessler auch manchmal mit anderen Förderern in Konflikt: An Oskar Kokoschka beispielsweise, der 1911 durch den Architekten Adolf Loos protegiert und promotet wurde, ließ er in seiner Besprechung der „Sonderausstellung für Malerei und Plastik“ im Hagenbund bewusst kein gutes Haar. In diesem Jahr versuchte er sich auch als Herausgeber der Zeitschrift „Bildende Künstler. Monatsschrift für Künstler und Kunstfreunde“, ein Projekt von dem nur 12 Heftnummer erschienen sind. Weiters wirkte er 1912 an der Gründung des Österreichischen Werkbunds mit; 1914 reiste er mit seiner Frau nach England und Belgien.
Seinen Wehrdienst leistete er 1915 bis 1917 bis auf eine Unterbrechung, als er 1916 als Landsturmmann der Infanterie in Bilowitz stationiert war, im k. k. Kriegsarchiv in Wien ab. 1918 veröffentlichte er seine Monographie „Kritische Fragmente“, eine Aufsatzsammlung zu österreichischen Neukünstlern, die neben Texten zu Schiele und Faistauer auch solche zu Albert Paris Gütersloh, Felix Albrecht Harta oder Ernst Wagner enthielt.

Die Neuerfindung des Kunstkritikers als Multitalent und Kunstvermittler

Nach Kriegsende betrieb Roessler 1919 gemeinsam mit Otto Maria Miethke-Gutenegg, dem Sohn des ehemaligen Galerieleiters, das Haus der Jungen Künstlerschaft in der Dorotheergasse und veranstaltete dort insgesamt 6 Ausstellungen. Für den im selben Jahr gegründeten Avalun-Verlag war Roessler als kaufmännischer Geschäftsführer tätig. In seiner Zeit als Verleger veröffentlichte er mehrere Schiele-Publikationen, die Bücher „Schwarze Fahnen. Ein Künstlertotentanz“ (1922) und „Der Malkasten“ (1924). Mit dem Jahr 1922 endete seine Position als Kunstreferent der „Arbeiter-Zeitung“. Als sich 1923 auf Initiative von Hans Tietze die Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst in Wien gründete fungierte Roessler als eines der Gründungsmitglieder. Mit dem Ende seiner Tätigkeit beim Avalun-Verlag 1924 wurde er in den Vorstand des Österreichischen Werkbunds gewählt und war in dieser Funktion u. a. 1925 für die Organisation der österreichischen Abteilung der Pariser Kunstgewerbeausstellung mitverantwortlich.

Ab 1925 war er als Referent der neugegründeten Tageszeitung „Wiener Neueste Nachrichten“ tätig. Zeitgleich begann er mit seiner Vortragstätigkeit an der Wiener Volkshochschule Urania. 1927 wurde ihm anlässlich seines 50. Geburtstags und auf Grund seiner Verdienste um das kulturelle und künstlerische Leben in Wien die goldene Ehrenmedaille der Universität Wien und das silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. In der 1925 gegründeten Vereinigung der Kunstreferenten der Wiener Tageszeitungen, einer Interessensvertretung, die sich für die Rechte der Kritiker einsetzte, war er gemeinsam mit Adalbert Franz Seligmann, Alfred Markowitz und Max Ermers im Vorstand. Für die Zentralvereinigung der Architekten Österreichs gab er 1927–1929 die Zeitschrift „Die Bau- und Werkkunst“ heraus. Roesslers Engagement für Kunst- und Kulturvereine setzte sich im Eckart-Bund und dem P.E.N.-Klub fort. So wurde 1929 etwa der Arthur und Ida Roessler-Förderpreis über den Eckart-Bund vergeben. Sein Vortrag „Über die Krisis in der bildenden Kunst“ den er 1930 an den Universitäten Kiel und Wien hielt, fand große Beachtung. Bereits seit Mitte der 1920er-Jahre wurden erste Radiovorträge über Kunst gesendet. Ab 1934 setzte sich Roessler neben Richard Kurt Donin und Karl Hareiter als ständiger Kunstreferent der RAVAG durch und seine Besprechungen des aktuellen Wiener Ausstellungsgeschehens wurden regelmäßig live im Radio übertragen. 1937 wurde ihm zu seinem 60. Geburtstag der Professorentitel von der Österreichischen Bundesregierung, das Silberne-Albrecht-Dürer-Ehrenzeichen und die Silberne Adalbert-Stifter-Medaille verliehen. Seine letzte Rezension über eine Ausstellung französischer Graphik in der Galerie Würthle wurde am 5. März 1938 gedruckt.

Letzte Stationen seiner Kritikerkarriere und das Schicksal der Sammlung

Während des Zweiten Weltkriegs blieben Ida und Arthur Roessler in Wien, nach 1945 arbeitete er als freier Autor. Erfolgreiche Bücher wie „Die Stimmung der Gotik“, „Von Wien und seinen Gärten“ oder seine Danhauser-Monographie wurden neu aufgelegt. Seine journalistische Tätigkeit konnte er in der Tageszeitung „Neues Österreich“ und erneut in der „Arbeiter-Zeitung“ fortsetzen. Ein Vortrag unter dem Titel „Zur Kunst- und Kulturkrise der Gegenwart“ erschien 1947 noch in Buchform. Mit den veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen kam er auf Grund seines fortgeschrittenen Alters aber immer schwerer zurecht: Auf Grund finanzieller Schwierigkeiten waren Ida und Arthur Roessler schließlich dazu gezwungen vom Verkauf der Kunstwerke aus ihrer umfangreichen Sammlung zu leben. 1952, zu seinem 75. Geburtstag, wurde ihm die Ehrenmedaille der Stadt Wien verliehen. 1955 wurde gegen eine Leibrente, die nach seinem Tod auf seine Frau Ida übergehen sollte, die 1.400 Kunstwerke umfassende Sammlung von der Stadt Wien übernommen. Roessler verstarb in Wien am 20.7.1955.


Eigene Werke: Und es war eine glühende Nacht, 1899; Höchste heidnische Seeligkeit, 1900; Die Stimmung der Gotik und andere Essays, 1904; Neu-Dachau. Ludwig Dill, Adolf Hölzel, Arthur Langhammer (= Künstlermonographien 78), 1905; Exlibrismonografie Willi Geiger, 1905; Vom Dichter der toten Stadt und andere Essays, 1906; Ferdinand Georg Waldmüller. Sein Leben, sein Werk und seine Schriften, 1907; Der Dialog vom Pierrot und andere Essays, 1908; Von Wien und seinen Gärten, 1909; Rudolf von Alt, 1909; Dalmatien, 1910; Josef Danhauser. 1805–1845, 1911; Fritz Hegenbarth, 1916; Hans Brühlmann, 1918; Kritische Fragmente. Aufsätze über österreichische Neukünstler, 1918; Ein Abend mit Gottfried Keller und Böcklin und anderes, 1919; Egon Schiele. Briefe und Prosa, 1921; In memoriam Egon Schiele, 1921; August von Pettenkofen, 1921; Schwarze Fahnen. Ein Künstlertotentanz, 1922; Egon Schiele im Gefängnis. Aufzeichnungen und Zeichnungen, 1922; Speidel und Hevesi. Zwei Bildnisminiaturen in einem Rahmen, 1923; Der Maler Viktor Tischler, 1924; Der Malkasten. Künstleranekdoten, 1924; In memoriam Gustav Klimt, 1926; Bildhauer Franz Zelezny, 1926; Der Maler Josef Stoitzner, 1927; Der Maler Hans Böhler, 1929; Meister Richard Teschner. Zu des Künstlers fünfzigsten Geburtstag, 1929; Franz Kaym, Alfons Hetmanek. Architekten-ZV, 1931; Der Maler Bruno Beran. Eine Studie, 1932; Franz Rederer, 1938; Der unbekannte Stifter, 1946; Der Maler Anton Faistauer. Beiträge zur Lebens- und Schaffensgeschichte eines österreichischen Künstlers, 1947; Zur Kunst und Kulturkrise der Gegenwart, 1947.

Herausgeberschaft und Übersetzungen: Oscar Wilde, Intentionen, 1905; Die Frau. Sammlung von Einzeldarstellungen, 1908; Paul Eudel, Fälscherkünste, 1909; John Constable. Eine Selbstbiographie aus Briefen, Tagebuchblättern, Aphorismen und Vorträgen, 1911; Lila Gruner, Beethoven-Häuser, 1910; Walther von der Vogelweide, 1921; Deutscher Minnesang, 1921; Joris Karl Huysmans, Matthias Grünewald, 1922, Johannes von Saaz, Der Ackermann und der Tod, 1922; Rudolf von Alt. Briefe (= Künstlerbriefe 1), 1922; Carl Rahl. Briefe (= Künstlerbriefe 2), 1922; Carl Schuch. Briefe (= Künstlerbriefe 3), 1922.

Zahlreiche seiner Artikel erschienen in deutschsprachigen Kunst- und Kulturzeitschriften wie z. B. Der getreue Eckart, Deutsche Kunst und Dekoration, Die Aktion, Die graphischen Künste, Die Kunst für Alle, Innendekoration, Kunst und Kunsthandwerk, Kunst und Künstler, Sport & Salon usw.


Literatur: Czeike; Jb. der Wr. Ges.; Kosch (m. B.); Kosel; Wer ist’s?, 1909; Wer ist wer in Österreich, Neuausgabe, 1953; Eduard Engels, Arthur Roessler, in: Sport & Salon 4, Nr. 3, 1901, S. 13 (m. B.); Erich Felder, Arthur Roessler. Eine literarische Porträtskizze, 1916; Ida Roessler (Hg.), Würdigungen. Zwanzig Essays über Arthur Roessler, 1929; Max Wagner, Im Dienste der Erziehung zur Kunst. Arthur Roessler zum 75. Geburtstag, in: Büchergilde Gutenberg 28, April 1952 (Beilage); Hans Bisanz, Arthur Roessler als Kritiker, in: Bernhard Seyringer (Hg.), Schreiben für den Fortschritt. Die Feuilletons der Arbeiter-Zeitung, 2009, S. 64–69; Tobias G. Natter (Hg.), Schiele & Rössler. Der Künstler und sein Förderer (= Sonderausstellung des Wien Museums 313), Ausst.-Kat. Wien Museum (8. Juli – 10. Oktober 2004), Wien 2004; Ursula Storch, Arthur Roessler und der Mythos Egon Schiele, in: Helmut Friedel / Helena Pereña (Hgg.), Egon Schiele. „Das unrettbare Ich“, Ausst.-Kat. Städtische Galerie im Lenbachhaus München (3. Dezember 2011 – 4. März 2012), Köln 2011, S. 14–26; Das rote Wien, http://www.dasrotewien.at/.

Sein Nachlass befindet sich heute verteilt auf die Sammlungen der Wienbibliothek im Rathaus, das Wiener Stadt- und Landesarchiv und das Wien Museum. Der Briefverkehr zwischen Schiele und Roessler ist von der Wienbibliothek digitalisiert worden.

(Maximilian Kaiser)

Wir danken dem Bildarchiv Austria (Österreichische Nationalbibliothek) und dem Belvedere Wien für die freundliche Überlassung der Bildrechte.